# taz.de -- Chinas Social Scoring beim #35C3: Eine gute Portion Unübersichtlic… | |
> Chinas geplantes System für soziale Überwachung ist nicht so ausgefeilt, | |
> wie es scheint. Eine Forscherin klärt beim #35C3 über die Schwächen auf. | |
Bild: Überwachung ist auf dem CCC traditionell ein wichtiges Thema: Szene vom … | |
LEIPZIG taz | „In China ist Vertrauen ein seltenes Gut“, erzählt Antonia | |
Hmaidi im Saal „Borg“ auf dem 35. Chaos Communication Congress (#35C3) in | |
Leipzig. Menschen vertrauen einander nicht, sie vertrauen Firmen nicht und | |
sie vertrauen dem Staat nicht. Als Beispiel nennt sie die immer | |
wiederkehrenden [1][Milchpulver-Skandale in China]: Weil chinesisches | |
Milchpulver oft verseucht ist, wird in Deutschland großflächig das Pulver | |
aufgekauft und nach China verkauft. | |
Der gesellschaftliche Vertrauensmangel ist – so wird es zumindest offiziell | |
in China behauptet – einer der wichtigsten Gründe für ein bisher | |
beispielloses Überwachungsprojekt: Ab 2020 will die chinesische Regierung | |
alle BürgerInnen überwachen und ihnen Punkte nach Vertrauenswürdigkeit | |
vergeben. So sollen BürgerInnen wissen, wem sie Vertrauen können und wem | |
nicht. Kontrolle ist eben besser als Vertrauen. | |
Das System soll Daten aus verschiedenen Lebensbereichen bündeln und in | |
einer einzigen Kennziffer ausdrücken: Hat jemand Steuern hinterzogen oder | |
einen Kredit nicht beglichen? Respektiert jemand seine Eltern nicht? Läuft | |
jemand bei rot über eine Straße? Die Zahl soll künftig beeinflussen, | |
welchen Zugang zu Schulen und Ausbildungen Menschen haben, ob, wohin und | |
wie schnell sie reisen können und wer mit ihnen Handel treibt. Die | |
erklärten Ziele: effizientere Ressourcenverteilung, mehr Vertrauen und | |
BürgerInnen, die „gute Menschen“ im Sinne der Regierung sind. | |
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Hmaidi von der Uni Duisburg-Essen hat sich | |
diesen Plan genauer angeschaut und ist zum Schluss gekommen: „Es gibt vor | |
allem viele Dinge, die nicht bekannt sind.“ Nachdem sie mehrere | |
Simulationen zu drei der rund 70 verschiedenen Modellen durchgeführt hat, | |
kommt Hmaidi zu dem Schluss, dass der Erfolg oder Misserfolg des Systems | |
von dessen genauer Ausgestaltung abhängen wird: „Dieses System ist sehr | |
komplex und schon kleine Veränderungen können zu großen Auswirkungen | |
führen.“ | |
## Kein großes Überwachungssystem | |
Grundsätzlich ist das für die Regierung wohl vielversprechendste System, | |
das derzeit in China als Modellprojekt läuft, weit weniger ausgefeilt, als | |
in der Berichterstattung im Westen dargestellt. Statt eines großen | |
allumfassenden algorithmischen Überwachungssystems gibt es vor allem ein | |
vielschichtiges System, das regional je unterschiedlich ausgeprägt ist, | |
abhängig von Einzelpersonen als BerichterstatterInnen und – gerade deshalb | |
– durchsetzt von vielen gegenteiligen Interessen. | |
Die Regionalität kann dazu führen, dass es einen Wettlauf zum niedrigsten | |
Standard gebe, sagt Hmaidi: Also dass Menschen dorthin ziehen, wo sie am | |
wenigsten überwacht werden und am einfachsten Punkte bekommen. Die | |
Abhängigkeit von Einzelpersonen bedeutet, dass diese ein Interesse daran | |
haben, Regeln zu entwerfen, von denen sie möglichst profitieren. Auch | |
korrelieren viele erhobene Werte gar nicht mit dem erwünschen Verhalten: In | |
Zukunft könnten viele ChinesInnen also Kredite erhalten, weil sie einen | |
guten Score haben – obwohl sie gar nicht verlässliche RückzahlerInnen sind. | |
Und letztlich führe auch das übergroße Interesse der Regierung an der | |
Ermittlung und Bestrafung von „Vertrauensbrechern“ dazu, dass wenig getan | |
werde, um zu vermeiden, dass Menschen fälschlicherweise als | |
nicht-vertrauenswürdig eingestuft werden. Nebenbei gebe es viel | |
offensichtlichere Probleme, beispielsweise, dass mit Spenden an die | |
Kommunistische Partei, der eigene Score verbessert werden könne: „Das | |
heißt, Menschen können für einen guten Score zahlen und sich dann | |
verhalten, wie es ihnen passt.“ | |
Langfristig könne all dies dazu führen, dass das Vertrauen in das Social | |
Scoring erodiert und sich alternative, inoffizielle Systeme etablieren, wie | |
sie auch heute schon in China gängig sind. Und auch Hmaidi hat eine klare | |
Empfehlung: „Wenn das Problem ist, dass Menschen bei rot über die Straße | |
laufen, obwohl das schon illegal ist, würde ich am Rechtssystem ansetzen, | |
statt ein neues System einzuführen.“ Vertrauen ist eben ein seltenes Gut in | |
China – und offenbar leicht zu verlieren. | |
27 Dec 2018 | |
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## AUTOREN | |
Lalon Sander | |
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