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# taz.de -- Die Wahrheit: Albtraum eines Konservativen
> Sind die Visionen von selbsternannten Lebensschützern wie Klaus Günter
> Annen nicht längst Realität geworden?
Bild: Düstere Vision: Der letzte Kinderwagen wird verklappt
Klaus Günter Annen ist ein einfacher Mann. Wenn er nicht gerade
Gebrauchtwagen verkauft, ist er Vorsitzender des evangelikalen Vereins Nie
wieder! e. V. Oder er betreibt Internet-Seiten. Seiten wie abtreiber.com
oder babycaust.de, auf denen er Menschen dazu auffordert, Mediziner wegen
des Paragrafen 219 a zu verklagen. Zu diesen gehört Kristina Hänel, und die
ließ das Ganze nicht so auf sich sitzen. Die Diskussion über die
Abschaffung von 219 a hat begonnen, und sie ist noch lange nicht vorbei.
Doch Annen ist sich seiner Sache recht sicher. Mit Jens Spahn ist ein
großer Freund von Mutterschaft und ungeborenem Leben Gesundheitsminister,
und die SPD hat ihren Vorsatz, sich für die Abschaffung einzusetzen, fallen
gelassen wie eine heiße Kartoffel. So geht Klaus Günter Annen nach einem
anstrengenden Tag nicht gewünschter Schwangerenberatung und üppiger
Brotzeit regelmäßig zufrieden ins Bett.
Eines Nachts jedoch hat er einen prophetischen Traum, eine Vision der
Zukunft: Der Paragraf 219 a ist abgetrieben worden. Kristina Hänel hat ihre
babyverachtende Agenda durchsetzen können. Die Welt hat die Warnungen von
Annen, dem aufrechten Rächer der Ungeborenen, in den Wind geschlagen. Sie
hat sich entschieden: für Abtreibung, für Info für alle über
Schwangerschaftsabbrüche.
Doch die führt unausweichlich zum Babymord – Frauen sind eben allzu
empfänglich für diese schlimmen Lügen vom „Recht auf den eigenen Körper�…
## Liebevoll-väterliches Leiten
In Annens Albtraum verachtet ganz Deutschland das ungeborene Leben. Früher,
als Sex und seine Folgen noch ernst genommen wurden, musste man die „Pille
danach“ einwerfen – und nach dem geplatzten Kondom mit dem One-Night-Stand
zur Rettungsstelle gehen. Oder hormonell verhüten, denn welcher Mann hatte
schon Zeit, sich mit zitternden Fingern ein Kondom überzustülpen, während
er gleichzeitig versuchte, eine Erektion zu halten? Das alles war jedoch
nicht Ausdruck von misogyner Kontrolle über den weiblichen Körper, sondern
liebevoll-väterliches Leiten derjenigen, die es brauchten – Frauen.
Inzwischen wird die „Pille danach“ in Vorratspackungen angeboten, zehn
Stück Minimum, und in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen, was Klaus
Günter Annen beim Besuch einer Apotheke der Zukunft bemerkt. Wie dort mit
Schwangeren umgegangen wird? „Da hat wohl wer vergessen, pünktlich
abzutreiben. Dabei gibt es doch jetzt die 24/7-Klinik ‚Abort to go‘!“,
kichert die Apothekerin, als eine werdende Mutter mit schamerfülltem Blick
eintritt.
Schockiert erkundet der Lebensschützer weiter die Straßen einer Stadt, in
der man nirgendwo mehr das fröhliche Schreien und Lachen von Kindern
vernehmen kann. Stattdessen: Frauen in Cafés, ganz ohne Kinderwagen,
Frauen, die nichts vom Glück der Schwangerschaft wissen.
„Ich hatte letztens meine dritte Abtreibungsparty“, belauscht er ein
Gespräch. „Inzwischen kannst du dich ja nicht mehr sehen lassen, hast du
nicht wenigstens eine veranstaltet.“ Die sonnenbebrillte Frau läuft auf
Hochtouren. „Wir servieren Bloody Mary, einen Kuchen in Fötusform und
machen lustige Spiele wie das Alter des abgetriebenen Fötus raten. Und der
Partyname ‚Hurra, ich bekomme eine Abtreibung‘ ist auch schön
geschlechtsneutral!“
Die andere legt eine Karte mit sechs Stempeln auf den Tisch, es könnte die
Treuekarte eines Coffeeshops sein. „Mein Frauenarzt hat übrigens inzwischen
ein fantastisches Angebot: den zehnten Abort gibt es gratis!“
## Abtreibungen üben
Annen schaudert es, er wirft sich in seiner Bettstatt hin und her. Ist es
etwa auch so weit gekommen, dass Medizinstudentinnen und -studenten nicht
mehr Papayas auskratzen müssen, um Abtreibungen zu üben? Arbeiten sie jetzt
etwa mit echten, lebenden Gebärmüttern?
Nein. Sie üben in Castingshows. RTL hat ein neues Hitformat: „Deutschlands
beste Abtreibung“, moderiert von niemand Geringerem als Star-Medizinerin
Kristina Hänel.
Angehendes Ärztevolk führt unter in der Serie graduell erschwerten
Bedingungen Abbrüche an den Patientinnen durch – wer den unliebsamen Fötus
am schnellsten und reibungslosesten entfernt, steigt in die nächste Runde
auf. Der große Preis: Wer gewinnt, kriegt nicht nur die eigene Praxis
finanziert, sondern wird das Werbegesicht der neuen Pro-Familia-Kampagne
„Heute schon abgetrieben?“. RTL rechnet mit Einschaltquoten, die jede
bisherige Reality-Show weit übertreffen.
Klaus Günter Annen erwacht jetzt in seiner Bettstatt. Er schreit, er ist
außer sich, in Schweiß gebadet. Und er empfindet eine schneidende
Gewissheit: „Dieser Traum, diese Zukunftsvision, darf niemals Wirklichkeit
werden! Hätte ich mich nur nicht mit dieser Hänel angelegt!“ Auch wenn es
sich bei Annen weniger um eine Vision handelt, als um den paranoiden
Albtraum eines konservativen Mannes.
10 Apr 2018
## AUTOREN
Veronika Kracher
## TAGS
Schwerpunkt Abtreibung
Schwerpunkt Paragraf 219a
Schwangerschaft
Oktoberfest
Jürgen Todenhöfer
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