Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Braunkohleabbau am Niederrhein: Der Immerather Dom muss weichen
> Der Energiekonzern RWE reißt ein Wahrzeichen ab, da es einem Tagebau im
> Weg steht. Dabei ist allen klar: Die Tage der Kohle sind gezählt.
Bild: Ein Schmuckstück neoromantischer Baukunst. Bald ist es nicht mehr zu seh…
Es ist angerichtet. Mit riesigen Baggern, Bauzäunen in Doppelreihen,
Hundestaffeln und viel Polizei. Eines der großen Symbole im Kampf um die
Braunkohle wird ab kommenden Montag „zurückgebaut“, wie es im
Braunkohlesprech heißt: Der bei Erkelenz gelegene Dom von Immerath, ein
liebevoll restauriertes Schmuckstück neuromanischer Baukunst, wird wegen
„Flächeninanspruchnahme“ durch den Tagebau abgerissen. Oder wie ein
Hamburger Journalist diese Woche schrieb: „Die Braunkohle-Taliban haben es
endlich geschafft!“
Auf die ursprünglich geplante Sprengung der 125 Jahre alten Kirche wird
indes verzichtet. Vielleicht, so vermuten Bürgerinitiativen, wären die
Bilder eines für die Braunkohle in die Luft gejagten Hauses des Herrn zu
empörend für einige gewesen. Dann also die kleine Lösung: mit Bagger und
Abrissbirne. Der Energiekonzern RWE Power spricht gegenüber der taz von
„rein technischen und kostenmäßigen Erwägungen“, die dem Abriss den Vorz…
gegeben hätten. Jetzt wird die Dom-Beseitigung einschließlich
Schutträumung zwar bis zu zwei Wochen dauern, aber die Bilder sind dafür
weniger spektakulär.
RWE Power will die schon lange erwartete Zerstörung der Tuffstein-Basilika
nicht hinterrücks vollziehen. Die Presse wurde vorab über viele Details
informiert: „Der besonders lange Greifarm des Baggers wird seine Arbeit am
Chor des Kirchenschiffs beginnen“, schreibt RWE Power. „Schaulustige“ sind
explizit eingeladen, die Zerbröselung des Gotteshauses vom früheren
Immerather Markt aus zu beobachten. Bester Zufahrtsweg laut RWE-Mitteilung:
„über die Lützerather Straße“. Die Schleifung eines Kulturdenkmals als
Event. Für die Zuschauer soll eigens ein Unterstand gebaut werden, damit
sie vor dem kalten Januarregen – „der kommt zur Zeit fast waagrecht“ (RWE)
– geschützt sind. Mehr Transparenz und Fürsorge geht nicht.
Für die Braunkohlegegner ist das ein sicheres Indiz für die
Defensivposition, in der sich RWE befinde. Ein Jahr lang haben sich
Bürgerinitiativen und Vertreter des Energiekonzerns getroffen und „über den
Braunkohle-Wahnsinn“ diskutiert. Ergebnis: „Die sind schon viel weiter, als
sie nach außen zugeben; alle wissen, dass es mit der Braunkohle zu Ende
geht, auch RWE weiß es“, fasst Michael Zobel, Waldpädagoge und
Anti-Kohle-Aktivist die Lage zusammen. Der Energiekonzern wolle sich den
Ausstieg aber vergolden lassen, Millionen an staatlichen Abschaltprämien
und Entschädigungen für das Ende des Klimakillers kassieren.
Zobel erinnert an die Jamaika-Sondierungen, als plötzlich die Abschaltung
von sieben Megawatt, das entspricht 12 bis 15 alten Kohlekraftwerksblöcken,
Konsens war. Die Umsetzung hätte einen dramatischen Einbruch für den
rheinischen Braunkohle-Tagebau bedeutet. Zobels Eindruck: „Der
Kohleausstieg wird viel schneller kommen, als wir glauben.“ Selbst
SPD-Vorsitzender Martin Schulz habe erstmals das böse Wort „Kohleausstieg“
in den Mund genommen. Die Groko, glaubt Zobel, könne nicht verleugnen, was
bei Jamaika auf dem Verhandlungstisch lag.
## Ende Gelände
Wenn es mit der Braunkohle bald zu Ende geht, warum werden dann immer noch
Kirchen abgerissen, Friedhöfe umgebettet, Wälder gerodet, Autobahnen wie
die A 61 weggebaggert und ganze Dörfer umgesiedelt? Als Nächstes sind die
Orte Keyenberg, Kuckum, Berverath, Unterwestrich und Oberwestrich dran, um
für das Braunkohlerevier Garzweiler II Platz zu machen. Sie werden
leergewohnt, umgesiedelt, „devastiert“ (plattgemacht).
Geht es darum, noch einmal Muskeln im letzten Gefecht gegen die grünen
Latzhosenbrigaden zu zeigen? Die Gutachten zum schnellen
Braunkohle-Ausstieg liegen bereits auf dem Tisch. Das Fraunhofer-Institut
für Solare Energiesysteme hat den „Switch“ vorgerechnet: Deutschlands
Gaskraftwerke – die sehr viel flexibler und vor allem klimafreundlicher
sind als die extrem klimaschädlichen Braunkohlemeiler – waren 2016 nur zu
19 Prozent ausgelastet. Bei einer Auslastung zu 80 Prozent könnten alle
Braunkohlekraftwerke sofort abgeschaltet und stillgelegt werden. Ende
Gelände.
