# taz.de -- Geschichten von Wanderschuhen: Adiós, treue Begleiter | |
> Irgendwann kann man Schuhen die vielen Reisen ansehen. Dann naht der | |
> unangenehme Moment mit nagelneuen Tretern in eine Berghütte | |
> hineinzustiefeln. | |
Bild: Vorbei ist vorbei, besser nicht zu sentimental werden | |
Nun sind sie endgültig am Ende. Ganz zuletzt war das Innenfutter gerissen, | |
nachdem die Sohle schon bis auf ein paar flache Höcker abgerieben war. Die | |
schwarze Matsche des Curauer Moores hatten ihnen den Rest gegeben, fast vor | |
der eigenen Haustüre gaben sie auf. | |
Acht Jahre lang waren meine Wanderschuhe meine wichtigsten | |
[1][nichtmenschlichen Reisefreunde] gewesen. Acht Jahre lang haben sie ihre | |
teuer erkaufte Schuldigkeit mehr als getan. Über die Felsen der Tatra sind | |
sie mit mir gepoltert, durch den Sand von Fehmarn gepflügt und sogar über | |
das Pflaster von Bangkok getrommelt. So manchen Käfer haben sie in den | |
Regenwäldern von Honduras zertreten, wurden schwer wie Blei im Dauerregen | |
von Sumatra, schwarz und glitschig in Neufundlands Sümpfen. | |
Etwas beschämt waren sie nur das eine Mal, als wir zusammen die weiten | |
Hänge zum Gipfel des [2][Kilimandscharo] hochstapften und unsere Träger | |
schwerbeladen vorauseilten – an den Füßen nichts anderes als Latschen aus | |
Schaumgummi. | |
Wie oft habe ich sie mir abends von den Füßen gerissen, stöhnend, | |
erleichtert, und doch dankbar für all die knöchelmordenden Schläge, die sie | |
abgefangen hatten. Und wie sie dampften dann am Feuer! | |
[3][Das Reiseleben hatte sie gezeichnet]: Schrundig, zerkratzt und vernarbt | |
standen sie in den Fluren der Hütten und blickten voller Herablassung auf | |
ihre jüngeren, piekfeinen Kameraden. Und verströmten trotz ihrer | |
Geschichte, wofür ich ihnen immer dankbar war, olfaktorisch gesehen ein | |
weitaus zarteres Odeur als die meisten ihrer Nachbarn. Zudem bewahrten sie | |
stets eine gewisse blasierte Eleganz: Selbst beim Regierungsempfang in | |
Usbekistan sah man sie mir nach. | |
## Wenig Platz für Sentimentalitäten | |
Nun war es nicht etwa so, dass ein alter Schuhmacher mit Nickelbrille aus | |
einem ungarischen Pusztadorf, der Letzte seiner Zunft, sie mir im kleinen | |
Kämmerlein in monatelanger Handwerkelei gefertigt und mit wehmütig Abschied | |
nehmendem Lächeln ausgehändigt hätte. Sie waren Hightech-Produkte, | |
hergestellt nicht mit Liebe, sondern mit dem wissenschaftlichen Background | |
zeitgemäßer Wanderschuhproduktion. In der modernen Welt des Intensivreisens | |
ist wenig Platz für Sentimentalitäten. | |
Ihre Nachfolger, mit Bauxitpolster, schockabsorbierender Dual-Grip-Sohle, | |
Lüftungskanälen und ionisiertem Silber als Geruchsbremse buhlen schon um | |
meine Gunst. Die Zeit der Entscheidung naht. Was danach kommt, wird hart: | |
Nichts ist schlimmer, als mit nagelneuen Schuhen in eine Berghütte | |
hineinzustiefeln. | |
Ihr aber, Freunde, ab mit euch ins Austragsstüberl. Zu den vollgestempelten | |
Pässen, dem verbeulten Hut, den vollen Notizbüchern. Für Euch gilt ab | |
sofort: Stillgestanden! Rührt Euch nicht mehr! Ihr habt es hinter euch. Ich | |
darf – hoffentlich bald – weiter. | |
3 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Franz Lerchenmüller | |
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