# taz.de -- Corona-Lockdowns in China: Exodus der Expats | |
> Lockdowns und die Angst vor der Zwangsquarantäne: Unter europäischen | |
> Unternehmen in China kippt die Stimmung. | |
Bild: Bild mit Déjà-vu-Effekt: Chinesische Arbeiter beim Bau eines Übergangs… | |
PEKING taz | Wer noch Resthoffnungen auf einen rasch endenden Lockdown in | |
Shanghai hegte, wurde am Mittwoch eines Besseren belehrt: Unter Hochdruck | |
wird derzeit das „National Exhibition and Convention Center“ in das | |
weltweit größte Covid-Feldhospital umgebaut. In den Hangar-Hallen werden | |
schon bald 40.000 Betten Platz finden. Doch trotz der anhaltenden | |
Ausgangssperren steigen die Infektionszahlen in der Region nach wie vor: | |
Zuletzt meldeten die Behörden innerhalb der chinesischen | |
Wirtschaftsmetropole über 17.000 neue Ansteckungen. | |
Dass die Lockdown-Politik der chinesischen Staatsführung wirtschaftlich | |
tiefe Dellen hinterlassen wird, steht außer Frage. Doch das Ausmaß der | |
Krise ist schockierend: Am Mittwoch sorgte das renommierte | |
Wirtschaftsmagazin Caixin mit der Publikation seines Einkaufsmanagerindexes | |
EMI für den Dienstleistungssektor für Schockwellen. Der Indikator zeigt an, | |
wie die Stimmung unter den Unternehmen ist – [1][ein Wert über 50 | |
signalisiert Wachstum], darunter bedeutet Kontraktion. Im März ist der EMI | |
von 50,2 auf ein Rekordtief von 42 eingebrochen. | |
„Das ist beispiellos“, sagt Jörg Wuttke, Präsident der europäischen | |
Handelskammer in Peking: „Das erste Quartal 2021 ist noch leicht besser im | |
Vergleich zum Jahresbeginn 2020, aber wir sind auf dem Weg dahin.“ Auch die | |
Großbank UBS hat unlängst ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum der | |
Volksrepublik von 5 Prozent auf 4 Prozent herabgestuft – es wäre der | |
niedrigste Wert seit mehreren Jahrzehnten. | |
Ein schwächelndes China hat jedoch auch global überproportionale | |
Auswirkungen, schließlich werden im Reich der Mitte über ein Viertel des | |
weltweiten Wirtschaftswachstums generiert. „Wenn China Schluckauf hat, | |
bekommen wir alle eine Erkältung“, sagt Wuttke. Doch was die | |
EU-Handelskammer in ihrer jüngsten Bestandsaufnahme berichtet, ist mehr als | |
besorgniserregend: Im nahezu gesamten Gebiet ist die Stimmung sehr | |
bedrückt. | |
## Kein Exitplan | |
In der nordöstlichen Wirtschaftsmetropole Shenyang etwa gilt seit über zehn | |
Tagen bereits [2][ein flächendeckender Lockdown], auch der internationale | |
Flughafen ist außer Betrieb. Aufgrund der vielen Insolvenzen sei es zudem | |
schwer geworden, überhaupt noch Kredite von den Banken zu erhalten. „Die | |
Konzerne haben akzeptiert, wie es jetzt ist. Doch es gibt eine große Sorge | |
um die Zukunft, weil man keinen Exitplan erkennt: Nach der Coronawelle ist | |
schließlich vor der Coronawelle“, sagt Handelskammervorstand Harald | |
Kumpfert. Doch Chinas Regierung hat sich mehr denn je dazu verpflichtet, an | |
seiner „Null Covid“-Strategie festzuhalten – und auch die wirtschaftlichen | |
Kosten dafür in Kauf zu nehmen. | |
Egal, ob in Tianjin, Nanjing oder Shenzhen: Die europäischen | |
Unternehmensvertreter haben geradezu abenteuerliche Probleme, die in vielen | |
Teilen der Welt mittlerweile absurd anmuten dürften. Wegen der | |
Ausgangssperren müssen Arbeiter nicht selten wochenlang in den Fabriken | |
hausen. Die Wartezeiten auf Zulieferungen verdoppeln sich, weil sämtliche | |
aus dem Ausland importierten Produkte auf Virusspuren untersucht werden. | |
Und selbst Geschäftsreisen innerhalb des Landes sind derzeit absolut tabu. | |
[3][Am prekärsten ist die Situation derzeit in Shanghai]; einer | |
26-Millionen-Metropole, die immerhin knapp 4 Prozent des nationalen | |
Bruttoinlandprodukts generiert. „Niemand weiß, wann der Lockdown enden | |
wird. Shanghai ist zu einer Geisterstadt geworden“, sagt Bettina | |
Schön-Behanzin, die die lokale EU-Handelskammer leitet. | |
Derzeit sind die Geschäftsbilanzen nahezu in den Hintergrund gerückt, denn | |
viele Mitarbeiter haben viel essenziellere Probleme: „Wir haben Berichte | |
von Leuten, die täglich um 4 Uhr morgens aufstehen – in der Hoffnung, um | |
die Uhrzeit an Essenslieferungen zu gelangen“, sagt Schön-Behanzin. Neben | |
der angespannten Nahrungsmittelversorgung grassiert unter vielen Familien | |
die Angst, dass sie im Fall einer Corona-Infektion von ihren Kindern | |
getrennt werden. In der Vergangenheit haben die Behörden Shanghais | |
infizierte Kinder separat in eigenen Covid-Spitälern untergebracht. | |
## Europäisches Vogelnest | |
All das hat den Exodus der europäischen Expats noch einmal beschleunigt. | |
Allein im Zuge der Pandemie hat sich die ohnehin niedrige Anzahl von | |
Ausländern in China halbiert. Die Handelskammer erwartet, dass im Zuge des | |
Sommers nochmals die Hälfte zurück in den Westen abziehen wird. | |
Nachkommendes Talent ist jedoch immer schwerer zu bekommen: Schuld daran | |
sind vor allem die radikalen Quarantänebestimmungen des Landes. | |
„Alle Europäer in ganz China würden jetzt schon locker ins Pekinger | |
Nationalstadion passen – und selbst dann würden noch eine Menge | |
Zuschauerreihen frei bleiben“, sagt Kammerpräsident Jörg Wuttke. Die | |
Dimension seiner Aussage sollte man sich einmal bildlich zu Gemüte führen: | |
Das „Vogelnest“-Stadion in der chinesischen Hauptstadt hat knapp 80.000 | |
Sitze, China hingegen eine Gesamtbevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen. | |
8 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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