# taz.de -- Deutscher in der Major League Baseball: Great Show, Herr Kepler | |
> Erst Torwart bei der Hertha, dann Tennisspieler und heute Profi in der | |
> Major League Baseball: die erstaunliche Karriere von Max Kepler. | |
Bild: Das „frische Gesicht der Twins“: Max Kepler bei der Arbeit | |
Max Kepler kann den Winter kaum erwarten. Im Winter wird er wieder mal nach | |
Hause kommen. Nach Berlin, die Familie besuchen, alte Freunde wiedersehen. | |
Glühwein trinken, gebrannte Mandeln und Zuckerwatte essen. „Auf den | |
Weihnachtsmarkt in Berlin freue ich mich jetzt schon“, sagt Kepler. | |
Noch aber ist es nicht Winter, noch ist es Hochsommer, auch in Minneapolis. | |
Dort spielt Max Kepler Baseball für die Minnesota Twins. Und das ziemlich | |
gut. So gut, dass ihn die lokale Presse zur diesjährigen „Feelgood-Story“ | |
der Twins auserkoren hat. Das liegt zum einen daran, dass es bei dem Klub | |
aus dem Norden der USA gerade nicht so toll läuft. Die junge Mannschaft ist | |
aktuell das schlechteste Team der American League, einer der beiden Major | |
Leagues (MLB), hat schon lange keine Chance mehr, sich für die Play-offs zu | |
qualifizieren, und bereits einmal den Cheftrainer ausgetauscht. Das liegt | |
aber auch daran, dass der 23-jährige Kepler in einer Mannschaft, die zu | |
großen Hoffnungen Anlass gibt, sich zum größten Hoffnungsträger zu | |
entwickeln scheint. | |
Sein Erfolg lässt sich im statistikverrückten Baseball natürlich an Zahlen | |
ablesen: ein Schlagdurchschnitt von 25 Prozent, mit dem Kepler schon 53 | |
Punkte für seine Mannschaft erzielt hat, und nicht zuletzt 15 Homeruns. | |
Dies sind Daten, die Kepler gar zu einem Kandidaten für den begehrten | |
Rookie-of-the-Year-Award befördern. Den gewinnt im Herbst der Neuling, der | |
die beste Saison absolviert hat in der „Großen Show“, wie die Major Leagues | |
genannt werden. Kepler wäre der erste Europäer, der als Rookie of the Year | |
ausgezeichnet würde. Dass er Sportgeschichte schreiben könnte, daran will | |
er nicht denken, erzählt er am Telefon: „Ich will einfach Spiele gewinnen | |
und mit der Mannschaft wachsen und besser werden.“ | |
Aber Kepler hat längst Historisches geleistet. Es gab zwar schon 44 | |
Major-League-Profis, die in Deutschland geboren wurden. Der allererste | |
debütierte bereits im Jahr 1871. Aber die meisten davon waren Einwanderer | |
und später Kinder von in Deutschland stationierten GIs, die in jungen | |
Jahren mit ihren Eltern wieder aus Deutschland zurückkehrten. Kepler | |
dagegen ist der erste in Deutschland geborene, in Deutschland aufgewachsene | |
und in Deutschland im Baseball ausgebildete Spieler, der sich in den Major | |
Leagues etablieren konnte. Etwas, was anderen deutschen Talenten wie | |
zuletzt Donald Lutz, der 2013 ein kurzes Gastspiel in der großen Show gab, | |
nie gelang. | |
## Graziöse Athletik | |
Dass es ausgerechnet Maximilian Kepler-Rozycki schaffen würde, das | |
allerdings ist nicht wirklich eine Überraschung. Gleich in drei Sportarten | |
demonstrierte er als Jugendlicher das überragende Bewegungstalent, das ihm | |
seine Eltern mitgegeben hatten. Mutter Kathy Kepler, die aus Texas stammt, | |
und Vater Marek Rozycki, der aus Polen geflüchtet war, waren beide | |
Solotänzer und lernten sich im Ballett der Deutschen Oper in Berlin kennen. | |
Eine „natürliche, graziöse Athletik“ bescheinigte der Talentspäher Andy | |
Johnson dem damals 15-Jährigen, der Kepler für die Twins beobachtete. „Wie | |
er rannte, sein Schwung, seine Bewegungen, es war leicht zu sehen, das er | |
begabter war als alle, mit denen er spielte.“ Dazu kämen, so der Scout, die | |
auch im Baseball überaus hilfreichen Eigenschaften Disziplin und | |
Bescheidenheit. | |
Eigenschaften, die Kepler allerdings erst einmal von einer Karriere als | |
Fußballprofi träumen ließen. Als Torhüter spielte er in den | |
Jugendmannschaften von Hertha BSC. Auch im Tennis war er nicht schlecht, | |
lehnte ein Stipendium aber ab. Baseball, mit dem er im zweisprachigen | |
