# taz.de -- Berlins Neonazi-Zone: Schöneweide wird rechter Tummelplatz | |
> In Schöneweide etabliert sich ein Netz rechter Läden rund um die bekannte | |
> Neonazi-Kneipe Zum Henker. Antifa-Aktivisten, Verfassungsschutz und | |
> Bezirkspolitiker beobachten mit Sorge die Entwicklung im Kiez, der | |
> ohnehin als Nazi-Hochburg gilt | |
Bild: Das Eingangstor zu "Brown-Town": S-Bahnstation Schöneweide | |
Eine blaue Tür, im Hinterhof der backsteinernen Spreehöfe in Schöneweide. | |
"Absolute Power Place" verrät ein schwarzes Schild. "Dark7side". In dem | |
Club dahinter steht schlichtes Holzmobiliar, an die Wände sind Totenköpfe | |
gemalt. Metalbands spielen hier am Wochenende. Ab und an werden | |
Böhse-Onkelz-Partys gefeiert. | |
Kati Becker vom Zentrum für Demokratie in Schöneweide, nicht weit von den | |
Spreehöfen entfernt, berichtet aber auch von ganz anderen Gästen. Neonazis, | |
die sich um das gleichnamige Motorradrocker-Chapter "Darkside" scharen | |
sollen. Lars B. etwa, eine in den Neunzigern umtriebige Szenegröße. Bis zum | |
Verbot der rechtsextremen "Freiheitlichen Arbeiterpartei" 1995 war B. deren | |
Berliner Landeschef. Später sang er bei der Naziband "White Aryan Rebels", | |
rief in Texten zum Mord an Michel Friedman oder Alfred Biolek auf. "Und der | |
Mann", sagt Becker, "ist nicht der einzige Neunzigerjahre-Nazi, der sich | |
heute wieder in Schöneweide tummelt." | |
Eine Broschüre von Antifa-Gruppen, die am Wochenende veröffentlicht wurde, | |
unterfüttert diese Beobachtung. Dort aufgelistet werden gleich mehrere, | |
bisher unbekannte Läden, die in Schöneweide von Rechten betrieben oder | |
besucht werden sollen. Das birgt Zündstoff, denn der Stadtteil in | |
Treptow-Köpenick gilt schon heute als Berlins Neonazi-Hochburg. "Die Szene | |
schafft sich hier mehr und mehr einen Rückzugsraum", warnt Becker. Nun | |
würde offensichtlich, wie stark alte und neue Neonazi-Kader sich dort | |
träfen und austauschten. | |
Es ist eine nur wenige hundert Meter lange Straße, die die rechte Szene | |
Berlins anzieht: die Brückenstraße. In der Straßenmitte zuckelt die | |
Straßenbahn. Grauer Bürgersteig, dreistöckige Wohnhäuser, unten der Frisör | |
oder die Apotheke. Und, davon ging man bisher aus, zwei Nazi-Läden. | |
Schon 2009 eröffnete in der Brückenstraße die Szenekneipe "Zum Henker". Der | |
Wirt, ein einschlägig verurteilter Mann, reicht "Himla"-Cocktails und "Odin | |
Trunk"-Bier über die Theke. "Unser Kiez Schöneweide" prangt auf der | |
"Henker"-Homepage. Im Sommer dieses Jahres kam das Hexogen dazu, ein | |
Outdoor-Laden. Dort verkauft der Berliner NPD-Vize Sebastian Schmidtke | |
Pfefferspray und Schlagstöcke, in Holzregalen liegen aufeinandergetürmt | |
Tarnhosen und "Security"-Jacken. "Alles für den Militaristen", wirbt das | |
Hexogen. "Szenebedarf" nennt es der Verfassungsschutz. Der Vermieter hat | |
vorm Landgericht Räumungsklage gegen Schmidtke eingereicht. | |
Isabell Kalbitzer, Sprecherin des Berliner Verfassungsschutzes, bezeichnet | |
Schöneweide als "rechtsextremistischen Brennpunkt". Im Gebiet um die | |
Brückenstraße existierten "Wohn- und Trefforte zumeist subkultureller | |
Berliner Rechtsextremisten", basierend auf "persönlichen Bekanntschaften". | |
