# taz.de -- Deutscher Buchpreis in Frankfurt: Ein bisschen mehr Pragmatismus bi… | |
> Am Montag wird der Gewinner des Deutschen Buchpreises verkündet. | |
> Überschätzen ist so falsch wie verdammen. | |
Bild: Heißer Favorit für den Buchpreis: Uwe Tellkamp und sein Roman "Der Turm… | |
Ein paar Dinge rund um den Deutschen Buchpreis müssen sich schon noch | |
einspielen. Zum Beispiel könnten diejenigen, die ihn wieder abschaffen | |
wollen - kürzlich vorneweg: Daniel Kehlmann in der FAS -, ruhig mal lernen, | |
auf der Höhe des Gegenstandes zu argumentieren. Dass es den "besten" Roman | |
eines Jahres gar nicht gibt, ist doch eh klar. Vielmehr geht es beim | |
Deutschen Buchpreis darum, ein Etikett zu produzieren, das man vorne auf | |
die Buchcover pappen kann - neben all die anderen Etiketten wie | |
"Bachmannpreisträger" oder "Meisterwerk" oder "Roman der Saison". | |
All das sind verschiedene Arten, "toll" zu sagen oder "Lesen Sie das!". So | |
viel Vertrauen in die Leser darf man ruhig haben: Niemand wird glauben, mit | |
dem Gewinner des Deutschen Buchpreises tatsächlich den besten Roman eines | |
Jahres gelesen zu haben. Man kauft das Buch in der Erwartung, dass die | |
Experten in der Jury bestimmt was Lohnendes ausgesucht haben - und dass | |
viele andere Leser das genauso sehen werden, weshalb man hinterher auf | |
Menschen trifft, mit denen man sich über die Lektüre austauschen kann. | |
Auch das Argument, der Buchpreis würde das Geschäft vereinheitlichen, trägt | |
nicht. Als Gegenargument nur zwei Namen und eine Berufsbezeichnung: Marcel | |
Reich-Ranicki, Elke Heidenreich und Deutschlehrer. Bevor es den Buchpreis | |
gab, hat nämlich nur das Fernsehen Bestseller produziert, am | |
verlässlichsten dabei: unsere Lautesten. Wenn MRR und, nachdem das | |
"Literarische Quartett" eingestellt wurde, EH ein Buch nur in die Hand | |
nahmen, konnte der jeweilige Verlag schon mal Neuauflagen ordern. So | |
richtig uneinheitlich war das auch nicht. | |
Man kann sogar sagen, dass der Deutsche Buchpreis ein Versuch ist, verloren | |
gegangenes Terrain für die ernsthafte Literaturkritik wieder | |
zurückzugewinnen. Immerhin entscheidet eine vorwiegend von Kritikern | |
besetzte Jury. Also hat die Kritik bei diesem Preis wenigstens eine Chance, | |
einen Roman, der es verdient hat, am Markt durchzusetzen. Dass nur noch die | |
Longlist- bzw. dann Shortlist-Romane besprochen werden, stimmt auch nicht. | |
Man bedenke das schöne, unaufhebbare Spiel der Distinktionen: Wer als | |
Literaturredakteur nur Longlist-Romane besprechen lässt, gilt unter | |
Kollegen bald als ziemlich uncool. Oder man bedauert ihn, weil er womöglich | |
eine Chefredaktion hat, die in der eigenen Zeitung nur das wiederfinden | |
möchte, worauf sie bei der Lektüre der anderen Zeitungen gestoßen ist. | |
Okay, und warum stand da eben das Wort "Deutschlehrer"? Weil in der guten | |
alten Zeit, als Suhrkamp noch Suhrkamp war, der Büchnerpreis was galt und | |
die Hackordnungen innerhalb des Literaturbetriebs noch funktionierten, das | |
alles auch nicht vom Himmel gefallen kam. Es waren die Deutschlehrer, die | |
die Gruppe-47-Literatur in der alten Bundesrepublik durchboxten und | |
vermittelten. Böllgrasswalserlenz - auf diese Steine konnten sie bauen, um | |
eine liberalere Gesellschaft zurechtzuzimmern. Dass dieser Impuls nun nicht | |
mehr trägt, heißt keineswegs, dass die Gesellschaft konservativer wird, | |
sondern dass sie inzwischen zu ausdifferenziert ist, um noch in klare | |
Schemata von gut (Literatur, Geist etc.) und schlecht (Macht, Geld etc.) zu | |
passen. Literatur und Erziehung - das passt nicht mehr zusammen. | |
Der oppositionelle Intellektuelle/Schriftsteller wird nicht mehr gebraucht. | |
Das hat viele Vorteile. Jetzt kann sich der Literaturbetrieb jedes Jahr neu | |
ausdenken, was für ein Roman am meisten verkauft werden soll - ob ein | |
Familienroman, ob ein Roman mit prekären Gegenwartsfiguren. Oder vielleicht | |
darf es dann auch mal wieder ein politischer Roman sein? Genau das macht | |
der Buchpreis. Er zeigt, dass der Literaturbetrieb inzwischen flexibel zu | |
sein hat und sich jedes Jahr ein wenig selbst neu erfinden muss. | |
Der Preis ist also schon okay, als ein Marketinginstrument unter vielen. | |
Wer gegen ihn ist, sollte schon klar sagen, worum es ihm wirklich geht. Zu | |
vermuten ist: Er will artikulieren, dass man als Schriftsteller lieber | |
nicht von Marktmechanismen abhängig wäre; dass man sich besser fühlen | |
würde, wenn die wichtigen Romane von sich aus viele intelligente Leser | |
finden würden; dass man es toll fände, wenn man so etwas Intimes und | |
Wertvolles wie Literatur geschützter und sorgfältiger behandeln könnte. Das | |
alles wäre ja auch schön. Und es kann einen manchmal durchaus melancholisch | |
stimmen, dass das in der Wirklichkeit anders läuft. Aber die einzige | |
wirkliche Alternative zum Buchpreis ist der Rückzug in die Nische. Und mehr | |
als die Nische hat gute Literatur in jedem Fall verdient. | |
Heute Abend also in Frankfurt! Dann wissen wir, wer dieses Jahr den | |
Buchpreis bekommt. Dann mehr. | |
13 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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