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# taz.de -- Greenpeace-Aktion in Lübeck: Klettern gegen Entwaldung
> Umweltaktivist:innen haben Frachter mit Zellulose aus schwedischen
> und finnischen Wäldern blockiert. Sie protestieren damit gegen zu viel
> Rodung.
Bild: Haben es tatsächlich noch bis zum Frachter geschafft: Greenpeace-Aktivis…
Lübeck taz | Es ist noch dunkel, als sich eine Handvoll Medienvertreter auf
einem unscheinbaren Parkplatz außerhalb von Lübeck versammeln. Den
Treffpunkt haben sie alle erst kurzfristig und über einen verschlüsselten
Chat erhalten.
Sie sind hier, weil gleich ein Frachter mit Papierrollen aus Skandinavien
ankommen und Ziel einer Aktion von Umweltschützer:innen werden soll.
Diese wollen damit die globale Übernutzung der Wälder anprangern.
Aktivist:innen, die mit Störaktionen auf die Klimakrise aufmerksam machen
wollen, sind zurzeit täglich in den Schlagzeilen. Sie kleben sich auf
Straßen und werfen Lebensmittel auf Kunstwerke und machen so mit wenig
Mitteln viel Lärm. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace nutzt dieses
Prinzip seit Jahrzehnten, um die Öffentlichkeit auf Umweltzerstörung
aufmerksam zu machen, etwa mit Transparenten auf AKW-Kühltürmen oder auf
Walfangschiffen.
Entsprechend routiniert läuft die Aktion in Lübeck ab. Dutzende
Aktivist:innen in Kletterausrüstungen springen aus Transportern,
besteigen Schlauchboote. Sie kommunizieren auf Englisch über Funk
miteinander, Freiwillige aus sieben Ländern sollen dabei sein. Die
Journalistinnen und Kameramänner werden auf ein eigenes Pressboot gesetzt.
## Kann Europa den Wald ausreichend schützen?
Die Inszenierung gelingt wie geplant. Die orangenen Schlauchboote fahren
vor den blauen Frachter namens Thuleland, Göteborg. Die Klettererinnen mit
den grünen Helmen befestigen mit langen Stangen Haken am Schiff und
beginnen es zu erklimmen. Dabei werden sie nur ein bisschen gestört, ein
Mann ruft über die Reling, dass sie verschwinden sollen, auf dem Frachter
befänden sich keine umweltschädlichen Produkte.
Das sehen die Aktivist:innen wohl anders und klettern weiter. Die
Helferinnen mit den weißen Helmen befestigen derweil schon ein erstes gelb
leuchtendes Transparent mit Magneten an der Außenwand. Darauf steht
„European ministers, protect our forests“, auf deutsch: Europäische
Minister, schützt unsere Wälder.
Der Zeitpunkt für die Aktion ist präzise gewählt. In der kommenden Woche
wird in der EU über ein neues Gesetz zum Schutz der globalen Wälder
beraten. Die Idee des Gesetztes: In der EU sollen nur Produkte auf dem
Markt zugelassen sein, deren Produktion nicht zur Entwaldung beiträgt.
## Wälder weltweit brauchen mehr Schutz
Es geht einerseits um den Schutz von außereuropäische Waldgebiete, wie den
Amazonas oder Wälder in Indonesien, die etwa für die Produktion von Palmöl
gerodetet werden. Aber auch europäische Wälder sind potenziell betroffen,
insbesondere in den nordischen Ländern mit intensiver Holzwirtschaft.
Aktuell stehen drei Vorschläge im Raum, je einen von der [1][EU-Kommission
vom November 2021], dem EU-Rat vom Sommer 2022 und dem EU-Parlament vom
September. Am 9. November finden Trilog-Gesprächen zwischen den drei
EU-Institutionen statt, um eine Einigung zu erzielen.
