# taz.de -- Die Arbeit eines Sounddesigners: Die Suche nach dem perfekten Krrsch | |
> Ercan Altinsoy tüftelt an Geräuschen herum, bis sie angenehm klingen – ob | |
> Autoblinker, Chips-Knuspern oder das leise Surren von Prothesen. | |
Bild: So sieht das Knuspern eines Kartoffelchip aus | |
DRESDEN taz | Das Ohr hat keinen Schließmuskel. Ständig dringen | |
Informationen in Form von Geräuschen hinein. Bemerkt wird das oft erst, | |
wenn sie lästig sind. Oder wenn man Akustiker ist. | |
Wie Ercan Altinsoy. Er klappt seinen Laptop auf. Der Professor für Akustik | |
und Haptik lehrt an der Technischen Universität in Dresden. Der Desktop | |
seines Laptops ist bis auf die letzte Ecke gefüllt. Er klickt ein Symbol | |
an. „Das ist ein Geräusch. Ein Fahrzeuggeräusch“, sagt er. Ein | |
quadratisches Bild erscheint auf dem Bildschirm. Es sieht aus, als hätte | |
Altinsoy das Foto eines Tulpenmeers bei Photoshop bearbeitet und alles mit | |
knalligem Blau, Pink und Gelb eingefärbt. Als Sounddesigner kann er solche | |
Bilder lesen. Es sind Diagramme von Geräuschen, die in einem | |
Koordinatensystem abgebildet sind. Die x-Achse zeigt die Zeit an, die | |
y-Achse die Frequenz. Die Farben geben Auskunft über die Lautstärke. | |
Altinsoy deutet auf besonders gelbe Stellen. „Das sind Ereignisse im | |
Geräusch“, sagt er. Mithilfe der Diagramme können Sounddesigner Geräusche | |
messen und überprüfen, welche Auswirkungen ihre Arbeit auf sie hat. Denn | |
Sounddesigner minimieren, verstärken und entwickeln Geräusche, um die | |
Kommunikation von Produkt und Mensch zu beeinflussen. | |
Zu Altinsoys Einsatzgebieten gehören Fahrzeuge, Haushaltsgeräte, Geschirr, | |
Prothesen und Lebensmittel – je nachdem, welche Hersteller ihn beauftragen. | |
Ihre Namen lauten Daimler, BMW, Volkswagen, Audi, Porsche. Was Lebensmittel | |
und Haushaltsgeräte angeht, nennt der Professor lieber keine Namen. „Viele | |
Hersteller sind der Meinung, dass die Geräusche ihre Magie verlieren, wenn | |
die Leute das Gefühl bekommen, sie sind künstlich gestaltet“, sagt er. | |
Geräusche auf Alltagstauglichkeit testen | |
Altinsoy spielt einige Töne vor, wie er es bei seinen Probanden macht. | |
Geräusche können zwar mit mathematischen Formeln modelliert werden, doch | |
der Test auf Alltagstauglichkeit führt bisher noch über Testpersonen. | |
Altinsoy träumt davon, mit seiner Grundlagenforschung eines Tages die | |
menschliche Hörwahrnehmung vollständig zu simulieren und Geräusche dann | |
danach auszurichten. | |
Der erste Ton, den er abspielt, hat große Ausschläge. Er breitet sich in | |
langsamen Abständen aus. „Rau“, sagt Altinsoy. Ein zweiter Ton schwingt | |
schneller, die Abstände sind nicht sehr hörbar. Angenehmer. | |
Nicht alle Menschen nehmen Töne aber gleich wahr. Sounddesigner können sich | |
deshalb nicht nach ihrem eigenen Geschmack richten, sondern müssen sich an | |
den Probanden orientieren. Dafür teilen sie sie nach ähnlicher Wahrnehmung | |
in Gruppen ein. Geht es um Fahrzeuge, können das fünfzig verschiedene sein. | |
Da gibt es Probanden, die ihr Leben lang nur S-Klasse gefahren sind, oder | |
eben die, die es klein und gemütlich mögen. | |
