# taz.de -- Geräusche: Unsere Stadt soll schöner klingen! | |
> Die Anhänger der Soundscape-Bewegung suchen die "Klangschaft" hinter der | |
> Landschaft. Warum es sich lohnt, den Geräuschen um uns herum mehr | |
> Beachtung zu schenken. | |
Bild: Es kommt schon darauf an, was man sich so anhören muß. | |
Sie sind mitten unter uns und gehen ihrer Arbeit nach. Meist ohne dass wir | |
es merken. Mit Mini-Disc, Dat- oder Kassettenrekorder nehmen sie alles auf, | |
was wir an Geräuschen produzieren. Der Klang unserer Schritte, das Rascheln | |
von Einkaufstüten, das Quietschen von Kinderwägen - sie interessieren sich | |
für alles, jeder Klang ist gleichermaßen wichtig. Es sind Musiker, | |
Stadtplaner, Soziologen und Ethnologen darunter, die eine gemeinsame | |
Mission verfolgen: die Dokumentation unserer akustischen Landschaft, des | |
"Soundscape". | |
Sie wollen uns darauf aufmerksam machen, dass es nicht nur Sehens-, sondern | |
auch Hörenswürdigkeiten gibt. Yukio Van Maren King ist einer von ihnen. Er | |
studiert das Fach "Sound Studies" an der Berliner Universität der Künste, | |
das erst im April 2006 gegründet wurde und sich der akustischen Seite | |
unserer Umwelt widmet. Oft arbeitet er mit Originalkopfmikrofonen. Diese | |
Mikros sind winzig klein und sitzen an den Ohrstöpseln seiner Kopfhörer. So | |
läuft er unauffällig durch die Stadt und kann alles aufnehmen, ohne dass es | |
jemand merkt. Damit verhindert er, dass die Menschen sich beobachtet | |
fühlen, sich plötzlich anders verhalten, andere Laute von sich geben und | |
die Situation damit verfälschen. King ist aber kein Audio-Voyeur, für | |
persönliche Gespräche interessiert er sich nicht. Erst das Zusammenspiel | |
aller Geräusche weckt sein Interesse. In den letzten Jahren hat er eine | |
akustische Sammlung im Internet angelegt, den Berlincast. Hier kann man | |
sich die Geräusche der Hauptstadt anhören, zum Beispiel vom | |
Holocaust-Denkmal, von U-Bahnhöfen oder Restaurants. Viele Geräuschesammler | |
gehen ähnlich systematisch vor. Der Musiker Axel Haller beispielsweise | |
verfügt über ein Archiv von Bahnhofsgeräuschen aus ganz Deutschland. "Man | |
hört sofort, ob sie an einem Freitagnachtmittag oder Sonntagmorgen | |
aufgenommen wurden", sagt er. Andere Musiker wiederum nehmen willkürlich | |
Sounds auf, die sie dann später in ihre Kompositionen einarbeiten. | |
Die Geräuschkulisse seiner Heimatstadt Vancouver, Kanada, wühlte einen | |
jungen Komponisten namens R. Murray Schafer so auf, dass er den Kampf gegen | |
die "akustische Umweltverschmutzung" aufnahm und zum Vater der | |
Soundscape-Bewegung wurde. Bereits Mitte der Sechzigerjahre scharte Schafer | |
in Vancouver eine Gruppe von Studenten um sich, die sich dem Kampf gegen | |
die Lärmverschmutzung der Umwelt verschrieben hatte. Ein Jahrzehnt später | |
erschien sein Buch "The Tuning of the World", in dem er den Begriff | |
Soundscape einführt und seine Theorie einer "Akustischen Ökologie" | |
aufstellt. Für jedes Geräusch entwickelt er eine Regel: So lernt der Leser | |
zum Beispiel, dass eine Stadt dann zu laut ist, wenn er beim Spazierengehen | |
die eigenen Schritte nicht mehr hört. Das klangliche Gleichgewicht wäre | |
