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# taz.de -- Eugen Kukla über Proteste in Tschechien: „Training für die Zivi…
> Der Reporter Eugen „Evžen“ Kukla spricht über die andauernden Proteste
> gegen Tschechiens Regierungschef Andrej Babiš.
Bild: 4. Juni 2019: Proteste gegen Regierungschef Andrej Babiš in Prag
taz: Herr Kukla, Prag hat am Sonntagnachmittag die größte Demonstration
seit der [1][samtenen Revolution vor 30 Jahren] erlebt. Worum ging es bei
den Protesten genau?
Eugen Kukla: Ich betrachte diese Demonstration als eine Art
zivilgesellschaftliches Training. Wir üben uns in der Kunst, uns Ausdruck
zu verschaffen, wenn wir das Gefühl haben, dass in der Politik irgendwas
nicht stimmt. Immer mehr Menschen hier haben das Gefühl, dass unsere
höchsten Vertreter, obschon gewählt, einige Grenzen überschritten haben.
Welche Grenzen sind das?
Das ist ganz verschieden. Die einen stören sich am Interessenkonflikt von
Ministerpräsident Andrej Babiš, am Fall „Storchennest“, am Vorwurf des
Missbrauchs von Subventionen der EU. Wieder andere sehen die Demokratie in
Tschechien dadurch gefährdet, dass der Ministerpräsident wirtschaftliche,
politische und mediale Macht in seiner Hand konzentriert. Oder sie wollen
es nicht länger hinnehmen, dass das Niveau der politischen Kultur immer
tiefer sinkt und zunehmend von einer gewissen Arroganz der Macht
vereinnahmt wird.
Was ist denn in den vergangenen 30 Jahren in Tschechien schiefgelaufen,
dass ein klassischer Oligarch wie [2][Andrej Babiš] Wahlen gewinnt? Und
das sogar in Zeiten wirtschaftlichen Wohlstands?
Ich glaube, das hat viel mit Faulheit und Desinteresse zu tun. Ich bin
überzeugt, dass Andrej Babiš, ganz wertfrei gesagt, ein sehr fähiger Mann
ist. Aber er hat einen Raubtierinstinkt und hervorragende Verbindungen und
Kontakte zu merkwürdigen Seilschaften, die aus einer vergangenen Zeit übrig
geblieben sind. Er ist eine sehr starke Persönlichkeit, gleichzeitig ist er
aber auch überraschend oberflächlich. Das ist nicht unbedingt eine gute
Kombination.
Warum wird er dann gewählt? Mit seiner ANO-Bewegung stellt Babiš seit
Jahren die stärkste politische Kraft im Land.
Babiš wird als fähiger Manager angesehen und gewählt in der Hoffnung, dass
er den Staat so effektiv wie seine Firmen lenkt. Dem, denke ich, liegt das
Missverständnis zugrunde, dass der Staat wie eine Firma gemanagt werden
kann. Das kann aber nur schlecht enden. Denn ein Unternehmen ist eine Sache
und eine Gesellschaft, eine Bürgergesellschaft, eine andere.
Was würde denn passieren, wenn Babiš dem Druck der Proteste nachgäbe und
zurückträte? Wäre das wirklich ein Augenblick der Demokratie?
Solange die Proteste friedlich bleiben, läuft alles im demokratischen
Rahmen ab. Und trotz aller Unzulänglichkeiten funktioniert die Demokratie
bei uns in Tschechien noch immer. Wir haben keinen Grund für eine
Revolution. Aber die Zeit ist jetzt gekommen, den skrupellosen unter
unseren politischen Vertretern klar die Meinung zu sagen. Darum geht es vor
allem. Natürlich wird Babiš nicht zurücktreten. Wenn er das aber tun würde,
dann wäre es seine eigene Entscheidung. Ich befürchte allerdings, dass in
diesem Fall noch viel schlimmere Dämonen an die Macht kommen würden.
Vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube, dass die Demonstrationen ein
Feedback für unsere Politiker darstellen.
Neuwahlen wären auch ein Feedback. Die würde Babiš aber wieder gewinnen.
Und möglicherweise sogar mit einem stärkeren Mandat als jetzt. Es gibt ja
keine wirkliche Opposition, weder im Parlament noch außerhalb.
Bei diesem Gedanken wird mir ganz kalt. Aber vielleicht geschieht ja auch
ein Wunder, vielleicht entsteht aus diesen Protesten eine neue
demokratische, zivilgesellschaftliche Kraft.
23 Jun 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Alexandra Mostyn
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Tschechien
Prag
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Schwerpunkt Korruption
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