# taz.de -- Fotograf Ara Güler ist tot: Das Auge von Istanbul | |
> Er reiste als Journalist durch die Krisenherde der Region und | |
> porträtierte Erdoğan und Picasso. Nun ist der türkische Fotograf Ara | |
> Güler gestorben. | |
Bild: Der türkische Fotograf Ara Güler, Archivbild aus dem Jahr 2017 | |
Wer je etwas länger in Istanbul war, kennt seine Bilder. Einige von ihnen, | |
wie die Tram im Schnee auf der İstiklal, die Fotos der Werftarbeiter am | |
Goldenen Horn oder die der Fischer vom Marmarameer sind längsten zu Ikonen | |
der Stadt und ihrer Menschen geworden. Wer die Menschen Istanbuls im | |
Verlauf der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg kennen lernen will, muss | |
die vielfach gedruckten, berühmten Schwarz-weiß-Fotos Ara Gülers anschauen. | |
Mit seinen Fotos hat er die Seele der Stadt eingefangen. | |
Nach langer Krankheit ist Ara Güler, Jahrgang 1928, der eigentlich Aram | |
Gülerjan hieß und aus einer armenischen Familie stammte, am Mittwochabend | |
in einer Istanbuler Klinik nach 90 erfüllten Jahren gestorben. | |
In jüngster Zeit trat Güler wegen seiner Krankheit nur noch selten | |
öffentlich in Erscheinung. Wenn überhaupt konnte man ihn im Café im | |
Erdgeschoss seines Hauses im Istanbuler Stadtteil Beyoğlu treffen, wo er | |
gelegentlich noch mit Freunden und Bekannten plauderte. In Beyoğlu, wo sein | |
Vater eine große Apotheke besaß, ist Ara Güler auch aufgewachsen. Schon als | |
Jugendlicher hatte er Kontakte zu den Istanbuler Filmstudios „Yeşilçam“, | |
weil er etliche Schauspieler, die in der Apotheke seines Vaters ihr Make-up | |
erwarben, ebendort früh kennenlernte. | |
Doch nachdem er mit 22 Jahren seine erste Leica geschenkt bekommen hatte, | |
war es um ihn geschehen. Statt als Filmproduzent startete Güler 1950 als | |
Fotojournalist für das Istanbuler Blatt Yeni İstanbul ins Leben. Aus den | |
folgenden zwei Jahrzehnten stammen seine berühmtesten Istanbul-Fotos. Güler | |
startete aber bereits ab 1958 auch eine internationale Karriere. Er wurde | |
Nahost-Korrespondent für das amerikanische Time-Life-Magazin und bereiste | |
sämtliche Krisenherde der Region. Dabei lernte er Henri Cartier-Bresson | |
kennen, der ihn für die Magnum-Fotoagentur anwarb. | |
## Von Gandhi bis Willy Brandt | |
Danach standen Ara Güler alle Türen offen. Er fotografierte Filmstars in | |
Cannes und PolitikerInnen von Indira Gandhi bis Willy Brandt. Berühmt | |
wurden auch seine Porträts von Pablo Picasso, Salvador Dalí und Marc | |
Chagall. Doch seine Liebe gehörte seiner Heimatstadt Istanbul. In einem | |
Interview sagte er einmal: „Warum ist Istanbul meine Stadt? Nicht wegen der | |
glorreichen Historie oder der berühmten Feldzüge. Nein, ich habe mich hier | |
verliebt, in jede Ecke gepisst, ich bin dort verprügelt worden und habe | |
andere verprügelt. Ich habe in Istanbul eine Vergangenheit. In das Gemäuer | |
hat sich mein Geruch eingenistet. Deshalb ist Istanbul meine Stadt.“ | |
Diese Liebe zu Istanbul zeigte sich in seinem Interesse an den Menschen der | |
Stadt. „Wenn ich die Hagia Sophia fotografiere, kommt es darauf an, welche | |
Menschen mit auf dem Bild sind“, sagte er. „Mich interessiert das Leben der | |
Leute.“ Für seine Fotografien ist Ara Güler vielfach ausgezeichnet worden, | |
zuletzt 2009 mit dem „Lucie Award“ für sein Lebenswerk in New York. Etliche | |
Istanbul-Bücher sind mit seinen Bildern illustriert, aber vor allem die | |
Fotobände seiner Porträts von Menschen in Istanbul haben ihm den Beinamen | |
„Das Auge Istanbuls“ eingebracht. | |
Innerhalb der türkischen Linken und Intellektuellenszene hat sein Ruf | |
allerdings gelitten, weil er sich vor einigen Jahren dazu bereitgefunden | |
hatte, die Präsidentenfamilie zu porträtieren. Obwohl Recep Tayyip Erdoğan | |
da schon längst seinen Ruf als Reformer verloren hatte. Das, sagen viele, | |
hätte nicht sein müssen. | |
Dennoch, Istanbul, die Türkei und die Welt hat einen großen Fotografen | |
verloren. | |
18 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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