dann gestört. Er entwickelte überdies ein pädagogisches Hörtraining, bei | |
dem er seine Schüler auf die Straße schickte und ihnen auftrug, 20 Minuten | |
lang alles zu notieren, was sie an Geräuschen hörten. Dabei kam dann | |
zunächst nichts Überraschendes heraus, die Schüler hörten Autogeräusche, | |
Vogelzwitschern oder menschliches Stimmengewirr. Doch dann fiel ihnen | |
plötzlich das Geräusch auf, das der Stift beim Schreiben macht, oder das | |
eigene Atmen. Mit diesen Methoden hoffte Schafer, nach und nach das Gehör | |
der ganzen Welt zu schärfen. | |
Diese Vision hatte auch der US-amerikanische Komponist John Cage, der mit | |
seinem Stück "433 " berühmt wurde: Es besteht aus drei Sätzen mit der | |
Anweisung "Tacet", also aus völliger Stille. Ein Pianist zeigte die drei | |
Sätze durch Schließen und Öffnen des Klavierdeckels an. Das Publikum konnte | |
sich ganz auf die Geräusche im Saal konzentrieren, die während der Stille | |
entstanden. "Es gibt keine Stille", sagte Cage: "Das, was man bei meinem | |
Stück '433 ' als Stille empfand, war voller zufälliger Geräusche." | |
1993 gründeten Schafer-Schüler das World Forum for Acoustic Ecology (WFAE), | |
das die Soundscape-Tradition mit wissenschaftlichem Eifer und der | |
entsprechenden Ideologie fortführt. Die Mitglieder unterscheiden gute und | |
schlechte Geräuschkulissen und fordern, den Geräuschpegel in den Städten | |
generell zu senken. Das ist manchen Soundscape-Anhängern dann doch zu | |
dogmatisch - sie interessieren sich ausschließlich für den Charakter des | |
Hörbaren, ohne zu bewerten. "Absurd wird es natürlich dann, wenn etwa in | |
einem Café die Musik so laut ist, dass sie alle anderen Geräusche | |
übertönt", sagt Axel Haller. Für Schafer wäre dies die denkbar schlechteste | |
Geräuschsituation. | |
Um den Gründervater rankt sich eine Vielzahl blumiger Legenden. Als in | |
Paris die Metro-Linie "Buttes Chaumont" eingestellt werden sollte, flog er | |
über den Atlantik, um schnell noch die Fahrgeräusche dieser letzten | |
quietschenden U-Bahn mit Holzsitzen einzufangen. Er veranstaltete Konzerte | |
auf einem einsamen See in Kanada bei Sonnenaufgang, wobei die Musizierenden | |
jeweils als Waldmenschen verkleidet in einem Kanu gesessen haben sollen. | |
Die Vögel zwitscherten dazu, der Wind rauschte in den Bäumen. Die Zuhörer | |
standen am Ufer und sollten an bestimmten Stellen mitsingen und sonstige | |
Klänge einbringen. Künstler, Publikum und Umwelt musizierten gemeinsam. | |
"Die Musik gehört nicht den Aufführenden, sondern der gesamten Umgebung", | |
erklärte Schafer in einem Interview mit dem SWR. So esoterisch das auch | |
klingen mag, in seinen Wildnis-Kompositionen schlägt sich die fundamentale | |
Idee der Soundscape-Bewegung wieder: In der Klanglandschaft sind die | |
Menschen Komponisten, Interpreten und Zuhörer zugleich. Aus dieser These | |
folgt für Schafer unweigerlich die Verantwortung, den Klang der Welt | |
günstig zu beeinflussen, also die akustische Umwelt bewusst ästhetisch zu | |
gestalten. Sein Plan: Klangstrategien für ganze Städte oder Landschaften | |
entwickeln. Diese hohen Ambitionen blieben allerdings weitgehend ohne | |
Folgen, denn das esoterische Gebaren des Schafer-Umkreises verhinderte über | |