Berliner John-F-Kennedy-Gymnasium begonnen hatte, spielte Kepler eher als | |
Hobby. Erst mit 15 Jahren entschied er sich endgültig für die seltsame | |
amerikanische Sportart, die ihm sein Großvater nahegebracht hatte, und ging | |
ans Baseball-Internat im Leistungszentrum in Regensburg. | |
Zu diesem Zeitpunkt war Kepler internationalen Scouts längst aufgefallen. | |
Angebote von 16 MLB-Teams lagen ihm schließlich vor, als er sich mit 16 | |
Jahren für die Minnesota Twins entschied und in die USA umsiedelte. 775.000 | |
Dollar bekam er für seine Unterschrift, das zu diesem Zeitpunkt größte | |
Handgeld, das je ein europäisches Talent bekommen hatte. Vor allem aber ein | |
Zeichen, wie groß die Twins das Potenzial des jungen Deutschen | |
einschätzten. | |
Trotzdem dauerte es seine Zeit, bis sich Kepler durch die unteren | |
Spielklassen, ein verschlungenes System aus sogenannten Minor Leagues, nach | |
oben durchkämpfen konnte. „Ich war genauso talentiert wie die anderen, aber | |
ich hatte nicht so viel Erfahrung“, erzählt Kepler. „Als ich nach Amerika | |
ging, dachte ich, ich lerne ein anderes Land kennen, ich werde neue Freunde | |
finden und ich werde dort Baseball spielen, aber ich habe nicht wirklich | |
daran geglaubt, es nach ganz oben zu schaffen. Ich habe oft gezweifelt.“ | |
Nach mehr als sechs Jahren in den USA sucht Kepler immer wieder nach | |
deutschen Ausdrücken und spricht mit einem leichten amerikanischen Akzent. | |
„Die Minor Leagues sind nicht schön, da ist es nicht einfach. Man braucht | |
da viel Geduld. Das Essen ist nicht gut, die Hotels haben einen oder zwei | |
Sterne, billiger geht’s nicht. Aber man muss da durch, wenn man es schaffen | |
will.“ | |
Im September 2015 wurde er erstmals in den Major-League-Kader berufen und | |
durfte bei drei Spielen auflaufen. Die Saison 2016 begann er trotzdem noch | |
einmal in einem der unterklassigen Teams des Vereins, ehe er Anfang April | |
zu den von Verletzungssorgen geplagten Profis kam. Kepler nutzte seine | |
Chance und entwickelte sich unerwartet schnell zum Stammspieler. Der Rest | |
des Landes wurde am 1. August auf den jungen Deutschen aufmerksam: Beim | |
12:5-Erfolg gegen die Cleveland Indians hämmerte Kepler den Ball gleich | |
drei Mal in die Zuschauerränge. Drei Homeruns waren zuvor erst vier | |
Spielern in der langen Geschichte der Twins gelungen. | |
Vor ein paar Wochen, kurz vor dem Transferschluss in der MLB, | |
veröffentlichte Baseball-Experte David Schoenfield eine Liste mit | |
unverkäuflichen Spielern. Unter den Akteuren, die seiner Einschätzung nach | |
von ihren Klubs wohl nicht abgegeben werden würden, fand sich auch Kepler. | |
Der aber traut dem Frieden noch nicht: „Für mich ist ein Stammplatz niemals | |
sicher. In dieser Liga muss man immer sein Bestes geben und gut spielen, | |
sonst wird man runtergeschickt. Und das kann schnell gehen. Deshalb | |
versuche ich jeden Tag, mich zu verbessern.“ Diese demonstrative | |
Bodenständigkeit lieben sie im ländlichen Minnesota. | |
Tatsächlich scheint die deutsche Nachwuchshoffnung nun sogar Joe Mauer, dem | |
langjährigen Star der Twins, den Rang abzulaufen. Bei den Fans in | |
Minneapolis gehört sein Autogramm zu den begehrtesten. In einer – | |
allerdings ganz und gar nicht repräsentativen – Internet-Umfrage einer | |
Twins-Fanpage, wer denn das Aushängeschild der Twins sei, kam Kepler mit 37 | |
Prozent der online abgegebenen Stimmen sogar auf den ersten Platz. Die | |
Lokalzeitungen erklären ihn zum „frischen Gesicht der Twins“, bescheinigen | |
ihm ein filmstartaugliches Aussehen und freuen sich über sein akzentfreies | |
Englisch. Im Gegenzug hat der TV-Kommentator der Twins längst ein paar | |
Brocken Deutsch gelernt. Wenn Kepler einen Homerun schlägt, dann begleitet | |
der Sprecher den Ball, der in den Zuschauerrängen landet, mit einem | |
genüsslichen „Good-bye, auf Wiedersehen“. | |
27 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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