Sounddesign entwickelte sich schleichend. Durch die Elektrifizierung im 19. | |
Jahrhundert wurde man sich bewusst, dass Geräusche auch ein gezielt | |
gestaltetes Element sein können. Vor allem in den siebziger Jahren, als das | |
Automobil weiterentwickelt wurde, wurde das wichtig. | |
Notwendig oder nervig? | |
Altinsoy greift nach einer Spieluhr. Er zieht an ihrer weißen Schnur. Die | |
kleine Walze beginnt sich zu drehen, und „Für Elise“ erklingt. Altinsoy | |
stellt die Spieluhr auf ein Auto, das als Modell dient. Die Melodie wird | |
durch den Resonanzkörper verstärkt. Dann zückt er ein Kästchen. Es ist | |
innen gepolstert. Als er es über die Spieluhr stülpt, spielt „Für Elise“… | |
gleicher Lautstärke weiter. Er hebt nun Kästchen und Spieluhr noch einmal | |
an und fügt dem Versuchsaufbau eine kleine, dicke Platte zwischen Autodach | |
und Spieluhr hinzu, sodass das Kästchen die ganze Spieluhr umschließt. | |
Jetzt hört man die Musik wie aus der Ferne. Durch das isolierende Material | |
im Kästchen wird sie gedämpft, und durch die untergeschobene Platte | |
funktioniert das Auto nicht mehr als Resonanzkörper. | |
Altinsoy zeigt am Beispiel der Spieluhr, wie Sounddesigner mit den | |
Geräuschen einer beweglichen Handprothese arbeiten. Die Motoren der | |
Prothese waren so laut, dass sie störten, wenn jemand damit in einem Café | |
nach einer Tasse griff. „Alle Geräusche, die nicht relevant sind, sind | |
lästig“, sagt Altinsoy. | |
Bei einer Kaffeemaschine braucht es das Geräusch des Pumpens und der | |
Tasten, weil es zeigt, dass sie funktioniert. Es ist aber nicht notwendig, | |
sich 24 Stunden lang sicher zu sein, dass der Kühlschrank läuft. Deshalb | |
nervt das Geräusch. | |
Die Designer eliminierten also die Motorengeräusche an der Prothese, ganz | |
so, wie Altinsoy gerade das „Für Elise“ dämpfte. Dann fehlte der Prothese | |
jedoch jegliches Feedback. Deshalb wurden wieder leise Reibungsgeräusche | |
und ein Klacken beim Greifen der Kaffeetasse eingebaut, um Auskunft über | |
Geschwindigkeit und Stärke der Bewegungen zu geben. | |
Das Ohr isst mit | |
Altinsoy klopft beherzt auf einen Tisch, um zu zeigen, dass der dumpfe | |
Aufprall seiner Faust Informationen enthält. „Wir können sagen, um welches | |
Material es sich handelt, wir erfahren etwas über die Geschwindigkeit des | |
Klopfens, mit welcher Kraft ich geklopft habe und woher das Klopfen kommt“, | |
sagt er. | |
Kinder lernen das nach und nach. Und sie lernen auch, Geräusche zu | |
beschreiben. Altinsoy zeigt ein Bild aus einem Schulbuch der dritten | |
Klasse. Da werden Fahrzeuggeräusche den Fahrzeugteilen zugeordnet: Rumpeln | |
für die Reifen, Klick für den Blinker, Krach für den Auspuff. Für | |
Sounddesigner birgt das eine Herausforderung. Während sie von Lautheit, | |
Rauigkeit oder Schärfe sprechen, kontern Probanden mit Klappern, Brummen | |
oder Quietschen. Es ist nicht leicht, eine gemeinsame Sprache zu finden. | |
Wenn Altinsoy und seine Studierenden zum Beispiel das perfekte Knuspern | |
eines Chips herstellen, lassen sie zwanzig bis dreißig Menschen mit | |
unterschiedlichem Geschlecht und Alter, aber ungeschultem Gehör in einen | |
