Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Blutdoping vor Gericht: Sauberer Sport?
> Im Prozess um die Operation „Aderlass“ wird am Freitag ein
> richtungsweisendes Urteil erwartet. Es geht auch um die Wirkung des
> Antidopinggesetzes.
Bild: Die Staatsanwaltschaft München kondensierte insgesamt 26 Tatkomplexe bei…
MÜNCHEN taz | Im Radsport kennt man es, dass Etappen witterungsbedingt auch
mal abgekürzt werden. Beim Dopingprozess in München war es nicht anders.
Weil einige illustre Zeugen, vornehmlich die Wintersportkunden des Arztes
Mark Schmidt, aber auch dessen umtriebiger Zentrifugenbesorger Stefan
Matschiner, nicht vor dem Landgericht München erscheinen wollen, lösen sich
die bereits bis Juni 2021 vorgemerkten Verhandlungstermine im
„Aderlass“-Prozess auf wie Schneeflocken bei Wärmezufuhr. Für Freitagmitt…
wird daher die Urteilsverkündung erwartet.
Am Sachstand gibt es wenig Zweifel. Aus insgesamt 189 Einzeltatbeständen,
die von einer Bluttransfusion beim österreichischen Skilangläufer Johannes
Dürr im Februar 2014 in Innsbruck kurz vor dessen Abflug zu den Olympischen
Winterspielen in Sotschi bis zu einer Blutrückführung beim kasachischen
Skisportler Alexei Poltoranin am 17. Februar 2019 in Italien reichte,
kondensierte die Staatsanwaltschaft München insgesamt 26 Tatkomplexe bei 12
Sportlern heraus. Sieben von ihnen waren Wintersportler. Einer von ihnen,
Max Hauke, erlangte Berühmtheit, weil die Ermittler ihn bei der Razzia
während der Ski-WM in Seefeld noch mit der Spritze im Arm erwischten – und
das Foto den Weg in die Medien fand.
Nicht hochgenommen wurden die Kunden aus den Sommersportarten. Einzelne
Radsportler stellten sich später selbst, der frühere Sunweb-Profi Georg
Preidler etwa. Auch das einstige Lausitzer Sprint-Ass Danilo Hondo, zuletzt
Schweizer Nationaltrainer, gestand. Hondos Dopingjahresprogramm bei
Schmidt, das zwischen 25.000 und 30.000 Euro budgetiert wurde, gilt aber
als verjährt.
Weitere Sportler wie der kroatische Radprofi Kristijan Đurasek, zuletzt im
Team von Toursieger Tadej Pogačar aktiv, wurden über die Chatprotokolle
aufgespürt. Dankenswerterweise hatte Schmidts Lebensgefährtin nach der
spektakulären Festnahme des Arztes ein Handy mit slowenischer SIM-Karte,
das die Ermittler offenbar übersehen hatten, noch nachträglich abgeliefert.
Schmidt selbst gab bereitwillig den Sperrcode heraus. Etwa 90 Prozent der
Ermittlungsergebnisse führte Staatsanwalt Kai Gräber auf die an diesem
Handy sowie den ebenfalls sichergestellten Computern ausgelesenen Daten
zurück. Den Rest lieferten die Geständnisse.
## Falsch abgebogen
Daraus ergibt sich das Bild, dass Schmidt [1][mindestens seit 2012
Blutransfusionen] für seinen Kundenkreis aus dem Spitzensport ausführte,
dass er mit ihnen auch in engem Austausch über die jeweiligen Blutwerte
stand und sie beim Zukauf diverser Substanzen beriet.
Dass er schon vorher Doping organisierte – diesen Verdacht gibt es –,
bestritt Schmidt während des Prozesses vehement. Er erklärte sogar, dass er
gerade aus Ärger über – aus seiner Sicht – falsche Beschuldigungen, ins
Dopinggeschäft des Rennstalls Gerolsteiner involviert gewesen zu sein,
selbst zum Doper wurde. Aus Frust sei er „falsch abgebogen“, sagte er.
Dieses „Falsch-Abbiegen“ betrieb er allerdings ziemlich intensiv, rein
technisch mit den Blutkonservengeräten, die er in Slowenien warten ließ.
