# taz.de -- Die Wahrheit: Des Kalifen schwarzer Schatten | |
> Mehr als Tausendundeine Nacht: Ein magisches Märchen vom Leben und der | |
> Liebe in Zeiten des „Islamischen Staates“. | |
Höret also die Geschichte, die ich euch zu erzählen habe! Höret vom | |
Schicksal zweier Liebender, die sich unter der Wüstensonne Syriens trafen, | |
am Hofe des mächtigen Kalifen zu Rakka. Höret von den Ereignissen, die | |
vielleicht wahr sind oder vielleicht auch nicht – nur Allah ist allwissend, | |
wir Menschen sind schwach und blöde. Außerdem neigen wir zu Übertreibung | |
und Lüge, wenn uns fad wird. | |
Aber höret nun die Geschichte vom gewitzten Todenhöfer und seiner | |
übergroßen Liebe. Nicht von seiner übergroßen Liebe zu den Mordbrennern des | |
Kalifats, der er wohl schon manches Schriftlein gewidmet hat, sondern von | |
seiner unsterblichen Liebe zur lieblichen Scheherezade. Der Todenhöfer war | |
ein Mann, dessen Weisheit und Herrlichkeit nur von der des Lawrence von | |
Arabien übertroffen wurde, weswegen sich der Pfiffikus auf Orientreisen als | |
ebenjener zu verkleiden pflegte. Angetan mit blinkendem Monokel und | |
gestärkten Breeches ritt der Todenhöfer also auf seinem Lieblingskamel | |
Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah in | |
der Hauptstadt des Kalifen ein und pfiff dabei gar ein fröhlich Liedlein, | |
auch wenn der Weg kein leichter war, sondern vielmehr steinig und schwer. | |
Die Schergen des Kalifen aber waren bass erstaunt, den alten Lawrence bei | |
so guter Gesundheit zu sehen und freuten sich. Für einen Moment vergaßen | |
sie sogar das Kreuzigen und Köpfeabhacken. Der tapfere Todenhöfer aber | |
sprach: „Bringt mich zu eurem Anführer!“, denn diesen Satz hatte er oft vor | |
dem Fernseher geübt und konnte ihn sogar mit britischem Akzent aufsagen. | |
Der mächtige Kalif, der grausam war wider seine Untertanen und Sklavinnen | |
und grausam war wider die Ungläubigen, wider die Fremd-, Fehl- und | |
Falschgläubigen, der eigentlich jeden zu massakrieren trachtete, der nicht | |
bei drei auf seinem Gebetsteppich hockte, schloss den Todenhöfer gleich in | |
sein finsteres Herz. Denn er erkannte in ihm einen wahren Gläubigen – | |
keinen Rechtgläubigen zwar, aber immerhin einen Leichtgläubigen. Und | |
nachdem der Kalif seinem neuen Haustier die schönsten Enthauptungsvideos | |
seines letzten Fronturlaubs gezeigt hatte, gestattete er ihm allergnädigst, | |
ein Buch anzufertigen über das lustige Leben unter dem Größten Kalifen | |
aller Zeiten. | |
## Ein Mann von Weisheit | |
Das Werk wurde bekanntlich ein großer Erfolg im Abendland, doch als der | |
Vorschuss verjuxt war, beschloss Todenhöfer schweren Herzens, noch einmal | |
das Kalifat zu besuchen, da er Material für einen Nachfolgeband (“111 Orte | |
im IS, die Sie keine fünf Minuten überleben werden“) brauchte. | |
Als Todenhöfer eines Abends in froher Runde an der Tafel des Kalifen saß | |
und dem Unterhaltungsprogramm lauschte, das im Wesentlichen aus dem | |
schaurigen Schärfen der Enthauptungsschwerter bestand, sah er aus den | |
Augenwinkeln einen schwarzen Schatten über den Hof huschen, dem der | |
unerschrockene Orientalist heimlich folgte, weil ihm arg langweilig | |
geworden war. Denn seien wir ehrlich: Von der leichten Muse versteht der IS | |
so wenig die ARD vom Eurovision Song Contest. | |
Keine zwei Tage später war der Todenhöfer in inniger Liebe zu diesem | |
Schatten entbrannt, denn unter dem Gewand befand sich Scheherezade, das | |
liebreizendste Wesen, das der Allerbarmer je geschaffen hatte. Das hatte | |
jedenfalls eine wohlklingende Stimme behauptet, die aus den Tiefen des | |
Gewandes zum Todenhöfer gesprochen hatte. Und da er ein Mann leichten | |
Glaubens war, dachte er sich nichts weiter dabei. Außerdem war unser | |
Todenhöfer der zirpenden Zikade vom Zikkurat bereits rettungslos verfallen. | |
