# taz.de -- Filmemacherin Hensdiek über Vaginismus: „Der Ursprung sitzt im K… | |
> Die Bremer Filmemacherin Susanne Hensdiek berichtet unter dem Titel | |
> „Keine richtige Frau – Tabu Vaginismus“ von einer verdrängten sexuellen | |
> Störung. | |
Bild: Gebrochenes Schweigen: Eine der vier Frauen, die vor der Kamera von Susan… | |
taz: Warum sind Sie der Meinung, dass die Krankheit Vaginismus, also die | |
unwillkürliche Verspannung der Vaginalmuskulatur, ein Tabu ist? | |
Susanne Hensdiek: Als ich vor ein paar Jahren mit meinen Recherchen zu dem | |
Thema anfing, war dazu nur sehr wenig zu finden. Ich fand es interessant, | |
dass keiner darüber spricht. Ich habe dann über 200 Erfahrungsberichte | |
gelesen und bei fast allen Frauen war es so, dass sie lange vergeblich | |
versucht haben, sich zu informieren. Die Ärzte sagten ihnen: „Trinken Sie | |
mal ein paar Gläser Wein, dann geht das schon!“ Oder: „Es ist wohl noch | |
nicht der Richtige gewesen.“ Wenn eine Frau das ein paar Mal gehört hat, | |
stellt sie sich die Frage, ob mit ihr etwas nicht stimmt. | |
Seit wann gibt es diese Krankheit? | |
Ich fand heraus, dass die Schwester von Sigmund Freud daran operiert wurde. | |
Es ist also ein ganz altes Phänomen, das in den verschiedenen Zeiten und | |
Kulturen unterschiedlich behandelt wird. In der Türkei ist es zum Beispiel | |
viel präsenter. Da bieten viele Ärzte Behandlungen an. | |
Einer der Protagonistinnen Ihres Films wurde dann ja auch von ihrem | |
Frauenarzt gesagt, sie könne gar keinen Vaginismus haben, weil nur | |
muslimische Frauen darunter leiden würden. | |
In den Erfahrungsberichten gibt es viele sehr schräge Erfahrungen mit | |
Ärzten. Einige waren so unsensibel den Frauen gegenüber, dass diese bei den | |
Untersuchungen von den Schmerzen ohnmächtig wurden. | |
Woher kommt dieses Nichtwissen vieler Ärzte? | |
Ich glaube, das liegt daran, dass es beim Vaginismus sowohl um den Körper | |
als auch die Psyche geht. Der Ursprung sitzt im Kopf und der Körper macht | |
sich dann selbstständig. Die Frauen erwarten einen Schmerz, deswegen | |
verkrampfen sie und dann tut es weh. Das ist wie eine Spirale. Und der | |
Knoten wird dann auch im Kopf gelöst. Wenn sie merken, dass es doch geht, | |
ist es im Grunde geschafft. Deshalb reichen bei der Behandlung weder die | |
rein physiologischen noch die psychologischen Methoden. Ich hatte den | |
Eindruck, dass die Schulmediziner sich auf die rein körperlichen Aspekte | |
des Leidens konzentrieren. | |
Warum vermeiden Sie in Ihrem Film den deutschen Begriff für diese Symptome | |
„Scheidenkrampf“? | |
Ich finde das Wort fürchterlich. Es klingt blöd und wird oft gebraucht bei | |
dieser Geschichte von dem Mann, der aus seiner Freundin nicht rauskommen | |
kann, weil sie einen Scheidenkrampf hat. Nach meinen Recherchen hat das mal | |
als ein Witz angefangen und geistert seit dem als Mythos im Internet. Aber | |
beim Vaginismus ist das Problem ein anderes: Raus geht es, es geht nur | |
nicht rein. | |
Sie haben 2006 für das Treatment des Films den Dokumentarfilmförderpreis | |
des Bremer Filmbüros bekommen. Der Film ist jetzt erst fertig geworden. | |
Warum hat das so lange gedauert? | |
Es war schwierig, die Protagonistinnen zu finden, denn es gehört viel dazu, | |
offen vor der Kamera über diese Krankheit zu sprechen. Das Kennenlernen, | |
vorsichtige Herantasten und Überwinden von Zweifeln hat lange Zeit | |
