# taz.de -- Proteste in Tschechien: Frustrierte, vereinigt euch! | |
> Zehntausende gehen gegen Premier Babiš auf die Straße. Die | |
> Unzufriedenheit mit dem Mann, der zwei Millionen Euro EU-Gelder | |
> abgezweigt hat, wächst. | |
Bild: „Abtreten!“ Demonstration gegen Andrej Babiš am Dienstag in Prag | |
PRAG taz | In jeder Woche werden es mehr: Schon zum vierten Mal füllten am | |
Dienstag Proteste gegen Ministerpräsident Andrej Babiš Straßen und Plätze | |
in ganz Tschechien. Allein in der Hauptstadt Prag demonstrierten rund | |
50.000 Menschen auf dem Wenzelsplatz. | |
Sie wehren sich gegen die Anhäufung und Arroganz der Macht des slowakischen | |
Oligarchen, der seit 2013 in der tschechischen Regierung sitzt – erst als | |
Finanzminister, seit 2017 als Ministerpräsident. | |
Auch wenn Babiš mit seiner Bewegung ANO in den Wählerpräferenzen konstant | |
bei um die 30 Prozent steht, wächst die Unzufriedenheit mit seinem | |
Regierungsstil. Babiš, so seine Gegner, missbrauche seine politische Macht, | |
um seinen Kopf zu retten. Dabei stelle er die Grundpfeiler der Demokratie, | |
wie die Gewaltenteilung, infrage. | |
Der Milliardär, der allein schon deswegen umstritten ist, weil er einst als | |
Mitarbeiter der Staatssicherheit zur kommunistischen Nomenklatura der | |
ehemaligen Tschechoslowakei gehörte, hat eine Achillesferse: das | |
Luxusanwesen „Storchennest“. | |
## Strafverfahren droht | |
Weil er für seine Hacienda im Prager Speckgürtel EU-Subventionen in Höhe | |
von umgerechnet etwa zwei Millionen Euro erschlichen haben soll, droht ihm | |
und seiner Familie jetzt ein Strafverfahren. Nach gut zweijährigen | |
Ermittlungen hat die Polizei Anfang April der Staatsanwaltschaft empfohlen, | |
ein Strafverfahren gegen den Babiš-Clan einzuleiten. Kurz darauf trat der | |
Justizminister mehr oder weniger grundlos zurück. | |
Ersetzt wurde er durch Marie Benešová, eine alte Mitstreiterin des | |
amtierenden Präsidenten Miloš Zeman. Seitdem die sozialdemokratische | |
Politikerin Ende der 1990er als Justizministerin unter Zeman gedient hatte, | |
gilt sie als die Frau fürs Grobe und beeinflussbar. | |
Die Ernennung Benešovás, die plötzlich aus der politischen Versenkung | |
aufgetaucht ist, betrachten viele Tschechen als rein zweckgebunden: Als | |
Herrin über die Justiz soll sie endlich die Staatsanwaltschaft an die | |
Kandare nehmen, bis die Causa „Storchennest“ irgendwann mal in | |
Vergessenheit geraten ist. | |
Dagegen formiert sich immer stärkerer Widerstand. Das Paradoxe daran ist: | |
Während die urbane, liberale Elite Tschechiens in Massen gegen Andrej Babiš | |
protestiert, sagen ihm die Präferenzen bei den anstehenden Europawahlen | |
einen klaren Wahlsieg voraus. Seine ANO liegt, je nach Wahlumfrage, | |
zwischen 29 und 32 Prozent. | |
## Neue Dynamik | |
Weit abgeschlagen an zweiter Stelle liegt die konservative ODS vor den | |
Piraten und den Kommunisten mit jeweils 10 Prozent. Die mitregierenden | |
Sozialdemokraten können mit etwa 8,5 Prozent der Stimmen rechnen. | |
Die Kontroversen um Andrej Babiš überschatten die Wahlen zwar thematisch. | |
Aber sie geben ihnen auch eine neue Dynamik. Denn die Demonstranten auf dem | |
Prager Wenzelsplatz und anderswo sehen die Wahlen als eine weitere Form des | |
Protests gegen den umtriebigen Regierungschef. | |
Je fester Tschechien in der EU verankert ist, glauben sie, desto weniger | |
bleibt das Land postkommunistischen Potentaten ausgeliefert. Laut Umfragen | |
soll die Wahlbeteiligung in diesem Jahr besonders hoch ausfallen. | |
Gesamteuropäische Themen werden in diesem Europawahlkampf von der Figur des | |
Ministerpräsidenten überschattet. Der fungiert außerhalb seiner | |
Wählerschaft, die sich eher in den Dörfern und Kleinstädten Böhmens und | |
Mährens findet, als Schwarzer Mann: Geht wählen oder Typen wie Babiš werden | |
uns immer weiter von den europäischen Demokratien wegziehen, so lautet das | |
parteiübergreifende Credo. | |
## Schwache Gegner | |
Auf die Proteste reagiert Babiš mit Arroganz. Er weiß sehr wohl um die | |
Schwächen seiner Gegner. Die liegen vor allem darin, dass sie sich relativ | |
spontan organisieren und politisch auf verschiedenen Seiten stehen. Es gibt | |
keine Partei, keine Bewegung und vor allem keinen Anti-Babiš, der oder die | |
es glaubwürdig mit dem Oligarchen, seinem perfekt geölten Marketingapparat | |
und seiner Vormachtstellung in den Medien aufnehmen könnten. | |
Und das weiß Andrej Babiš ganz genau. Deshalb kann er die Proteste als | |
„Kampagne“ verspotten und den Demonstranten ausrichten, sie könnten ja | |
jederzeit eine Partei gründen. Seine Wählerbasis liegt konstant bei 30 | |
Prozent und lässt sich von keinem Skandal und keinem Machtmissbrauch vom | |
Kreuzchen für Babiš und seine ANO abbringen. | |
Das dürfte sich kaum ändern, Und zwar so lange nicht, wie die urbanen | |
Eliten es nicht schaffen, eine gemeinsame Sprache mit den Babiš-Wählern auf | |
den Dörfern zu finden. | |
Daran werden auch die bevorstehenden Europawahlen nichts ändern. Wie jede | |
Wahl, seitdem Andrej Babiš 2013 die politische Bühne des Landes erklommen | |
hat, wird auch dieses Votum eine Abstimmung über ihn sein. | |
Nur: Seit 2013 wachsen die Desillusionierung und die Unzufriedenheit | |
besonders der jüngeren Menschen mit Andrej Babiš und seinem | |
antidemokratischen Regierungsstil. Und vielleicht wird sich das schon | |
dieses Mal bei den Wahlen zeigen: Diese Unzufriedenen werden immer mehr. | |
22 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
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