kurz oder lang jede konkrete Zusammenarbeit mit Architekten und | |
Stadtplanern. | |
Yukio King geht da pragmatischer vor. Er hat selbst Stadtplanung studiert | |
und arbeitet zurzeit an seinem Projekt "Urban Soundmarks". Darin will er | |
Schafers Pläne tatsächlich umsetzen und öffentlichen Gebäuden und Plätzen | |
einen spezifischen Klang verpassen. Für den Neuköllner Kiez beispielsweise | |
arbeitet er an einem stadtplanerischen Konzept, das die Klanggestaltung mit | |
einbezieht. Dabei geht es dann nicht nur darum, Autos umzuleiten und | |
Straßenbeläge zu erneuern. "Am effektivsten wäre es, neue Freiluftcafés zu | |
eröffnen, damit die Menschengeräusche die Atmosphäre verbessern," sagt | |
King. Ein schöner Gedanke, der aber vorerst auch nur Illusion bleibt. | |
Der Effekt von Geräuschkulissen wird deshalb oft unterschätzt, weil Klänge | |
unsere Stimmung meist unbewusst beeinflussen. Deutlich wird es dann, wenn | |
man vertraute Geräusche nach langer Zeit wieder hört. So lässt sich auch | |
erklären, warum Kings Berlincast bei Fortgezogenen ein starkes Heimatgefühl | |
hervorruft. Offenbar sind Sounds besser als Bilder dafür geeignet, ein | |
Gefühl von Heimat hervorzurufen, sie gehen ähnlich wie Gerüche direkt ins | |
Unterbewusstsein. So haben vielleicht manche Menschen das Brausen von Autos | |
über Kopfsteinpflaster schon immer mit ihrem Zuhause identifiziert, ohne es | |
zu wissen. Und wenn sie das Geräusch dann nach dem Umzug an eine | |
asphaltierte Straße nach Jahren wieder hören, fühlen sie sich unwillkürlich | |
an ihre Heimat oder Kindheit erinnert. | |
Wenn Geräusche eine solche Macht ausüben können, können sie auch | |
manipulieren. Das machen sich Sound-Designer zunutze. Bei Sound Design | |
denkt man zunächst an das Ploppen beim Öffnen von Bierflaschen oder das | |
satte Zuklappen von Autotüren, also an Produktdesign. Heute finden | |
bestimmte Fabrikate ihren Weg zum Konsumenten erst dann, wenn sie richtig | |
klingen. Noch darüber hinaus geht das sogenannte Audio Branding, bei dem | |
eine ganze Marke akustisch designt wird. | |
So haben es Klangdesigner bei der Telekom geschafft, dass man bei einem | |
bestimmten Akkord unweigerlich an die Farbe Magenta und fröhlich | |
telefonierende junge Menschen denkt. 1996 komponierte der Musikproduzent | |
Brian Eno den Klang, den Milliarden von Microsoftnutzern täglich beim | |
Hochfahren des Betriebssystems hören. "Alle wollen heute ein Klanglogo", | |
sagt King. Das Sound Branding ist auch Teil des Sound-Studies-Studiengangs | |
- und vermutlich der Bereich, wo sich das meiste Geld verdienen lässt. | |
In Berlin hat sich an manchen Stellen der Sound in sehr kurzer Zeit | |
verändert. Ein Lieblingsbeispiel von King ist der Helmholtzplatz im | |
Stadtteil Prenzlauer Berg. Dort klingt es heute ganz anders als noch vor | |
zehn Jahren. "Früher hörte man Hundegebell und klirrende Bierflaschen, | |
heute schreiende Kinder." Um die soziale Aufwertung des Viertels zu | |
erkennen, muss man nicht erst den Mietspiegel studieren. Es genügt, die | |
Ohren offen zu halten. | |
18 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Anne Meyer | |
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