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# taz.de -- Wahl in der Slowkei: Das Ende einer Ära
> Der Mord an dem Journalisten Kuciak hat die slowakische
> Parteienlandschaft umgekrempelt. Am Samstag könnte ein
> Überraschungskandidat gewinnen.
Bild: Gedenkveranstaltung für Jan Kuciak und seine erlobten Martina Kusnirova …
Prag taz | Vierzehn Stunden. So viel Zeit haben am Samstag die Slowaken, um
die politische Karte ihres Landes neu zu zeichnen. Bunt wird sie bleiben,
das ist sicher. Denn sämtlichen Umfragen nach sollten es mindestens sieben
Parteien über die Fünf-Prozent-Hürde in den Nationalrat, das slowakische
Parlament, schaffen. Nur werden die Farben anders verteilt sein: Das Rot
der sozialdemokratischen Smer wird zum ersten Mal in zwölf Jahren nicht
mehr die Mehrheit der 150-Sitze einnehmen.
Das Ende der Übermacht der Smer begann vor genau zwei Jahren: Ende Februar
2018 fand die Polizei die Leiche des jungen Journalisten [1][Ján Kuciak und
die seiner Freundin Martina Kušnírova]. Beide waren in ihrem Haus
regelrecht hingerichtet worden.
Der Auftragsmord erschütterte die Slowakei und legte vor allem die mafiösen
Strukturen offen, die unter der jahrelangen politischen Vorherrschaft der
Smer und vor allem ihres Übervaters Róbert Fico gediehen waren. Die
protestierenden Massen, [2][die Fico innerhalb von zwei Wochen nach dem
Mord ins politische Aus stießen] – nach insgesamt 12 Jahren als
Ministerpräsident – sollten recht behalten. [3][Der mutmaßliche Drahtzieher
im Kuciak-Mord, Marián Kočner], war ein Nachbar Ficos. Kočner fühlte sich
durch Fico beschützt, das belegen Chat- und Telefonprotokolle.
In Ficos Nachfolger als Regierungschef, den smarten Peter Pellegrini,
fanden die Slowaken nie den starken Mann, den viele in ihren Politikern
suchen. Zwei Drittel der Slowaken bezeichnen sich in Umfragen als
konservativ mit traditionellen Werten und einer Vorliebe für charismatische
Persönlichkeiten.
Im Wahlkampf überschlugen sich nun die sozialdemokratische Smer, die
faschistische Volkspartei (LSNS), die Nationalisten, aber auch die
Anti-System-Parteien in ihrem Buhlen um den konservativen Wähler. So
lehnten drei Tage vor der Wahl Nationalratsabgeordnete sämtlicher Couleur
noch schnell vor der Ende der Legislaturperiode eine Ratifizierung der
sogenannten [4][Istanbul-Konvention mehrheitlich ab, in der sich
europäische Staaten zur Verhütung von Gewalt an Frauen bekennen].
Und Ministerpräsident Pellegrini unternahm einen letzten Versuch, dem
Wählerschwund entgegenzuwirken: Wohl bewusst, dass Smer vor allem bei
Rentnern punktet, drückte Pellegrinis Regierung noch schnell ein Gesetz
über eine 13. Rentenzahlung pro Jahr durch.
## Kooperieren Sozialdemokraten mit Faschisten?
Lange sah es tatsächlich so aus, dass die Smer ohne Fico zwar Federn lassen
aber dennoch stärkste Partei im Nationalrat bleiben würde. Die Frage bleibt
jedoch, mit wem die Sozialdemokarten künftig reregieren werden. Nach den
Last-Minute-Abstimmungen im Natioanlrat scheint nicht einmal eine Koalition
aus Faschisten und Sozialdemokraten unrealistisch.
Allerdings kommen selbst beide zusammen kaum auf eine Mehrheit. Die Smer,
die zu ihren Hochzeiten bei über 40 Prozent lag, soll laut Umfragen keine
20 Prozent mehr bekommen. Die Faschisten liegen relativ konstant bei etwa
zehn Prozent.
