# taz.de -- Grüner Kapitalismus nach der COP21: Auf der Welle reiten oder unte… | |
> Der Klimawandel ist ein Problem für die Finanzwelt. Die Herren des Geldes | |
> haben beschlossen, es zu lösen – auf ihre Art. | |
Bild: Unternehmen können es sich kaum noch leisten auf Umwelt- und Sozialstand… | |
PARIS taz | Michael Bloomberg ist nicht beeindruckt. Nicht von den 10.000 | |
Diplomaten, die hier tagen, nicht von 150 Regierungschefs, die hier ihre | |
Reden gehalten haben. „Ah“, sagt der US-Milliardär und Politiker Bloomberg, | |
macht eine abschätzige Handbewegung und lehnt sich in seinem Ledersessel | |
auf der Bühne von Presseraum 1 in Le Bourget zurück, „Regierungen sind | |
nicht wirklich wichtig.“ | |
Da haben die 195 Regierungsdelegationen in den Messehallen von Le Bourget | |
vor den Toren von Paris schon eine Woche voller aufgeregter | |
Pressekonferenzen, vertraulicher Gespräche und feierlicher Erklärungen | |
hinter sich. Bloomberg sitzt in dem Raum mit niedriger Decke, grauem | |
Teppichboden und spärlicher Dekoration zusammen mit Mark Carney, dem Chef | |
der altehrwürdigen Bank of England vor 500 Zuhörern in blauen | |
Businessanzügen und bonbonfarbenen Kostümchen. | |
Der smarte Kanadier organisiert nebenher noch das „Financial Stability | |
Board“, das im Auftrag der mächtigsten 20 Industriestaaten den nächsten | |
Crash des Weltfinanzsystems verhindern soll. Carney hat im September davor | |
gewarnt, Investitionen in fossile Energien seien ein finanzielles Risiko | |
und sagt jetzt: Bei der Hypotheken-Krise nach 2008 „haben wir das | |
systemische Risiko für das Finanzsystem unterschätzt. Das passiert uns | |
nicht noch einmal.“ | |
Carney hat Bloomberg gerade als neuen Chef seiner „Climate Disclosure | |
Taskforce“ präsentiert. Eine gute Wahl. Kaum jemand sonst weiß so gut, | |
welch mächtige Waffe Informationen im Finanzdschungel sind. Bloomberg ist | |
mit seiner Finanzdienstfirma zum Milliardär geworden. Er ruft in den Saal: | |
„Wenn diese Konferenz den Märkten erklären kann, warum sie sich bewegen | |
sollen, werden sie das tun.“ Und Carney formuliert, welche Informationen | |
die Investoren von den Firmen erwarten: „Welchen Weg habt ihr für eine | |
Null-Kohlenstoff-Welt?“ | |
## Keine Nulllösung | |
Es ist in Paris viel um Nullen gegangen. An diesem Freitagmorgen sind es | |
zwölf. „24 Billionen“, sagt Donald MacDonald und sieht sich im Raum um. | |
„Ich schätze, hier ist Kapital von 24.000.000.000.000 Dollar vertreten.“ | |
MacDonald, ein 66-jähriger Schotte mit Halbglatze und einem schweren | |
Körper, ist Trustee des Pensionsfonds von British Telecom. Der verwaltet | |
ein Vermögen von 40 Milliarden Pfund. | |
Und natürlich kennt MacDonald seine Kollegen von den anderen Pensionsfonds, | |
die hier mit ihm dem Milliardär und dem Zentralbankchef lauschen. Sie | |
denken ganz anders als die Leute, die an den Börsen zocken. „Für uns sind | |
Anlagezeiten von 60 oder 70 Jahren interessant“, sagt der Mann in seinem | |
schottischen Akzent. „Da ist das Thema Klimawandel wichtig.“ | |
So geht es der ganzen Finanzbranche. Die Herren des Geldes haben entdeckt, | |
dass der Klimawandel als riesiges Problem in ihren Büchern steht. Also | |
haben sie beschlossen, das Problem zu lösen. Auf ihre Art. Noch nie ist das | |
so deutlich geworden wie auf der Klimakonferenz von Paris. | |
Das Abkommen löst zwar das Klimaproblem nicht, aber es ist auch keine | |
Nulllösung. Denn zum ersten Mal verpflichten sich alle Länder zum | |