Das Hexogen habe sich "schnell zu einem Anlaufpunkt" der Szene entwickelt. | |
Der "Henker" habe dagegen an Popularität eingebüßt, so Kalbitzer. Ein Teil | |
der Stammgäste weiche auf nahe gelegene Lokale aus, die nicht nur von | |
Neonazis besucht würden. | |
Laut der Antifa-Broschüre handelt es sich dabei neben dem "Dark7side" auch | |
um Läden von Thomas B. Der betreibt die Kneipe "Zur Haltestelle", den | |
Stripclub "El Coyote" und einen Spätkauf - allesamt in oder nahe der | |
Brückenstraße. B. soll der 2001 aufgelösten "Kameradschaft Germania" | |
nahegestanden, an Neonazi-Aufmärschen teilgenommen haben. Am Telefon | |
bestreitet das der 32-Jährige. "Das stimmt alles nicht, ich habe die Sache | |
meinem Anwalt übergeben." B. poltert, dass er auch "Polinnen und Lesben" | |
beschäftige. "Wie würde das denn zusammenpassen?" | |
Die "Haltestelle" hatte die Polizei in den letzten Jahren im Blick. Ein | |
Polizeisprecher nennt die Kneipe einen "sporadischen" Treffpunkt der | |
rechten Szene. Anfang der Neunziger gründete sich in dem Lokal die | |
Kameradschaft "Die Nationalen", einige einstige Mitglieder sind bis heute | |
in Schöneweide aktiv. Seit B. den Laden im Mai übernommen habe, sei aber | |
kein Szenepublikum mehr festgestellt worden, so der Polizeisprecher. Auch | |
für B.s "El Coyote" seien keine rechten Straftaten registriert. | |
Laut Antifa-Recherchen treffen sich Rechte auch in der Kneipe "Zum | |
Eisenbahner", unweit der Brückenstraße. Die SPD berichtet, im Wahlkampf an | |
einem Infostand am Bahnhof Schöneweide von drei Neonazis angepöbelt worden | |
zu sein, die aus dem "Henker" kamen - und sich kurz darauf Verstärkung aus | |
dem "Eisenbahner" geholt hätten. | |
Über dessen Tür hängt ein Schild nur mit einer großen "7" - wie beim | |
"Darkside"-Club in den Spreehöfen. Auch im "Eisenbahner" kehrten die | |
"Darkside"-Rocker ein, heißt es in der Broschüre. Die Kneipe sei | |
"einschlägig als rechter Treffpunkt" bekannt. Bereits 2008 teilte die | |
Innenverwaltung auf eine Grünen-Anfrage mit, dass einige Mitglieder von | |
"Darkside" früher "in der rechtsextremistischen Szene verkehrten". Die | |
Rocker selbst ließen Anfragen der taz unbeantwortet. | |
Kati Becker berichtet außerdem, dass immer häufiger auch Symbole der | |
rechten "Vandalen"-Rocker in Schöneweide auftauchten. Deren selbst | |
gewählter Beiname: "Ariogermanische Kampfgemeinschaft". | |
"Vandalen"-Mitglieder waren es auch, die die Nazi-Rockband "Landser" | |
gründeten, die 2003 verboten wurde. Nach Jahren der Abstinenz, so Becker, | |
tauchten heute wieder Neonazis mit Shirts der Vandalen auf. | |
Als letztes auf der Antifa-Liste steht auch das "Bücherparadies" von Henryk | |
W. in der Siemensstraße, nördlich der Brückenstraße. Literatur zum | |
Schnäppchenpreis, die Ladenregale speisen sich aus Haushaltsauflösungen. W. | |
wurde 1997 vom Berliner Landgericht zu einer Haftstrafe verurteilt: Er | |
hatte mit einem "Kameraden" einen linken Treptower Jugendclub abgebrannt. | |
Zuletzt war er für die NPD in Lichtenberg Kassenwart und Rechnungsprüfer, | |
soll an rechten Aufmärschen teilgenommen haben. | |
Henryk W., graugestreiftes Hemd, graue Hose, bittet in sein kleines Büro. | |
Das mit dem Brandanschlag stimme schon, murmelt er. "Aber der Laden hier | |