Die Nationalpartei SNS wie auch die Partei der ungarischen Minderheit
Most-Hid werden laut Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Doch für
mehrere so genannte Anti-System-Parteien werden 6 bis 7 Prozent
prognostiziert, etwa für „Wir sind Familie“, die Partei des Wendegewinnlers
und Miliardärs Boris Kollar.
Unwahrscheinlich ist, dass die liberale „Freiheit und Solidarität“ weitere
vier Jahre Smer stützen würde. Noch unwahrscheinlicher, dass die beiden
Debütanten auf der slowakischen Politbühne, die „Progressive Slowakei“,
politische Heimat von [5][Präsidentin Zuzana Čaputová], und „Für die
Menschen“, die frisch gegründete Partei des Ex-Präsidenten Andrej Kiska,
mit der Smer kooperieren werden. Beide verstehen sich als Parteien der
Zivilgesellschaft und punkten vor allem bei jüngeren Slowaken in größeren
Städten.
Die slowakische Parteienlandschaft ist zerklüftet wie die Hohe Tatra.
Möglich auch, dass die Wahl gar keine koalitionsfähige Regierung
hervorbringt. Dann könnte Präsidentin Čaputova eine handverlesene
Interim-Regierung ernennen, die bis zur Neuwahl die Geschäfte übernimmt.
## Igor Matovič, der mögliche Überraschungssieger
Kurz vor Öffnung der Wahllokale am Samstagmorgen punkt acht, erhielt die
Wahl einen frischen Antrieb. Recht unerwartet kam ein neuer Joker ins
Spiel: Igor Matovič und seine Anti-Korruptionspartei OLaNO (Einfache
Menschen und unabhängige Persönlichkeiten) kam laut zwei Online-Umfragen
unter 9.000 Teilnehmern überraschend auf Platz eins der Wählergunst.
Beide Umfragen renommierter Meinungsforschungsinstitute hatten sich die
Teilnehmer durch eine einzigartig Crowd-Funding-Aktion finanziert, um so
online das umstrittene gesetzlichen Moratorium zu umgehen, dass eine
Veröffentlichung von Wahlumfragen die letzten vierzehn Tage vor der Wahl
verbietet.
Mit Matovič, der mit seiner Plattform in Umfragen konstant bei sechs
Prozent lag, hatte keiner gerechnet. Der 46-jährige Showman hat sich in
seiner nun zehn Jahre währenden Politkarriere das Image des Enfant Terrible
der slowakischen Politik wohl verdient. Auch er setzt auf konservative
Wähler. Er würde keine Koalition unterstützen, die die
„gleichgeschlechtliche Partnerschaft einführen, Drogen legalisieren oder
EU-Flüchtlingsquoten einführen würde“, stellte Matovič gleich zu Beginn d…
Wahlkampfs fest.
Als Herausgeber von landesweiten Anzeigenblättchen hat er aber auch
gelernt, dass man die Leute vor allem unterhalten muss. So bestückt er die
Kandidatenlisten seiner OLaNO bevorzugt mit regional bekannten
Persönlichkeiten und fährt vor allem auf einem Anti-Korruptionsticket.
Matovičs Stärke liegt aber weniger in seinen politischen Positionen,
sondern der Art, wie er sie rüberbringt: mal fährt er nach Zypern oder nach
Cannes und filmt die Firmen und Villen derer, die von den mafiösen
Strukturen des Staates profitieren. Mal schüttet er öffentlichkeitsträchtig
eine Tasche von Spritzen im Nationalrat aus, um gegen eine zu laxe
Drogenpolitik zu protestieren.
29 Feb 2020
## LINKS
[1] /Ein-Jahr-nach-dem-Mord-an-Jan-Kuciak/!5572072
[2] /Regierungskrise-in-der-Slowakei/!5489117
[3] /Prozess-im-Fall-Jan-Kuciak/!5652266
[4] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/frauenrechte/istanbul-ko…
[5] /Praesidentschaftswahl-in-der-Slowakei/!5584346
## AUTOREN
Alexandra Mostyn
## TAGS
Slowakei
Ján Kuciak
Wahlen
Schwerpunkt Rassismus
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