# taz.de -- Energienotstand im Gazastreifen: Nur sechs Stunden Strom am Tag | |
> Eine seit zwei Monaten andauernde Energiekrise beeinträchtigt die | |
> Grundversorgung im Gazastreifen. Die Hamas macht die ägyptische Regierung | |
> dafür verantwortlich. | |
Bild: Schlangestehen im Gazastreifen für ein paar Liter Benzin. | |
GAZA taz | Seit dreieinhalb Stunden steht Mohammed Khalaf in der | |
Warteschlange, um sein Auto zu tanken. Zusammen mit einem Freund schiebt er | |
den Wagen ein paar Meter voran, wenn sich die Schlange langsam | |
vorwärtsbewegt. Noch vier Autos bis zur Zapfsäule. Dann dürfen sie für | |
ganze 50 Schekel (10 Euro) tanken. | |
„Das sind 20 Liter. Die reichen gerade mal für vier Tage“, sagt Khalaf. | |
„Dann müssen wir wieder anstehen.“ | |
Die meisten Zapfsäulen im Gazastreifen sind seit Beginn der Energiekrise | |
vor zwei Monaten längst ausgetrocknet. Ohne Öl gibt es keinen Strom. Die | |
gesamte Infrastruktur hängt am schwarzen Gold. | |
Das einzige Elektrizitätswerk arbeitet nur noch stundenweise. Nördlich der | |
Stadt Gaza sammelt sich ungeklärtes Abwasser und verbreitet einen scharfen | |
Geruch. | |
Auch die Trinkwasserversorgung ist gefährdet, wenn die elektrisch | |
betriebenen Pumpen an den Brunnen aussetzen. Sechs Stunden Licht täglich | |
wechseln mit zwölf Stunden Stromsperre. | |
## Notstand in den Krankenhäusern | |
Der Betrieb in den Krankenhäusern ist nur mithilfe von Generatoren möglich. | |
72 Prozent der Treibstoffvorräte seien aufgebraucht, warnt das | |
Gesundheitsministerium. Schon kursieren Gerüchte über erste Todesopfer. | |
Im Schifa-Krankenhaus arbeitet das medizinische Personal seit Wochen im | |
Notstand. „Wenn etwas schiefgeht, sind vier unserer Babys in akuter | |
Lebensgefahr“, sagt Hanan al-Wadijah, Chefärztin der Kinderstation. | |
Für eine Weile könnten die Inkubator-Patienten manuell beatmet werden, | |
„vorausgesetzt, wir haben das Personal dafür“. | |
„Der Gazastreifen bewegt sich auf einen totalen Zusammenbruch der | |
Grundversorgung zu“, berichtet Oxfam, eine unabhängige internationale | |
Hilfsorganisation. | |
## Druck aus Kairo | |
Oxfam begründet die aktuelle Krise damit, dass „die Öllieferungen durch die | |
Tunnel an der Grenze zwischen Gaza und Ägypten unterbrochen sind“. Die | |
Regierung in Kairo, so heißt es in einem der letzten Berichte, „drängt die | |
Hamas dazu, Treibstoffe aus Israel zu importieren“, da Ägypten selbst nicht | |
genug davon habe. | |
Ahmed Abu Amreen, Sprecher des Energieministeriums im Gazastreifen, glaubt | |
indes nicht an eine Ölkrise in Ägypten. Kairo „will uns unter Druck | |
setzen“, sagt der Hamas-Funktionär. Angeblich verhinderten | |
„Sicherheitsprozeduren“ die Lieferungen durch die Schmugglertunnel im | |
Grenzbereich. Dass die Muslimbrüder in Kairo an Macht gewinnen, ändere | |
nichts an den Spannungen. „Es sind unsere Brüder, aber so ist das nun mal.“ | |
Was genau die Ägypter verlangen, sei ihm nicht klar. Tatsache ist, dass der | |
Arabische Frühling die Grenzen zum vermeintlich verbündeten Nachbarn nicht | |
viel durchlässiger gemacht hat. | |
## Unterirdische Transportwege | |
Personenverkehr ist zwar möglich, doch der Handel findet noch immer | |
unterirdisch statt. In Kairo hat man es offenbar nicht allzu eilig damit, | |
die Verantwortung für den Gazastreifen zu übernehmen. | |
Erneute Lieferungen via Israel lehnt die Hamas ab. „Wir brauchen | |
zuverlässige Quellen, die nichts mit Israel zu tun haben“, sagt Ahmed | |