Klimaschutz und lassen sich auf etwas ein, was irgendwann einmal zu „Null | |
Kohlenstoff“ führen wird. Das Pariser Abkommen könnte daher eine Dynamik | |
auslösen, mit der die großen Geldströme der Welt umgelenkt werden. | |
Oder eine Flutwelle, wie es Mohamed Adow in Paris ausdrückte, Chef der | |
Klimaabteilung der Hilfsorganisation Christian Aid:. „Die Botschaft, die | |
wir an die Investoren und Wirtschaftsführer aussenden, ist: Entweder sie | |
reiten auf der Welle von Paris, oder sie werden weggespült.“ | |
## Klimarisiken schaden der Reputation | |
Das klingt eindrucksvoll. Aber was die Finanzbranche vor allem versteht, | |
ist die nüchterne Sprache der Zahlen und Bilanzen. Und dort hält – Schritt | |
für Schritt – auch der thematisch große Bruder der Klimarisiken Einzug: die | |
nachhaltige Entwicklung. Die Vereinten Nationen haben sich erst im | |
September dieses Jahres neue Entwicklungsziele gesetzt, um Armut und Hunger | |
zu bekämpfen. Ein Ziel: Umwelt- und Sozialstandards für die Industrie. | |
Werden die Ziele nicht berücksichtigt, kann bisweilen das ganze Unternehmen | |
gefährdet sein – siehe VW. Die Frage, ob Unternehmen verantwortlich | |
handeln, entscheidet mittlerweile über den Marktwert mit. „Das Wichtigste, | |
das Unternehmen haben, um ihren Wert zu erhalten, ist Reputation“, so | |
drückte es Unilever-Chef Paul Polman aus, als auf dem Weltklimagipfel einen | |
Tag lang Wirtschaftsbosse ihre Reden schwingen durften. „Wenn Unternehmen | |
die Erwartungen nicht erfüllen, sinkt ihr Marktwert dramatisch.“ | |
Michael Bloomberg hat auch dazu etwas zu sagen – wie überhaupt zu so | |
ziemlich allen Themen, die der begnadete Showman und Redner vor seinem | |
Zuhörern im Presseraum 1 der Halle 3 anspricht: „Kein einziger Vorstand | |
eines Unternehmens kann sich im Amt halten, wenn er den Klimawandel nicht | |
ernst nimmt.“ Und er – der marktradikale US-Republikaner – lästert über… | |
TV, den Haussender der Konservativen: „Bei deren Shows zum Klima tritt nie | |
ein Konzernchef auf. Die wissen schon, warum.“ | |
## „Eine stille Revolution“ | |
Wie heiß das Thema in der Finanzwelt gegessen wird, kommt mittlerweile auch | |
bei denen an, die am entscheidenden Hebel sitzen. Der heißt: Zugang zu | |
Kapital. Zudem geht es um die Frage, wie hoch die Zinsen sind. Die | |
Ratingagentur Standard & Poor’s untersuchte erst im Oktober, was Umwelt- | |
und Klimarisiken mit der Kreditwürdigkeit von Unternehmen machen. | |
Seit 2013 identifizierte die Agentur 56 Fälle, in denen es Abwertungen gab | |
– meist aus der Öl- und Gasindustrie. Ein Unternehmen bekommt wegen | |
besonders klimaschonender Antriebstechnik nun sogar Kapital zu günstigeren | |
Konditionen. Übrigens hat Standard & Poor’s Volkswagen abgewertet – wegen | |
des Abgasskandals. | |
„Gerade geschieht eine stille Revolution, weil Politik und | |
Finanzmarktregulierung das Problem angehen, ein robustes und nachhaltiges | |
Finanzsystem für das 21. Jahrhundert zu schaffen“, so schrieb es kürzlich | |
das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, Unep. Auf Initiative der | |
UN-Organisation hin haben im Oktober 100 Banken eine Initiative gestartet, | |
um Geld mit Gutem zu verdienen – sie wollen Standards entwickeln, mit denen | |
Investitionen in Klimaschutz und solche mit „positivem Einfluss“ | |
bilanzierbar werden. | |
Bei nicht wenigen erzeugt es Unbehagen, dass sich der Bock zum Gärtner | |
