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# taz.de -- Frauenpolitik in der Slowakei: Zurück in die Vergangenheit?
> Vor der Wahl haben Parteien Frauenpolitik für sich entdeckt, um
> konservative Wähler zu binden. Sie versuchen etwa, Abtreibungsregeln zu
> verschärfen.
Bild: Abgeordnete der SNS, die wollten, dass Frauen vor der Abtreibung den Herz…
Prag taz | Die Rolle der Frau in der slowakischen Gesellschaft wusste
Ludovit Stur, Vater der nationalen slowakischen Wiedergeburt des 19.
Jahrhunderts, so zu definieren: Vor allem müsse sie eine gute Haushälterin
sein, aber auch eine angenehme Gesellschafterin. Als Mutter sollte sie sich
vorsichtig, mutig und wohl gebildet um die Kinderaufzucht kümmern. Dafür
könne sie das öffentliche Leben den Männern überlassen, die seien
schließlich dafür gemacht, umschrieb Stur das Frauenbild seiner Zeit.
Davon hat sich die Slowakei längst gelöst: Mit der
[1][Menschenrechtsanwältin Zuzana Čaputová] haben die Slowaken sich im März
dieses Jahres als erster der vier [2][Visegrád-Staaten] eine Frau an die
Spitze ihres Staates gewählt. Die Frauenquote im Nationalrat beträgt um die
20 Prozent, was ungefähr dem EU-Durchschnitt entspricht. Und seit dem
erzwungenen Rücktritt des langjährigen Ministerpräsidenten Robert Fico im
Frühjahr 2018 haben es immer mehr Frauen ins Kabinett dessen Nachfolgers
Petr Pellegrini geschafft und leiten wichtige Ressorts wie Inneres oder
Justiz.
Doch an Versuchen, die Frauenpolitik des Landes zurück in die Zeiten
Ludovit Sturs zu drehen, mangelt es dabei nicht. Allein im gerade
ausgehenden Jahr preschten nationalistische und rechtspopulistische
Abgeordnete im Nationalrat vor, um die Abtreibungsgesetze in der Slowakei
zu verschärfen. Das größtenteils katholische Land zwischen Donau und Tatra
verfügt über eine relativ freizügige Abtreibungspolitik:
Schwangerschaftsabbrüche sind ohne viel Aufhebens bis zur 12. Woche
erlaubt, bei medizinischen Indikationen auch später.
Mit insgesamt fünf verschiedenen Gesetzesnovellen bemühten sich
Abgeordnete, dies zu ändern. Selbst ein völliges Abtreibungsverbot wie im
benachbarten Polen stand auf der Agenda. Ob es dabei darum ging,
„ungeborenes Leben zu schützen“, wie die Abtreibungsgegner von der „Alli…
für die Familie“ dabei nicht müde wurden zu betonen, ist fraglich. Denn
auch unter der bisherigen liberalen Gesetzgebung geht die Anzahl der
Schwangerschaftsabbrüche in der Slowakei konstant zurück: Im letzten Jahr
wurden 6.024 Eingriffe registriert.
## Ein Geschmäckle der Erniedrigung
Die Versuche, die Abtreibungsgesetze zu verschärfen haben eher ein
Geschmäckle der Erniedrigung. Ein Vorschlag, der es immerhin in die zweite
Lesung schaffte, sah verschiedene Zwangsmaßnahmen vor: Eine obligate
Ultraschalluntersuchung vor einem Eingriff zum Beispiel sollte dafür
sorgen, dass Frauen sich ihre Leibesfrucht anschauen müssen. Nicht nur das
– die Gesetzesnovelle, die von der rechten Slowakischen Nationalpartei
eingebracht wurde, wollte Ärzte dazu verpflichten, Frauen auch den
Herzschlag des Fötus vorzuspielen.
Dies sei im ersten Trimester aber nur durch eine Doppler-Untersuchung
möglich, die sehr hohe Risiken für das Ungeborene trage, erklärte der
Chefarzt der Gynäkologischen Uniklinik Bratislava, Josef Zahumensky, der
slowakischen Tageszeitung Denik N. Eine solche Untersuchung könne zu
Schäden am Herzen führen.
Zwar wurden bislang sämtliche Versuche, die Regeln für
Schwangerschaftsabbrüche zu verschärfen, vom Nationalrat abgeschmettert.
Aber noch ist das Thema nicht vom Tisch. Im Vorfeld der Wahlen, die am 29.
Februar 2020 stattfinden werden, kämpfen die Parteien um den konservativen
Wähler. Dass der einiges an Potential birgt, hat eine Antiabtreibungsdemo
im September in Bratislava nahegelegt, zu der es über 50.000 Menschen auf
die Straße trieb.
Genug Wählerpotential also, um die Parteien zu einem Schulterschluss zu
führen, sie befürchten, die Wahlen könnten zu einem Wechsel der Eliten und
Paradigmen in der slowakischen Politik führen. Sie haben die Frauenpolitik
für sich entdeckt, um so um den konservativen Wähler zu buhlen. Und um von
wichtigen Themen wie Korruption oder Justizmafia abzulenken, um die es in
diesen als schicksalhaft empfundenen Wahlen wirklich geht.
## Abkommen gegen Gewalt an Frauen abgeschmettert
Zu diesem Zweck schließen sich inzwischen sogar die Sozialdemokraten des
regierenden SMER mit den Rechten der Nationalpartei (SNS) und den Neonazis
der Slowakischen Volkspartei –Unsere Slowakei zusammen. In trauter
Einigkeit haben sie es etwa kürzlich abgelehnt, das Istanbul-Abkommen zur
Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu
ratifizieren. Nach der Abstimmung stellte die SNS liberale Abgeordnete, die
sich gegen ihren Antrag gestellt hatten, auf Facebook an den Pranger.
Sollten die Wahlen eine Mehrheit für diese konservativ-nationale Front
erbringen, dann werden am 29. Februar in der Slowakei die Uhren in Sachen
Frauenpolitik ein paar hundert Jahre zurückgestellt.
5 Jan 2020
## LINKS
[1] /Kommentar-Zuzana-aputovas-Wahlsieg/!5582006
[2] /Kommentar-EU-und-Visegrad-Gruppe/!5604067
## AUTOREN
Alexandra Mostyn
## TAGS
Slowakei
Schwerpunkt Paragraf 219a
Emanzipation
Alberto Fernández
Kulturpolitik
Slowakei
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