Der Strom aus dem berühmten „einzigen heimischen Energieträger“ ist also
komplett überflüssig. Eigentlich. Und er wird jeden Tag lästiger, weil
immer neue Solarzellen und Windturbinen ans Netz gehen. Riesige
Überkapazitäten sind die Folge. Zum Jahreswechsel musste die Bundesrepublik
erneut beachtliche Mengen überschüssigen Stroms zu Negativpreisen
verkaufen. Auf Deutsch: Man zahlt den Nachbarländern viel Geld dafür, dass
sie die Deutschen vom Strom-Erstickungstod befreien. Dieser Irrsinn dürfe
nicht länger so weitergehen, klagte am Mittwoch Bernd Westphal,
wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
## Mahnwachen zum Abriss
Er geht aber so weiter, zumal sich NRW-Ministerpräsident Armin Laschet
(CDU) fest hinter der Braunkohle verbarrikadiert. Sein neuester Plan: Er
will Belgien mit gutem deutschem Braunkohlestrom versorgen, damit das
Nachbarland seine maroden Atommeiler abschalten könne. Die deutschen
Klimaziele hält Laschet für „überambitioniert“. In seiner Neujahrsanspra…
würdigte er „die Tugenden der Bergleute“. 8.000 sind es noch, die für die
Braunkohle in NRW arbeiten. Dass allein die beiden dreckigsten deutschen
Braunkohlemeiler so viel CO2 rausblasen wie ganz Slowenien, hat er nicht
gewürdigt.
Eigentlich war das Urteil über die Braunkohle längst gesprochen. Schon im
Mittelalter wollte niemand den Stoff verheizen, weil er zu feucht war,
stank und qualmte, so dass die Vögel tot vom Himmel fielen. Und 1819
giftete das preußische Bergamt in Sachen Braunkohle über „den schlechtesten
Zustand dieser Wühlerei“ und „den ganz versauten Betrieb“, der Leib und
Leben gefährde. Nach Eröffnung des Braunkohlestandorts Rahmsdorf 1899 war
das Wasser „so schlecht, dass es selbst das Vieh nicht mehr annimmt“,
zitiert die Historikerin Kerstin Kretschmer aus einer Klageschrift. Doch
die Braunkohle war auch „Teutschlands neue Goldgrube“. So schrieb es der
niederländische Chronist Johann H. Degnerus bereits 1731.
Fast 300 Jahre später versinkt der Dom von Immerath in der Goldgrube. Nach
einer „Eigenbedarfskündigung des Kohleteufels“, so ein Internet-Kommentar,
erhielt der liebe Gott drei Flaschen Messwein und wurde in die neue Kirche,
eine Betonkiste in Neu-Immerath, umgesiedelt.
Die Bürgerinitiativen werden mit Mahnwachen, politischen Gebeten und
Demonstrationen den Abriss des Gotteshauses begleiten.
5 Jan 2018
## AUTOREN
Manfred Kriener
## TAGS
Energiewende
Braunkohle
Garzweiler II
Kohleindustrie
Garzweiler II
Tagebau
Greenpeace
Schwerpunkt Ende Gelände!
Schwerpunkt Hambacher Forst
Schwerpunkt Hambacher Forst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Dorf-Umsiedlung für Braunkohletagebau: Die Neuen mögen keinen Karneval
Für Garzweiler II ist das rheinische Dorf Immerath abgerissen worden.
Nebenan steht das Plandorf „Immerath neu“. Ein Ortsbesuch.
Kolumne Geht’s noch?: Mer losse dr Dom in Kölle
In Immerath ist in dieser Woche ein Backsteingebäude abgerissen worden.
Greenpeace protestierte dagegen. Doch die Aufregung ist bigott.
Greenpeace-Aktion gegen Braunkohle: Kirche vor dem Abriss besetzt
Der Abriss einer Kirche für den Braunkohletagebau Garzweiler sollte am
Montagmorgen beginnen. Aber nun haben sie Umweltaktivisten von Greenpeace
besetzt.
Ende-Gelände-Aktivistin über die Zukunft: „2040 haben wir das Klima verheiz…
Weil sich die Bilder von Tagebaubesetzungen langsam abnutzen, diskutieren
die Aktivisten von „Ende Gelände“ neue Aktionsformen. Ein Gegner ist die
Autoindustrie.
Folgen des Hambacher-Forst-Streits: Rodungsstopp bei RWE
Der Hambacher Wald darf erstmal stehenbleiben. Nach der BUND-Klage
verbietet der Wirtschaftsminister von NRW den Kahlschlag bis Herbst 2018.
Rodungsstart im Hambacher Forst: Die ersten Bäume fallen
Besetzer*Innen wollen den Energiekonzern RWE an der Abholzung des 12.000
Jahre alten Waldes im Rheinischen Braunkohlerevier hindern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.