| # taz.de -- Ehemaliger südkoreanischer Diktator: Prozess für „Schlächter v… | |
| > Ex-Diktator Chun Doo Hwan ließ 1980 einen Demokratie-Aufstand | |
| > niederschlagen. Er zeigt keine Reue – und muss sich nun vor Gericht | |
| > verantworten. | |
| Bild: Chun Doo-hwan erweist dem verstorbenen Präsidenten Südkoreas Kim Dae-Ju… | |
| Seoul taz | Noch ehe Chun Doo Hwan am Montagnachmittag seiner schwarzen | |
| Limousine entsteigt, ist der 88-Jährige von Dutzenden Journalisten | |
| umzingelt. Ein Gerangel bricht vor dem Gerichtshof in Gwangju aus, das | |
| ehemalige Staatsoberhaupt wird von einem wütenden Mob in alle | |
| Himmelsrichtungen gedrängt. Der ehemalige Militär verzieht jedoch keine | |
| Miene, sondern blafft mit steinernem Pokerface die fragenden Reporter an. | |
| Seit über 30 Jahren hat Chun keinen Schritt mehr in die südwestliche Stadt | |
| Gwangju gesetzt. In der einstigen linksaktivistischen Hochburg des Landes | |
| ist der glatzköpfige Mann in Nadelstreifen und mit goldener Krawatte vor | |
| allem als „Schlächter“ bekannt. Am 18. Mai 1980 ordnete er während des | |
| Demokratie-Aufstandes in der Stadt Gwangju den wohl fatalsten Schießbefehl | |
| in der Historie der südkoreanischen Republik an: | |
| Hunderte Demonstranten wurden regelrecht massakriert, zunächst durch die | |
| Bajonette der Spezialeinheiten, später durch deren Maschinengewehrsalven. | |
| Die Leichen wurden wie Tierkadaver aufgeschichtet und auf Jeeps | |
| abtransportiert. Erst wenige Wochen zuvor hatte sich der damalige General | |
| an die Macht geputscht und das Parlament sowie die Universitäten des Landes | |
| schließen lassen. | |
| Die einzigen TV-Aufnahmen schmuggelte ausgerechnet der deutsche | |
| [1][Fernsehjournalist Jürgen Hinzpeter] außer Landes: „Ich habe über | |
| Vietnam berichtet und vom Krieg in Kambodscha, aber was ich in Gwangju | |
| gesehen habe, war unvergleichlich und bewegt mich noch heute. Junge Leute, | |
| Schulkinder und Studenten wurden vorsätzlich in den Kopf geschossen“, wird | |
| der 2016 verstorbene Hinzpeter später sagen. | |
| ## Kinder und Studenten vorsätzlich in den Kopf geschossen | |
| Auch der US-Journalist Donald Kirk berichtete über das wohl traumatischste | |
| Kapitel der jüngeren Geschichte des Landes: „Bei meinem ersten Besuch | |
| hatten die Rebellen das Rathaus besetzt – ich ahnte schon, dass das nicht | |
| lange so weitergehen konnte. Als ich wenige Tage später nach Gwangju | |
| zurückkehrte, sah ich vor dem Rathaus die Särge der toten Demonstranten. | |
| Überall waren Angehörige, die um die Toten trauerten.“ | |
| Der 80-Jährige sitzt bei Filterkaffee und Zeitungslektüre im Starbucks des | |
| Korea Press Center in Seoul. Chun Doo Hwan hat bis heute keine | |
| Verantwortung für das Blutbad übernommen. Als ein katholischer Priester – | |
| und Sohn eines getöteten Aufständischen – vor einer Regierungskommission | |
| aussagte, dass Soldaten aus einem Helikopter heraus auf unschuldige | |
| Zivilisten schossen, bezeichnete ihn Chun als „Lügner“ und „maskierter | |
| Teufel“. | |
| Deswegen muss sich der einstige Militärdiktator auch nun vor Gericht wegen | |
| Verleumdung verantworten. Als Höchststrafe hat er maximal zwei Jahre Haft | |
| zu befürchten – eine Strafe, die aber wohl zur Bewährung ausgesetzt würde. | |
| „Das ist doch Vergangenheit. Ich finde, wir sollten nach vorne blicken und | |
| uns nicht unnötig damit aufhalten“, sagt der 32-jährige Lee Tae Yeon bei | |
| Gin Tonic im Feiertempel Fountain. Für die junge Generation, die die Zeit | |
| der Militärdiktaturen nur aus Erzählungen kennt, ist das Thema weniger | |
| emotional besetzt. | |
| „Die Jungen von heute wissen kaum mehr Bescheid über das, was damals | |
| passierte“, sagt der 64-jährige Lee Jae Eui. Als Bürger von Gwangju hat er | |
| nicht nur an den Demonstrationen des Jahres 1980 teilgenommen, sondern auch | |
| viele seiner Freunde verloren. Er hatte sich von Ex-Diktator Chun eine | |
| Entschuldigung erhofft – vergeblich. | |
| ## Der Diktator war nicht gerade die hellste Leuchte | |
| Journalist Kirk erinnert sich an die Amtszeit Chun Doo Hwans: „Viele Leute | |
| haben damals gesagt, dass er nicht gerade die hellste Leuchte ist. Und | |
| gegen Ende seiner Herrschaft wurde er zunehmend diktatorisch.“ Zu | |
| Zehntausenden steckte er Vagabunden, Straßenkinder und psychisch Kranke in | |
| Folterheime; unliebsame Intellektuelle und Aktivisten in | |
| Umerziehungslager.„Zudem war Chun Doo Hwan unglaublich korrupt, genau wie | |
| seine Frau und seine gesamte Verwandtschaft“, sagt Kirk. Insgesamt 32 | |
| Unternehmen, darunter Samsung und Hyundai, sollen fast jährlich Millionen | |
| an Schmiergeldern an den damaligen Machthaber abgedrückt haben. Während der | |
| 1990er Jahre fanden Ermittler der Staatsanwaltschaft bei einer Razzia in | |
| einem Warenlager 25 Holzkisten, vollgefüllt mit Banknoten. | |
| Zu einer Strafe von umgerechnet etwa 200 Millionen Euro wurde Chun Mitte | |
| der 90er Jahre verurteilt, doch bis heute hat er nur etwas mehr als die | |
| Hälfte davon zurückgezahlt. Auch von seiner lebenslangen Gefängnisstrafe | |
| musste er dank einer Begnadigung nur acht Monate absitzen. Vielleicht ist | |
| dies Chun Doo Hwans einziges Verdienst: Auf massiven öffentlichen Druck hin | |
| genehmigte er 1987 freie Wahlen. Südkorea wurde damals zur Demokratie. | |
| Hunderte Bürger Gwangjus zahlten beim Kampf dafür mit ihrem Leben. | |
| 15 Mar 2019 | |
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| [1] https://www.doam.org/projekte/menschenrechte/okinawa-2/3589-juergen-hinzpet… | |
| ## AUTOREN | |
| Fabian Kretschmer | |
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