Jussuf, ehemals Regierungsberater im Gazastreifen und heute Direktor des | |
„Hauses der Weisheit“, einer von ihm gegründeten Denkfabrik. | |
Jussuf versteht, dass die Führung „nicht länger Geisel der Zionisten“ sein | |
will. Allzu oft hatte Israel die Lieferungen als Strafmaßnahme | |
vorübergehend gestoppt. | |
Zuletzt, so schimpft Jussuf auf die „Konspiration zwischen Ramallah und | |
Israel“, habe auch die Palästinensische Autonomiebehörde die | |
Treibstofflieferungen als Druckmittel gegen die Hamas missbraucht. | |
## Offene Rechnungen | |
Die Gespräche über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit | |
„kommen nicht voran“. Offene Rechnungen, die zuvor mit EU-Spendengeldern | |
beglichen wurden, seien unbezahlt geblieben, was wiederum Grund für Israel | |
war, nicht zu liefern. | |
Die Lösung, darauf beharrt die Führung im Gazastreifen, sei einzig in | |
Ägypten zu suchen. Langfristig solle der Gazastreifen via Ägypten mit dem | |
arabischen Stromnetz in den Golfstaaten verbunden werden. Die Spendengelder | |
für die dazu nötige Infrastruktur liegen schon bereit, berichtet Abu | |
Amreen. | |
Allerdings werde es zwei Jahre dauern, bis Gaza vernetzt ist. Mitte März | |
wurden auf Anweisung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas einmalig knapp | |
500.000 Liter Treibstoff via Israel geliefert. „Zu wenig, zu spät“, | |
kommentiert Abu Amreen. | |
3 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Abbas tauscht seine Minister aus: „Stadium der Lähmung“ | |
Der Palästinenserpräsident stellt überraschend ein neues Kabinett vor. | |
Mahmud Abbas vereidigte am Mittwoch acht neue Minister. Die Hamas ist | |
darüber verärgert. | |
Propalästinensische Protest-Kampagne: Neun Aktivisten aus Israel ausgewiesen | |
40 Teilnehmer der Kampagne „Willkommen in Palästina“ sitzen noch in | |
Abschiebehaft in Israel. Sie wollten gegen die Lebensbedingungen im | |
Westjordanland protestieren. | |
Energiekrise in Gaza: Unmut über die Hamas nimmt zu | |
Die anhaltende Energiekrise verärgert die palästinensische Bevölkerung. Die | |
politische Führung der islamischen Organisation stellt Sicherheitsleute an | |
Tankstellen auf. | |
Israel-Palästina-Konflikt: Randale am „Tag des Bodens“ | |
Am Checkpoint in Kalandia kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen | |
Palästinensern und Soldaten. Israel plant, den Siedlungsbau noch zu | |
intensivieren. | |
Kommentar Siedlerpolitik in Israel: Justiz mutiger als Politiker | |
Die Richter des israelischen Obersten Gerichtshofs gehen entschlossener | |
gegen die Siedler vor als Ministerpräsident Netanjahu. | |
Kommentar Gaza: Ein Hoch auf die Defensive | |
Je dichter das israelische Raketenabwehrsystem Israels ist, desto sicherer | |
leben auch Israels Feinde. Die US-Militärhilfe in die Forschung der | |
Abwehrstrategen fließen. | |
Waffenruhe in Nahost: Von „Aggressionen“ und „Verständigung“ | |
Israel und die Palästinenser stellen die gegenseitigen Angriffe nach vier | |
Tagen ein. Beide Seiten interpretieren die getroffene Vereinbarung jedoch | |
unterschiedlich. | |
Lage in Nahost beruhigt sich: Waffenstillstand im Gazastreifen | |
Die Palästinenserbewegung und Israel lassen vorerst die Waffen ruhen. Die | |
Lage in der Region entspannte sich. Zwischen den Konfliktparteien hatte | |
Ägypten vermittelt. | |
Kommentar Hamas: Fahrlässiger Denkzettel für die Hamas | |
Im Nahen Osten verdrehen sich die Vorzeichen: Die Hamas positioniert sich | |
gegen die Raketen und sucht Hilfe auf der internationalen Ebene. |