1.000 Nächte freite der Todenhöfer um seine Schehere-zade, die den | |
Reisenden allnächtlich mit immer neuen Liedern unterhielt, wiewohl das | |
Singen am Hofe des grausamen Kalifen strengstens untersagt war, damit | |
nichts die Gläubigen vom Unterhaltungsprogramm der schaurigen Schwerter | |
ablenkte. | |
In der 1.000 und ersten Nacht aber forderte der Todenhöfer Scheherezade | |
auf, ihren Schleier endlich fallen zu lassen, denn er war trotz allem ein | |
Mann des Abendlandes und duldete nicht, dass die Weiber allzu geheimnisvoll | |
taten. | |
## Das geschenkte Lied | |
Wie groß war das Erschrecken unseres wackeren Todenhöfers, als daraufhin | |
ein schäbig grinsender Kerl unter der Abaya hervorlugte, der sich als | |
Naidoo der Wanderer vorstellte. Ein unbarmherziges Schicksal habe ihn | |
durchgekaut und am Hofe des Kalifen ausgespien, wimmerte dieser Naidoo in | |
seinem winselnd weinerlichen, aber dennoch tröstlich tremolierenden Tenor. | |
Ein schurkischer Fernsehonkel habe ihn in diese Einöde geschickt, barmte | |
der Barde, und dem Todenhöfer wurde bei diesem Klang ganz warm ums Herz. | |
Der habe ihm gesteckt, näselte der Nölprinz noch und nöcher, dass der Kalif | |
einen Sänger suche, der sein Reich beim nächsten großen | |
Chansonistenauftrieb in Schweden vertrete. Ein richtiger Knaller mit | |
ordentlich Wumms werde gesucht, da sei er doch genau der Richtige, habe der | |
Fernsehonkel gesagt und ihn eilig zur Studiotür hinausgeschoben. Voller | |
Hoffnung auf ein neues Zion sei er in den Orient aufgebrochen, nur um | |
festzustellen, dass sich dieses verfluchte Rakka auch nicht groß von | |
Mannheim unterscheide und ein Mann von guter Stimme und originellem | |
Meinungsschatz hier wie dort rein gar nichts gelte. | |
So sprach Naidoo der Wanderer, und wie er geendigt hatte, standen dem | |
Todenhöfer die Tränen in den Augen. „Scheiße, wieder nix mit Knutschen“, | |
dachte er im Stillen, aber zum Naidoo sagte er: „Ei, ich bin wohl auch | |
nicht der, für den ich mich ausgebe. Aber Schwamm drüber. Wenn du mir ein | |
Liedlein schenkst, will ich sehen, was ich für dich tun kann.“ Der brave | |
Todenhöfer pfiff also auf die lästige Recherche und tauschte Naidoo den | |
Wanderer heimlich gegen sein Lieblingskamel Hadschi Halef Omar Ben Hadschi | |
Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah aus. Unter der Abaya würde niemand | |
den Unterschied bemerken, und stimmlich waren die beiden ohnehin kaum | |
auseinanderzuhalten. | |
Noch in derselben Nacht verließen die beiden neuen Freunde den Hofe des | |
bösen Kalifen, denn nachdem sie ausgiebig Blutsbrüderschaft geraucht | |
hatten, erkannten sie einander als Schwippschwager im schwachen Geiste und | |
waren sich fortan herzlich zugetan. | |
## Im Wolkenkuckucksheim | |
Naidoo der Wanderer aber schenkte dem guten Todenhöfer wie versprochen | |
einen der schmalzigsten Schmuseschocker, der je die lasziven Lippen des | |
leptosomen Lamentierers verlassen hatte. „Nie wieder Krieg (ich einen | |
Major-Deal, und schuld daran ist bloß die verdammte Lügenpresse)“ hieß das | |
Werk. Und Todenhöfer beeilte sich, alsbald Stadt und Erdkreis mit der | |
Melodei zu beschallen, als ob es kein Morgen gäbe. | |
Und so gelang es Naidoo dem Wanderer schließlich doch noch, beim großen | |
abendländischen Chansondings in Schweden mitzutun, denn manch Reichsbürger | |
und Montagswächter fiel begeistert in den Gesang mit ein. Doch ist das | |
Land, das er vertritt, nicht von dieser Welt. Er singt für das | |
Wolkenkuckucksheim all jener Brüder und Schwestern, die da närrisch im | |
Geiste sind, für die Beschallerten und Behämmerten, die Beknackten und | |
Beklopften, die Knalltüten und Aluhutträger und vor allem für die | |
Todenhöfer unserer Zeit. | |
12 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Veronika Kracher | |
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