Aber er lernte auch immer wieder neu dazu, probierte neue Substanzen aus
und warnte zeitnah seine Kunden, wenn mal wieder ein neues Testverfahren
auftauchte.
Die Dopingkontrollen zu umgehen und auch beim Blutpass trotz Dopings nicht
aufzufallen beschrieb Hondo am Rande der Verhandlung denn auch als
„besseren Intelligenztest“. Im Umkehrschluss heißt das: Nur Trottel und
blutige Laien lassen sich erwischen.
Meist vergebens schaute man im Zuschauerraum übrigens nach Vertretern der
Nationalen Antidopingagentur Nada aus – ganz so, als interessierte die
amtlichen Dopingjäger der bislang größte und wichtigste Prozess nach dem
neuen Antidopinggesetz bestenfalls am Rande.
[2][Fazit der bislang 23 Verhandlungstage] war aber auch, dass die Doper
selbst nicht hypererfolgreich waren. Vor allem Mittelklasse-Profis gehörten
zum Schmidt’schen Kundenkreis. Poltoranin etwa kam bei den Olympischen
Spielen in Pyeongchang auf Platz 15 über 50 km – trotz unmittelbar vorher
zugeführter Extraportion Blut waren 14 Mann schneller. Außerdem sprangen
noch zwei Weltcupsiege, jeweils über die 15-km-Distanz, in Planica und
Lahti, 2018 für den Kasachen heraus. Oft lief er aber hinterher.
Den Radsportlern ging es kaum anders. Die mäßigen Ergebnisse verleiteten
Schmidts Verteidigung zu der Annahme, dass die Konkurrenten es wohl kaum
anders trieben. Eine Integrität des Sports, wie sie das Antidopinggesetz
behaupte, gäbe es gar nicht, argumentierte Schmidts Verteidiger Juri
Goldstein. Und er stellte damit ganz forsch die Legitimität des Gesetzes
selbst in Frage.
Am Gericht liegt es nun, all das zu bewerten und einen Strafrahmen
festzulegen. Eine Strafe von deutlich unter drei Jahren Haft und sofortige
Entlassung aus der Untersuchungshaft fordert die Verteidigung für den
Hauptangeklagten. Die Staatsanwaltschaft will fünfeinhalb Jahre Haft und
zusätzlich fünf Jahre Berufsverbot. In München wird heute ein
richtungweisendes Urteil gefällt. Es entscheidet nicht nur über das
Schicksal der insgesamt fünf Angeklagten, sondern auch darüber, welche
Abschreckungswirkung das Antidopinggesetz entfalten kann.
15 Jan 2021
## LINKS
[1] /Enthuellungen-beim-Dopingprozess/!5723675
[2] /Wegweisender-Prozess-fuer-Doping-im-Sport/!5709819
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Doping
Doping im Spitzensport
Langlauf
Radsport
Radsport
Doping
Doping
Doping
Doping im Spitzensport
## ARTIKEL ZUM THEMA
Saisonstart der Profiradler: Motor der Normalität
Paris-Nizza oder Tirreno Adriatico: Die Szene der Pedaleure startet voller
Zuversicht in den Frühling, trotz hoher Indizidenzwerte in Frankreich.
Dopingfall „Operation Aderlass“: Hoher Preis für frisches Blut
Sportarzt Mark S., der ein Netzwerk für Blutdoping betrieben hat, wird zu
einer Haftstrafe verurteilt. Das Landgericht München spricht auch seine
Helfer schuldig.
Enthüllungen beim Dopingprozess: James Bond packt aus
Beim Münchner Dopingprozess gegen den Erfurter Arzt Mark Schmidt kommen
neben kuriosen Tarnnamen Details zu dessen Netzwerk ans Licht.
Wegweisender Prozess für Doping im Sport: Böses Blut
In München beginnt der größte Dopingprozess der letzten Jahre. Im Verfahren
gegen den Arzt Mark Schmidt steht ein Gesetz auf dem Prüfstand.
Staatsanwaltschaft zum Dopingskandal: Blut aus der Garage
Die Operation Aderlass ist der größte Coup in der Geschichte der Münchner
Dopingstaatsanwaltschaft. Die Spuren führen bis nach Hawaii.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.