gedauert. Dann gab es bei den vier Frauen Phasen, in denen sie nichts mit | |
dem Film zu tun haben wollten, und ich habe immer sie entscheiden lassen, | |
wann gefilmt wurde. | |
Schließlich gab es 80 Stunden Interviewmaterial, das transkribiert, | |
geordnet und geschnitten werden musste. Als Kamerafrau und Cutterin bin ich | |
zwar vom Fach, musste aber immer nebenbei mit meiner Arbeit bei den | |
öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten mein Geld verdienen. | |
In Ihrem Film stellen Sie vier Protagonistinnen vor, die jeweils ganz | |
anders mit ihrer Krankheit umgehen. Worin liegen die Unterschiede? | |
Die eine hat den Weg gewählt, mit möglichst vielen Männern zu schlafen, | |
weil sie glaubte, es läge nicht an ihr, sondern an den Männern. Sie ist | |
dann immer weit über die Schmerzgrenze hinaus gegangen. Sie sagt, sie habe | |
zehn Jahre gelitten und nach der Diagnose brauchte sie dann nur vier | |
Monate, um das Problem in den Griff zu bekommen. Im Gegensatz dazu weigert | |
sich eine andere Frau, nur den Männern zuliebe Schmerzen zu ertragen. | |
Sie hat für sich selber einen anderen, eher feministischen Weg gefunden, | |
ihre Krankheit zu verarbeiten. Die dritte geht das Problem eher sachlich | |
an. Sie hat sich mit der Fachliteratur schlau gemacht und ist inzwischen | |
die Moderatorin des Selbsthilfeforums. Und dann gibt es noch ein Ehepaar, | |
das auch einen starken Kinderwunsch hatte. Sie haben ihre Schwierigkeiten | |
gemeinsam bewältigt und inzwischen haben sie eine Tochter, die allerdings | |
per Kaiserschnitt zur Welt kam. Der Arzt hat die Frau wohl auch deshalb | |
dazu gedrängt, weil er um ihren Vaginismus wusste. | |
Sie haben Ihre Protagonistinnen im Netz gefunden, außerdem haben diese erst | |
durch Internet-Recherche eine Vorstellung von der eigenen Krankheit | |
bekommen. Handelt der Film nicht auch vom Internet? | |
Das Internet war für sie eine ganz große Hilfe. Davor gab es für die Frauen | |
kaum Möglichkeiten, zu erfahren, was man dagegen tun kann. Die | |
Fachliteratur ist fast nur in Englisch und für Laien kaum verständlich. | |
Dann gab es die Homepage einer Betroffenen, die über Jahre die einzige | |
Quelle war, die man schnell finden konnte. Aus dieser Seite ist das | |
Selbsthilfeforum entstanden, bei dem auch drei meiner Protagonistinnen sich | |
kennengelernt haben. | |
Verblüffend ist ja, wie einfach der Vaginismus zu heilen ist. Es sind zwar | |
oft auch Therapiesitzungen nötig, aber am wichtigsten ist es, mit | |
sogenannten „Dilatoren“ zu üben. | |
Diese Dilatoren sind ja im Grunde nichts anderes als Dildos, wie es sie in | |
Sexshops zu kaufen gibt. Aber viele bevorzugen das im medizinischen | |
Fachhandel erhältliche Set, weil es als Heilmittel anerkannt ist, von den | |
Krankenkassen bezahlt wird und es weniger Hemmschwellen gibt. Die Dilatoren | |
im Set haben verschiedene Größen und für manche Frauen sind die Abstufungen | |
nicht ausreichend. Der damalige Freund einer der Protagonistinnen hat dann | |
für sie eine Zwischengröße aus Holz gebastelt. Das ist ja auch ein schöner | |
Liebesbeweis, denn wer geht schon in den Keller und drechselt seiner | |
Liebsten ein Dildo? | |
## „Keine richtige Frau“: Premiere am 1. März, 20 Uhr, City 46, Bremen | |
27 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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