# taz.de -- Deutscher Buchpreis: Die Fülle der Gegenwartsliteratur | |
> Am Mittwoch hat die Jury die Kandidaten für den Deutschen Buchpreis | |
> bekannt gegeben und für Überraschungen gesorgt. Der Gewinner wird auf der | |
> Frankfurter Buchmesse gekürt. | |
Bild: Ihm gebührte der allererste deutsche Buchpreis 2005: Arno Geiger. | |
Der Deutsche Buchpreis, obwohl erst wenige Jahre alt (2005 bekam Arno | |
Geiger den ersten für "Es geht uns gut"), läuft längst wie eine gut geölte | |
Maschine. Wenn im Oktober, zum Start der Frankfurter Buchmesse, der | |
Gewinner des Preises bekannt gegeben wird, wird das garantiert wieder ein | |
Bestseller werden; alle anderen Kandidaten werden allerdings weitgehend | |
leer ausgehen. Letzteres mag man bedauern, spiegelt aber nur die | |
Bedürfnisse des Literaturmarktes wider: Mehr als ein, zwei deutschsprachige | |
Romane wollen oder können die meisten Leser eben nicht lesen. | |
Vor der Bekanntgabe des Siegers aber liegt erst einmal die Bekanntgabe der | |
Longlist. Nun war es wieder so weit, und für den Zustand der | |
deutschsprachigen Literatur ist sie im Grunde viel aussagekräftiger als das | |
Endergebnis. Denn diese Kandidatenliste folgt anderen Gesetzen. Sie ist | |
dann gut, wenn sie einen Eindruck von der Fülle der Möglichkeiten der | |
deutschsprachigen Romane vermittelt. | |
Dann können die Buchhandlungen neben die neuesten Krimis und den neuen | |
Ferdinand von Schirach (wäre doch lustig gewesen, wenn der auch auf der | |
Longlist gestanden hätte) ein Qualitätstischchen von 20 Romanen zum Stöbern | |
aufstellen; für die Leser, die sich mit den ein, zwei Büchern im Jahr nicht | |
zufriedengeben, und für die, die sich einen Überblick darüber verschaffen | |
wollen, was überhaupt gerade so geschrieben und offenbar für interessant | |
befunden wird. | |
So sind die Spielregeln, und man darf befriedigt feststellen, dass die | |
Schwarmintelligenz der diesjährigen Buchpreisjury (Thomas Geiger vom LCB, | |
Burkhard Müller von der SZ, Ulrich Greiner von der Zeit, Jobst-Ulrich Brand | |
vom Focus, Cornelia Zetzschke vom BR, die Buchhändlerin Ulrike Sander und, | |
als Sprecherin, Julia Encke von der FAS) es prima hingekriegt hat, sie | |
umzusetzen. Beim Studium der Männernamen auf der Liste gibt es viele "Ach | |
ja"-Erlebnisse. | |
Jan Faktor mit seinem schönen Roman aus dem Frühjahr mit dem viel zu langen | |
Titel, in dem das Wort "Hodensack" vorkommt, steht ebenso drauf wie Thomas | |
Hettches bereits breit diskutiertes nagelneues Buch "Die Liebe der Väter". | |
Michael Kleeberg, der 2007 mit seinem ambitionierten, großen Roman | |
"Karlmann" den Preis unbedingt verdient gehabt hätte, aber nicht bekommen | |
hat, hat jetzt mit seinem schönen, kleinen Roman "Das amerikanische | |
Hospital" vielleicht sogar bessere Siegchancen. An Martin Mosebach, seufz, | |
kommt man vielleicht ja wirklich nicht vorbei. | |
Michael Köhlmeier, Andreas Maier und Thomas Lehr gehören, wenn sie etwas | |
Neues geschrieben haben, eh auf jede Longlist. Und wenn Hans Joachim | |
Schädlichs karge, genaue Prosa der Büchnerpreis-Jury offenbar leider zu | |
wenig hermacht, dann kann man doch froh sein, dass "Kokoschkins Reise" hier | |
durch die Buchpreis-Jury noch einmal zu Ehren kommt. | |
Die schönen Überraschungen bietet die diesjährige Liste aber bei den | |
Frauennamen. Für Nino Haratischwilis Roman "Juja" hat der kleine, | |
umtriebige Verbrecher Verlag neulich noch sehr in Sachen | |
Independent-Buchpreis getrommelt; nun steht er also auch auf der, wenn man | |
denn so will, Mainstream-Liste. Das spricht für die Entdeckerfreude der | |
Jury, zumal auch noch die Autorinnennamen Alina Bronsky, Olga Martynova und | |
Melinda Nadj Abonji auf der Longlist verzeichnet sind. | |
Dass sie eine provinzielle Idee von deutschsprachiger Literatur hat, kann | |
man dieser Jury nicht nachsagen. Auch nicht, dass sie stark nach | |
Verlagsproporz entschieden hätte: Kein Titel des Fischer Verlags ist | |
diesmal dabei, dafür welche von Verbecher, Droschl, Jung und Jung, Galiani, | |
Klöpfer & Meyer und Kunstmann. Eine Einladung zum Stöbern halt. | |
18 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
## TAGS | |
Ferdinand von Schirach | |
Buchmesse Frankfurt 2012 | |
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Überschätzen ist so falsch wie verdammen. |