aufschwingt – ausgerechnet die Verursacher globaler Umwelt- und | |
Klimaprobleme wollen nun ihre Profitgier so gestalten, dass es Gutes | |
bewirkt? | |
Donald McDonald ist seit Jahrzehnten in der britischen Labour Party, aber | |
antikapitalistische Gedanken kommen ihm bei seinem Job nicht. Ihm gehe es | |
vor allem um „sichere Altersversorgung für unsere Leute“, sagt er. Dafür | |
sucht er immer nach Investitionen, die sich lohnen – einstellige Renditen | |
sind okay –, und nach solchen, die vor allem für Jahrzehnte sicher sind. | |
Und das wird schwierig, wenn Firmen ihre Geschäftsfelder aufs Spiel setzen, | |
weil sie etwa in Kohle, Gas oder Bergbau investieren. | |
## Kurzfristig vs. langfristig | |
Paris ist für den Schotten die erste Klimakonferenz. Er findet es aufregend | |
und ist eigentlich von den Politikern ganz angetan. „Die versuchen doch | |
auch, ihren Job zu machen“. MacDonald lehnt an einem Stehtisch vor dem | |
Plenum „La Seine“. Nebenan machen die Umweltverbände mit einer kleinen Demo | |
einen infernalischen Lärm, es klingt wie im Fußballstadion. MacDonald | |
deutet lächelnd auf die jungen Leute nebenan und schreit gegen den Lärm: | |
„Früher haben wir noch Steine geworfen, die Polizei kam mit Tränengas.“ | |
Heute kämpft er mit den Zahlen. Und ist ziemlich glücklich mit dem | |
Abkommen, das in den Seitenräumen des Kongresszentrums gerade | |
zusammengezimmert wird. „Je ehrgeiziger die Ziele, desto schneller fließt | |
das Kapital in grüne Technologien. Und je langfristiger die Ziele, desto | |
verlässlicher wird die Politik.“ | |
Reines Gift, sagt er, sei vor ein paar Jahren die Entscheidung der | |
spanischen Regierung gewesen, nachträglich die Einspeisetarife für | |
Erneuerbare zu kappen. „Davon hat sich der Markt zwei oder drei Jahre nicht | |
erholt.“ | |
Vom Pariser Abkommen solle ein „Signal an die Investoren“ ausgehen, rief | |
auch die Chefin des UN-Klimasekretariats, Christiana Figueres, in den Saal, | |
als das Abkommen stand. Ob das Finanzkapital die Welt rettet, ist nicht | |
ausgemacht. Auch wenn viele Leute ihr Geld aus den dreckigen Energien | |
abziehen – bisher gibt es immer noch Käufer dafür. | |
Was passiert, wenn durch weniger Nachfrage Kohle billiger wird und deshalb | |
Staaten wie Vietnam oder Indien weiter auf die dreckige Energie setzen? | |
Wenn die kurzfristige Orientierung an den Aktienmärkten die langfristigen | |
Überlegungen der Pensionsfonds schlägt? | |
Nach dem Deal von Paris hoffen viele auf das Gegenteil. Die International | |
Investors Group on Climate Change, die Pensionsfonds von mehr als 13 | |
Billionen Dollar vertritt, meint, die Pariser Entscheidung werde „die | |
Investitionen von fossilen zu grünen Techniken umschichten.“ | |
Auch der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber schwört auf die | |
Kraft des „Divestment“. Und für Michael Bloomberg und Mark Carney ist die | |
Antwort bei ihrem Abstecher zu den Klimaschützern klar: „Lasst die Märkte | |
entscheiden!“ Regierungen, sagt Bloomberg noch, seien für Geschäftsideen | |
„nur wichtig, wenn ihre Entscheidungen direkt das Geschäftsleben | |
betreffen.“ | |
Neun Tage nach dieser Aussage beschließen 195 Staaten, bis Mitte des | |
Jahrhunderts aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen. Eine Entscheidung | |
mit sehr vielen Nullen. | |
13 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
Ingo Arzt | |
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