ist auch meine kleine Wiedergutmachung." Fast alle Bücher für 1 Euro, auch | |
Leute ohne Geld sollten zum Lesen kommen. W. weist auf die Regale. Die | |
"Geschichte der SED" steht dort, genauso wie Werke jüdischer Emigranten, | |
Anna Seghers oder Sigmund Freud. Und die NPD? W. zögert, blickt angestrengt | |
durch seine Brille. "Ist Privatsache." Sein Laden jedenfalls habe mit der | |
rechten Szene nichts zu tun. "Hier kommt nur ganz normales Publikum." | |
Bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) beobachtet | |
man die Geschichten um die Brückenstraße aufmerksam. "Sollten sich diese | |
Informationen bewahrheiten, wäre das eine besorgniserregende Ballung | |
rechter Strukturen", so Mitarbeiter Ulf Bünermann. "Das könnte den | |
Angstraum Schöneweide verfestigen." Offenbar habe die Szenekneipe "Zum | |
Henker" die Ansiedlung anderer, "ähnlich tickender Läden" motiviert. | |
Bünermann sieht es nun als Aufgabe der Polizei, die rechten Strukturen | |
aufzuhellen. Die Politik sollte Engagierte gegen rechts vor Ort | |
unterstützen. | |
Auch Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD), erst wenige Wochen im Amt, | |
äußert sich "besorgt" über die Vielzahl rechter Strukturen. Über die | |
jüngste Entwicklung fühle er sich "schlecht informiert". Igel will sich in | |
Kürze mit dem Verfassungsschutz und der MBR treffen. Was den "Henker" | |
angehe, versichert der 33-Jährige, sei das Bezirksamt auch unter seiner | |
Leitung fest gewillt, den Nazitreff zu schließen. | |
Einer, der die Folgen der Neonazi-Präsenz in Schöneweide zu spüren bekommt, | |
ist Gregor Gysi. Das Konterfei des Linken-Bundespolitikers lacht von einer | |
Scheibe seines Bürgerbüros, mitten in der Brückenstraße. Dahinter sitzt am | |
Mittwoch Gysis Mitarbeiter André Schubert, schwarz gerahmte Brille, | |
schwarzer Pullover. Dreimal seien in diesem Jahr die Scheiben des Büros | |
zerschlagen worden, erzählt er. An die Fassade hätten die Rechten | |
wiederholt "NS jetzt"-Schriftzüge gekliert. Schubert zeigt auf einen | |
Stromkasten neben dem Büro. "Ein Hakenkreuz und die 22, raufgeschmiert, hab | |
ich heute Morgen erst gesehen." Die 22 stehe für den 22. Buchstaben im | |
Alphabet, das V. "Ein Code für die Vandalen", so Schubert. Die Nazi-Rocker. | |
Gysi selbst spricht von "vielen Ausgegrenzten, vielen Arbeitslosen" in der | |
Gegend. Leider auch von vielen Rechtsextremen. Die Attacken auf sein Büro | |
hätten sein Engagement aber nur verstärkt, versichert Gysi. Er fordert ein | |
NPD-Verbot. "Das würde auch die Möglichkeiten der Ermittlungsbehörden in | |
Schöneweide deutlich verbessern." | |
André Schubert zuckt mit den Schultern, fragt man ihn nach Lösungen. Es | |
gibt Aktionsbündnisse, gab Demokratiefeste. "Es wurde schon so viel | |
gemacht, aber die Rechten werden hier eher mehr." Auch Schubert verweist | |
auf die schwierige Lage, den Leerstand. Ehe gar keiner Miete zahlt, würden | |
Vermieter eben die Rechten nehmen. "Da müssen wir ansetzen, wir müssen uns | |
mit den Vermietern zusammensetzen." Dann geht Schubert zurück ins Büro, die | |
Tür schließt er hinter sich ab. | |
8 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
Konrad Litschko | |
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