| # taz.de -- Filmfestspiele Venedig: Dramatische Eröffnung | |
| > Die Filmfestspiele Venedig eröffnen mit "Atonement" - der Verfilmung von | |
| > Ian McEwans Roman "Abbitte". Doch das Liebesdrama mit Vanessa Redgrave | |
| > will zu viel. | |
| Bild: Vanessa Redgrave (m) scheint sich auf den Eröffnungsfilm zu freuen | |
| Der Eröffnungsfilm, "Atonement" von Joe Wright, versucht sich als | |
| eierlegende Wollmilchsau. Er will verführerisch sein, indem er die Reize | |
| Keira Knightleys auskostet, er will Intrigen spinnen und dabei die | |
| Gefühlsabgründe einer Familie ausleuchten, er will historische | |
| Bedeutsamkeit gewinnen, indem er die Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs | |
| abschreitet, er will ein bisschen Action, und er will mit aller Macht in | |
| tragischer Verwicklung schwelgen. Mit dem Ergebnis, dass nichts zu seinem | |
| Recht kommt - die Eier schmecken nach Fischmehl, die Milch ist sauer, die | |
| Wolle kratzt, und das Schnitzel will nicht auf der Zunge zergehen. | |
| Zu Grunde liegt "Atonement" der gleichnamige Roman des britischen | |
| Schriftstellers Ian McEwan, unter dem Titel "Abbitte" ins Deutsche | |
| übersetzt. Im Zentrum steht eine tiefe Schuld. Die 13 Jahre alte Briony | |
| Tallis (Saoirse Ronan) lädt sie auf sich, als sie am Ende eines langen, | |
| heißen Sommertages den Geliebten ihrer älteren Schwester Cecilia (Keira | |
| Knightley) einer Vergewaltigung bezichtigt, die er nicht begangen hat. Ort | |
| der Handlung ist ein stattliches Anwesen, umgeben von gepflegten Gärten, | |
| von Teichen, Brunnen und Seen, Zeit der Handlung ist das Jahr 1935. Cecilia | |
| und Briony sind Töchter des Landherren, Robbie, der Geliebte (James | |
| McAvoy), ist Sohn des Hausmeisters. | |
| In seiner ersten Stunde bleibt "Atonement" diesem Handlungs- und Zeitrahmen | |
| treu - und ist hier am ehesten bei sich, in den Bildern der sattgrünen | |
| Wiesen, Gärten und Haine, im Zeitkolorit der Badeanzüge, Sommersakkos und | |
| Abendroben, in den holzgetäfelten Gängen und blumenreich tapezierten | |
| Zimmern des Herrenhauses. Nach und nach malt Wright den sommerlichen | |
| Müßiggang aus und darunter, in einer zweiten Schicht, die Eifersucht der | |
| jungen, fantasiebegabten Briony sowie die Verliebtheit der älteren Cecilia, | |
| die sich erst zögerlich, dann aber mit Begeisterung über den | |
| Klassenunterschied hinwegsetzt. | |
| Der Film erlaubt sich hier eine hübsche Pointe: Robbie setzt zwei Briefe an | |
| Cecilia auf. Im ersten benutzt er liebevoll und träumend das Wort "cunt" | |
| (Fotze). Im zweiten entschuldigt er sich für eine Unziemlichkeit. Natürlich | |
| soll der zweite Brief Cecilia erreichen, doch den ersten hält sie in den | |
| Händen. Das schafft für einen Augenblick viel Glück und richtet wenig | |
| später großes Unheil an. | |
| Nicht nur für die Figuren, auch für den Film. Denn kaum wird Robbie | |
| verhaftet - in einer von zahlreichen Spielfilmen benutzten und | |
| dementsprechend ausgelaugten Geste drückt ein Polizist seinen Kopf nach | |
| unten, gestattet ihm einen letzten Blick zurück und zwingt ihn dann ins | |
| Innere des Polizeiautos -, verliert Wrights Film Rhythmus und Stil. | |
| Einstellungen auf eine Eule, eine Kröte oder Close-ups auf die Wunden | |
| verletzter Soldaten suggerieren Bedeutung, sind aber nicht mehr als Dekor. | |
| Der Soundtrack, der auf dem Geräusch einer mechanischen Schreibmaschine | |
| aufbaut, wird immer penetranter. Eine Einstellung auf die Leichen von | |
| Schulmädchen, in einem nordfranzösischen Apfelhain drapiert, treibt die | |
| Tendenz zum Schwelgen in Versehrung auf eine hässliche Spitze. Und die | |
| Zeitsprünge - von 1935 über die Kriegsjahre in die Gegenwart und zurück - | |
| stiften bemüht Unruhe. | |
| Am Ende beichtet die nun von Vanessa Redgrave gespielte, zur Erfolgsautorin | |
| gewordene Briony dem Moderator einer Literatursendung das Geheimnis ihres | |
| Lebens. Man muss schon an Fernsehbeichten glauben, um "Atonment" bis | |
| hierhin zu folgen. | |
| 29 Aug 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Cristina Nord | |
| Cristina Nord | |
| ## TAGS | |
| Gesellschaftskritik | |
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