Die drei Vorschläge sind in vielerlei Hinsicht unterschiedlich. Der
Vorschlag des EU-Rates, in dem die verschiedenen nationalen Regierungen
sitzen, beinhaltet die schwächsten Vorschläge. Er will nur Urwälder
schützen und lediglich wenige Produkte regulieren. Geht es nach dem
EU-Parlament, werden weltweit alle Wälder und bewaldeten Gebiete geschützt,
Menschenrechte abgedeckt, alle Produkte berücksichtigt, die maßgeblich zur
Entwaldung beitragen, der Finanzsektor reguliert und es gäbe weniger
Schlupflöcher.
Dagegen regt sich Widerstand. Finnland, Schweden, Österreich und Slowenien
haben [2][eine informelle strategische Partnerschaft gebildet] mit dem
Ziel, die Waldregulierung in Mitgliedstaaten zu belassen.
Im Hafen von Lübeck bleibt es ruhig. Als das große Transparent ausgerollt
wird, scheint sogar die Sonne. Aktivist:innen baumeln an Seilen über
dem offenen Heck des Schiffes, aus dem die Ladung schon größtenteils
gelöscht wurde.
Die weißen Rollen stapeln sich am Kai. Sie stammen aus Schweden und
Finnland, den größten Produzenten von Zelluloseprodukten in Europa.
Greenpeace Finnland hat versucht, die Lieferketten nachzuvollziehen und
kommt zum Schluss, dass auch in deutschen Verpackungen Holz aus finnischen
Urwäldern steckt. Die Aktivist:innen hoffen, dass das neue EU-Gesetzt
dies in Zukunft verhindern würde.
## Finnland will bis 2035 klimaneutral sein
Denn Wälder sind nicht nur wichtige Lebensräume für viele Tiere und
Pflanzen, sie spielen eine zentrale Rolle im Kampf gegen den Klimawandel.
Finnland hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2035 Klimaneutral zu sein. Der Plan
ist jedoch nicht, keine Treibhausgase mehr auszustoßen, sondern dass die
Wälder mehr CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen, als die Menschen emittieren.
Aktuell ist das Land [3][davon jedoch weit entfernt]. 2021 war Finnlands
Landnutzungssektor, also Moore, Landwirtschaft und Wälder, zum ersten Mal
eine netto Emissionsquelle. Hauptsächlich, weil zu viel Holz aus den
Wäldern geerntet wurde.
Und damit ist das nordische Land Teil einer langfristigen globalen
Entwicklung. Das [4][EU-Parlament schreibt] in der Einleitung zu ihrem
Vorschlag für das neue EU-Gesetzt, dass zwischen 1990 und 2020 etwa 10
Prozent der verbleibenden Waldfläche verloren gegangen sei. Mit 420
Millionen Hektaren mehr als die Fläche der EU.
Die Sonne ist schon lange wieder weg und mittlerweile ist allen Insassen
des Pressebootes kalt. Auch auf dem Frachter passiert nichts mehr neues,
die Banner und Aktivist:innen hängen immer noch in der Herbstluft.
Bleibt die Frage, ob das geplante EU-Gesetzt die finnischen Wälder wirklich
schützen könnte. Die anwesende Waldexpertin von Greenpeace zögert. Es komme
halt darauf an, wie das Gesetz jetzt ausgestaltet und später umgesetzt
werde. Ein langer und zäher Kampf.
In Lübeck neigt sich die Aktion dem Ende zu. Nach Stunden tauchen die
ersten Polizeiboote auf. Doch hektisch wird es nicht. Die Beamten winken
den Journalisten zu. Es sei doch wirklich ein Glück, dass es nicht
regne.
5 Nov 2022
## LINKS
[1] https://environment.ec.europa.eu/publications/proposal-regulation-deforesta…
[2] https://www.euractiv.com/section/energy-environment/news/finland-and-three-…
[3] /Waelder-werden-Netto-CO2-Produzenten/!5880047
[4] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2022-0219_EN.html#_sectio…
## AUTOREN
Clara Vuillemin
## TAGS
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