Kartoffelchip beißen. Die Aufnahmen werden dann am Computer mithilfe einer | |
Software verändert, sodass verschiedene Knuspergeräusche entstehen. Diese | |
werden den Testpersonen vorgespielt und gemessen, welche davon am besten | |
ankommen. | |
Die Wissenschaftler berechnen, wie der Kartoffelchip zusammengestellt | |
werden muss, damit er genau dieses Geräusch erzeugt, und beraten die | |
Hersteller dann zur Backdauer. Das Geräusch ist wichtig, denn die | |
Schallwellen des knackenden Geräusches werden beim Hineinbeißen über die | |
Kieferknochen zum Ohr gebracht. Das Ohr isst also mit. Und was knuspert, | |
wirkt frisch. Außerdem können sich so die Hersteller voneinander abheben. | |
Jedem das eigene Knuspern. | |
Andere Länder, andere Töne | |
Altinsoy führt in sein Herzstück an der Universität: das multimediale | |
Messlabor mit einer Plattform, die dreißig Zentimeter hin und her | |
geschwenkt werden kann. Hier werden Fahrzeuggeräusche und Haushaltsgeräte | |
getestet. Die Geräusche für Elektroautos zum Beispiel. Ab 2019 gibt es für | |
sie in der Europäischen Union eine Geräuschpflicht, wegen der Unfallgefahr. | |
Den Designern versprach die Entwicklung eines solchen Geräusches zunächst | |
viel Freiheit. | |
Doch sie scheiterten mit Ufo-Klängen, Turbinengeräuschen oder dem Gesurre | |
von Spielzeugautos an den Testpersonen, und nun klingen Elektroautos nach | |
den guten alten Autogeräuschen. Selbst in ihrem Inneren können über die | |
Audioanlagen Sounds für das bekannte Fahrgebrumme abgespielt werden. Beim | |
Beschleunigen wird es lauter, heult schon fast. Was das Auto betrifft, sind | |
die Menschen eben sehr konservativ. | |
„Töne lösen auch Gefühle aus“, sagt Altinsoy. „Es gibt Geräusche, die | |
Gefahr bedeuten, die traurig machen oder Freude bereiten. Das haben wir | |
gelernt, und das ist auch kulturell abhängig.“ Deshalb müssen manche | |
Geräusche für andere Länder anders produziert werden. | |
Die graue Wand des Messlabors ist von unzähligen kleinen Löchern | |
durchzogen. Leuchtet man mit dem Smartphone darauf, werden schwarze | |
Lautsprecher dahinter sichtbar. „464 Lautsprecher sind im ganzen Raum | |
verteilt. Aber versteckt, damit die Probanden nicht denken, dass die Sounds | |
von Lautsprechern kommen“, erklärt Altinsoy. Die Sounds können sich | |
regelrecht durch den Raum bewegen, wenn sie von wechselnden Lautsprechern | |
abgespielt werden. Es sind sowohl Aufnahmen als auch künstlich am Computer | |
hergestellte Sounds. | |
Neben Fahrzeugsimulationen werden im Labor auch Versuche zu virtueller | |
Realität gemacht: In dschungelartigen Klängen ist ein Tiger auszumachen, | |
der einen knurrend zu umkreisen scheint. Oder die Aufnahme einer Sängerin, | |
die von oben herab direkt ins Ohr zu singen vermag, je nachdem wie man den | |
Kopf neigt. | |
Wer nach all diesen Experimenten wieder ins Tageslicht tritt, bemerkt: Da | |
klingt ganz schön viel auf der Welt. | |
14 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Stella Schalamon | |
## TAGS | |
Wissenschaft | |
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Manipulation | |
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