# taz.de -- Deutscher Schach-Star Vincent Keymer: Im Endspiel souverän | |
> Deutschlands bester Schachspieler deutet an, dass er seine Schwäche | |
> überwunden hat. Das WM-Kandidatenturnier verpasst Vincent Keymer knapp. | |
Bild: Ein Blick wie ein Laserstrahl: Vincent Keymer fixiert seinen Gegner | |
Ein bisschen Glück gehört dazu. Auf dem Weg zu seinem hervorragenden | |
fünften Platz beim Fide Grand Swiss profitierte Deutschlands bester | |
Schachspieler Vincent Keymer von der [1][Berührt-geführt-Regel]. In der | |
vierten Runde war die Stellung gegen Andrij Wolokitin ausgeglichen, als der | |
ukrainische Großmeister, wohl versehentlich, einen sogenannten vergifteten | |
Bauern anfasste. | |
Augenzeugen gab es außer den beiden Kontrahenten dafür zwar keine, doch | |
nachdem Keymer den Schiedsrichter zum Brett gebeten hatte, war Wolokitin | |
geständig, zog den Bauern und verlor einen Turm. Keymers Sieg mit den | |
schwarzen Steinen war anschließend Formsache. | |
Es würde Keymers Leistung freilich nicht gerecht, seinen Erfolg beim wohl | |
härtesten Turnier des Schachjahres auf diesen Anfängerfehler | |
zurückzuführen. Auf der Isle of Man in der Irischen See spielte der | |
18-Jährige, in der Live-Weltrangliste jetzt [2][auf Platz 18], zwölf Tage | |
lang klassisches Schach auf Spitzenniveau. Teilweise dauerten die Partien | |
über sechs Stunden. Keymer verlor von seinen elf nur eine einzige. | |
## Auf den Rückschlag folgen zwei eindrucksvolle Siege | |
In der achten Runde unterlag er dem sehr gut vorbereiteten Andrei | |
Jessipenko aus Russland, sonst remisierte und gewann er je fünfmal. | |
Besonders die Siege gegen Nihal Sarin (Indien) und Wladimir Fedossejew | |
(Slowenien) waren eindrucksvoll. Nicht nur, dass sie ihm direkt nach dem | |
vermeintlichen Rückschlag gegen Jessipenko gelangen. In beiden Partien | |
stellte Keymer unter Beweis, dass er auf einem guten Weg ist, seine letzte | |
größere Schwäche hinter sich zu lassen. | |
Was Eröffnungen und Theorie angeht, kann der Großmeister schon länger mit | |
der Weltklasse mithalten, doch er scheiterte zuletzt daran, die guten | |
Positionen auch in Siege umzuwandeln. Beim World Cup im August war Keymer | |
nur einen Zug davon entfernt, die Überfigur [3][Magnus Carlsen aus dem | |
Turnier zu werfen]. Doch er übersah den Zug Springer auf e4. | |
Beim Grand Swiss hingegen vollendete er die Chancen, die er sich selbst | |
vorbereitet hatte. Gegen Sarin nahm er sich dafür gut elf Minuten | |
Bedenkzeit vor dem 18. Zug, bewegte dann seinen Läufer auf f4 und nutzte | |
den unklugen Damentausch seines Gegners innerhalb kürzester Zeit zum Sieg: | |
Nach 30 Zügen war der indische Großmeister geschlagen. | |
Gegen Fedossejew wiederum ließ sich Keymer bei klarer Gewinnposition auch | |
von der knappen Zeit nicht aus der Ruhe bringen und besiegte die Nummer 57 | |
der Welt in der vorletzten Runde souverän. | |
Keymer, gewohnt unaufgeregt, sagte hinterher: „Gegen solch gute Gegner | |
kannst du nichts erzwingen. Ich habe einfach alles gegeben, um das Spiel zu | |
gewinnen.“ Das galt mit Sicherheit auch für seine letzte Partie des | |
Turniers, doch gegen den Weltranglistenzweiten, Fabiano Caruana aus den | |
USA, war für Keymer mit den schwarzen Steinen nicht mehr als ein Remis zu | |
holen. | |
## Der erste deutsche WM-Kandidat seit 1991? | |
Zuvor hatte die deutsche Schachgemeinschaft [4][ausgerechnet], dass der | |
18-Jährige mit einem Sieg sogar eine Minimalchance auf den zweiten Platz | |
und somit das WM-Kandidatenturnier gehabt hätte – als erster Deutscher seit | |
Robert Hübner 1991. Doch weil der Inder Vidit Gujrathi parallel zu Keymers | |
Remis seine abschließende Partie und somit den Grand Swiss gewann, brauchte | |
Keymer sich über diese vergebene Möglichkeit nicht weiter zu ärgern. Zumal | |
sie theoretisch sogar weiter besteht. | |
Für das Kandidatenturnier in Toronto, bei dem im April der Herausforderer | |
für Weltmeister Ding Liren ermittelt wird, sind noch zwei Plätze zu | |
vergeben. Keymers Weg dorthin könnte über den sogenannten Fide Circuit, | |
einer Gesamtwertung für Schachturniere während des gesamten Jahres, führen. | |
Die ist zwar kompliziert, umfasst aber unter anderem nationale | |
Meisterschaften. | |
Keymers Problem: Die German Masters, bei denen faktisch der beste deutsche | |
Spieler ermittelt wird und deren Titelverteidiger Keymer ist, werden vom | |
Deutschen Schachbund (DSB) nicht als Deutsche Meisterschaft geführt. Das | |
könnte sich nun ändern. Auf taz-Anfrage teilt der DSB mit, dass der | |
Berliner Schachbund für den nächsten Bundeskongress einen Antrag | |
eingereicht hat, um das Turnier künftig als nationale Meisterschaft zu | |
werten. | |
Die Masters beginnen zwei Tage nach dem Kongress. | |
Hinweis: in einer früheren Version dieses Textes hieß es versehentlich, | |
dass Nihal Sarin Iraner sei. Tatsächlich ist er Inder. Wir haben die Stelle | |
entsprechend korrigiert und bitten um Entschuldigung. | |
6 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ber%C3%BChrt-gef%C3%BChrt-Regel | |
[2] https://2700chess.com/ | |
[3] /Generationswechsel-im-Schach/!5965398 | |
[4] https://x.com/jesse3bc/status/1720919081199477245?s=20 | |
## AUTOREN | |
David Kulessa | |
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