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# taz.de -- Kommentar Mord an Jo Cox: Jenseits von Schuldzuweisungen
> Hoffnung auf ein Innehalten: Der Tod der Labour-Abgeordneten schockiert
> ein Land, dessen politische Kultur zunehmend verroht ist.
Bild: Gedenken an die Ermordete in London
Man kann in den [1][Mord an Jo Cox viel hineinlesen]. Die 41-jährige
Labour-Abgeordnete, die von einem mutmaßlich rechtsextremen Attentäter mit
Psychiatrie-Vergangenheit am Donnerstag in ihrem Wahlkreis umgebracht
wurde, beteiligte sich aktiv an der Kampagne für den Verbleib
Großbritanniens in der EU.
Ihr Tod erfolgte just in dem Moment, in dem die Brexit-Kampagne scheinbar
unaufhaltsam auf den Sieg zusteuert. Wurde ihr Mörder vom Brexit-Klima
ermutigt? Oder wurde er vom Geheimdienst angestiftet, um das Brexit-Lager
zu diskreditieren? Verschwörungstheorien kursieren, eine kruder als die
andere. Wenn sie eines zeigen, dann dass politische Schuldzuweisungen jetzt
fehl am Platze sind.
Für Stereotypisierungen und Lagerdenken eignet sich Jo Cox nicht. Als
ehemalige Politikchefin des Hilfswerks Oxfam scherte sich die Absolventin
der Elite-Uni Cambridge, selbst aus einfacher Familie in Nordengland, nicht
um Parteigrenzen. Sie ging in die Politik, um Dinge zu verändern, nicht um
Gewissheiten zu bestätigen, trat unerschrocken und sachorientiert auf – ein
erfrischendes Stück Normalität in der oft bizarren Ritualwelt von
Westminster.
Zusammen mit dem Rechtskonservativen Andrew Mitchell, früher
Entwicklungsminister unter David Cameron, baute sie die überparteiliche
Syrien-Parlamentariergruppe auf, nominierte den Linksaußen Jeremy Corbyn
als Labour-Parteiführer und forderte später gegen Corbyns Willen ein
humanitäres Eingreifen in Syrien. Nie verlor sie dabei den Bezug zu ihrer
Heimat und zu ihrem Wahlkreis in Yorkshire. Dort legte sie sich auch mit
der erstarkenden extremen Rechten an und wurde dafür persönlich bedroht.
Sie starb, bevor die Polizei eine Entscheidung über verschärfte
Sicherheitsmaßnahmen für sie getroffen hatte. Ihr Mörder rief angeblich
„Britain First“, der Name der derzeit stärksten rechtsextremen militanten
Gruppe Großbritanniens.
## Militante Radikale
All das ist wahr, und doch erklärt es nichts. Zunehmende Intoleranz und
Hass in der britischen Politik gibt es nicht erst seit dem
Brexit-Wahlkampf, der von einem Aufschwung an persönlichen Beschimpfungen
zwischen Politikern und einem sich ausbreitenden populistischen
Anti-Politik-Diskurs begleitet wird. Die Labour-Linke um Corbyn griff beim
Kampf um die Macht in der größten Oppositionspartei 2015 bedenkenlos auf
persönliche Drohungen und Hetze gegen Gegner zurück, ebenso wie manche der
wilderen nationalistischen Eiferer in Schottland vor dem
Unabhängigkeitsreferendum 2014.
Die radikale Rechte, die sich nur zum Teil bei der europafeindlichen UKIP
wiederfindet, organisiert sich längst militant gegen die vermeintliche
islamistische Bedrohung, die ihrerseits mit Gewaltakten und Einschüchterung
ihre Existenz unter Beweis stellt. Haltungen und Exzesse, die früher auf
ein paar Spinnergrüppchen begrenzt waren, können heute durch soziale
Netzwerke das ganze Land erreichen und werden tausendfach verstärkt.
In Reaktion auf den Mord an Jo Cox haben nun sowohl die „Leave“- als auch
die „Remain“-Kampagnen ihren Wahlkampf für das EU-Referendum am kommenden
Donnerstag vorerst ausgesetzt. Man verneigt sich gemeinsam vor der Toten,
legt Blumen nieder und zündet Kerzen an. Der rechte Daily Telegraph und der
linke Guardian, die sich gerade in Brexit-Zeiten an entgegengesetzten Enden
der englischen Presselandschaft befinden, haben heute dasselbe Zitat von
Cox' Ehemann zur Schlagzeile gemacht: „Jo glaubte an eine bessere Welt und
sie kämpfte dafür jeden Tag.“ Dieser Glaube eint Brexit-Befürworter und
-Gegner. Das macht Hoffnung darauf, dass dieser Mord als Weckruf dazu
beiträgt, der politischen Verrohung Einhalt zu gebieten.
17 Jun 2016
## LINKS
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## AUTOREN
Dominic Johnson
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