# taz.de -- Ermordung der Labour-Politikerin Jo Cox: Eine sehr englische Trauer | |
> Hunderte Menschen kommen am Freitagabend in London zu einer | |
> improvisierten Gedenkfeier für Jo Cox zusammen. Es überwiegt | |
> Fassungslosigkeit. | |
Bild: Den ganzen Freitag über legten Menschen auf dem Parliament Square in Lon… | |
LONDON taz | Selten waren die Worte des bekanntesten Kampfliedes der | |
britischen Arbeiterbewegung, „The Red Flag“, in dem die rote Fahne „unsere | |
toten Märtyrer“ umhüllt, so passend wie bei der Trauer um Jo Cox. Bei der | |
improvisierten Gedenkfeier für die von einem mutmaßlich rechtsradikalen | |
Attentäter ermordete 41jährige Labour-Abgeordnete am Freitagabend im Herzen | |
von London konnten viele ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, als mehr oder | |
weniger spontan diese gesungenen Zeilen aus der Menge emporstiegen. | |
Viele hundert Menschen, über den Abend hinweg sicher Tausende, versammelten | |
sich auf dem Parliament Square direkt am Parlamentsgebäude von Westminster. | |
Umsäumt vom tosenden Feierabendverkehr, der im Laufe der Stunden nachließ, | |
drängten sie sich vor den riesigen Haufen Blumen und den vielen Kerzen, | |
umgarnt von Trauersprüchen, die sich seit Donnerstag vor dem großen Foto | |
der energischen und engagierten Politikerin angesammelt hatten. Auf einem | |
großen weißen Plastiktransparent konnte man seine eigene Beileidsbekundung | |
eintragen. „Inspiration“ war das Wort, das hier am meisten benutzt wurde. | |
„Du wolltest eine bessere Welt – wir werden sie erschaffen“, schrieb eine… | |
Sie sei ein Vorbild gewesen, man wolle ihre Botschaft von Liebe und | |
Solidarität weitertragen. | |
Es war eine sehr englische Trauer, zurückhaltend und still, ohne | |
Choreographie oder besondere öffentliche Ausstrahlung. Wer kam, war in sich | |
gekehrt. Die Lieder „Red Flag“ und „Jerusalem“ wurden nicht vollmundig | |
gesungen, eher gesummt, als Selbstvergewisserung, dass man nicht allein war | |
und dass eine bessere Welt möglich ist. Sogar die drei Trauerreden von drei | |
Labour-Parlamentariern waren kaum zu verstehen, weil niemand daran dachte, | |
die Lautsprecheranlage richtig aufzudrehen. Jo Cox, sagte eine Rednerin, | |
war die „Stimme der Stimmlosen“, sie war „brilliant, leuchtend, liebend, | |
umsorgend“. Sie stand für „Leidenschaft und Solidarität und Menschenrechte | |
und soziale Gerechtigkeit“. | |
Die Trauer um Jo Cox war auch Gelegenheit für einen der selten gewordenen | |
öffentlichen Auftritte von Ed Miliband, der Labour bei den Wahlen 2015 | |
führte und nach seiner Niederlage zurücktrat. Er sprach von der Toten, mit | |
der er gemeinsam Wahlkampf gemacht hatte, in einfachen Worten. „Wir | |
gedenken ihrer als Kämpferin für Gerechtigkeit“, sagte er, „als jemand, d… | |
keine Angst hatte. Wir sind aber gekommen, nicht nur um an sie zu denken, | |
sondern auch um ihr Erbe zu würdigen“. | |
## Ein seltener Auftritt von Ed Miliband | |
Cox war furchtlos angesichts von Unterdrückern, so Miliband; sie setzte | |
sich für die Schwachen ein, und: „Sie trug nie Hass in sich.“ Es war wie | |
ein Aufruf, die Labour Party insgesamt wieder zum Leben zu erwecken und zu | |
ihren Wurzeln zurückzuführen – seit Beginn des Brexit-Wahlkampfes in | |
Großbritannien ist Labour weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung | |
verschwunden und macht ansonsten höchstens durch innerparteiliche | |
Grabenkämpfe von sich reden. Parteichef Jeremy Corbyn, mit dem sich Cox | |
zuletzt überworfen hatte, kam ebensowenig zu der improvisierten Gedenkfeier | |
wie andere Angehörige der linken Führungsriege der Partei. | |
Stattdessen trat Corbyn Freitagmittag gemeinsam mit dem konservativen | |
Premierminister David Cameron, Parlamentssprecher John Bercow und | |
Schattenaußenminister Hilary Benn, dessen Wahlkreis direkt neben dem von Jo | |
Cox liegt, in ihrem Heimatort Birstall bei Leeds auf, wo sie am Tag zuvor | |
getötet worden war. Gemeinsam riefen sie dazu auf, Hass aus der politischen | |
Kultur zu verbannen. In Cardiff (Wales) und Glasgow (Schottland) gab es | |
Feierlichkeiten der jeweiligen Regionalregierungen, sogar in Irland. | |
Camerons regierende Konservative und nach ihnen die Liberalen kündigten an, | |
bei der anstehenden Nachwahl im Wahlkreis von Cox keine Gegenkandidaten zu | |
Labour aufzustellen: Nationale Einheit ist das Gebot der Stunde. | |
Auf dem Parliament Square aber überwiegt erstmal noch die | |
Fassungslosigkeit. Bis tief in den Abend hinein strömen Menschen aller | |
Nationalitäten über den Rasen, städtische Angestellte bewachen die | |
brennenden Kerzen, damit nichts passiert. Auf Fotos wird der Einsatz von Jo | |
Cox für Notleidende, insbesondere Frauen, in aller Welt gewürdigt, von Gaza | |
bis Afghanistan. Eine in London beheimatete kurdische Frauenorganisation, | |
mit der Jo Cox oft zusammengearbeitet hatte, hat ein großes Transparent | |
mitgebracht, auf dem andere ermordete Frauenaktivistinnen zu sehen sind. | |
Dazu der Spruch: „Ihr könnt alle Blumen ausreißen. Aber den Frühling könnt | |
ihr nicht aufhalten.“ | |
18 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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