# taz.de -- Ausstellung: Romantiker und Rassist | |
> Die Kulturambulanz würdigt den Maler und Mediziner Carl Gustav Carus, der | |
> heute als „Universalgenie“ gilt. | |
Bild: Carl Gustav Carus (um 1865). | |
BREMEN taz | Der Romantiker Carl Gustav Carus ist einer, der einsam starb | |
und dann lang vergessen war. Heute aber wird er wieder als | |
[1][„Universalgenie“] gefeiert, zudem als Landschaftsmaler wiederentdeckt. | |
Und als solcher inzwischen gar in einem Atemzug mit Caspar David Friedrich | |
genannt. Nun widmet ihm die [2][Kulturambulanz im Klinikum Bremen-Ost] eine | |
Ausstellung mit dem irritierenden Titel „Die Kunst, krank zu sein“. | |
Spannend ist sie nicht nur, weil sie einen weithin unbekannten, vielfach | |
begabten und, ja: bedeutenden Mann ehrt. Sondern weil sie auch dessen | |
wissenschaftliche Abgründe präzise ausleuchtet: Carus war als Arzt und | |
Naturforscher, bei aller Liebe zum „Göttlichen“, nicht nur empfänglich f�… | |
Esoterische. Sondern auch ein Vordenker der Rassenpsychologie. | |
Im Revolutionsjahr und in eher einfachen Verhältnissen geboren, wird Carus | |
schon 1811, also mit 22, Doktor der Philosophie und der Medizin. Vier Jahre | |
später ist er Professor für Geburtshilfe. Er schreibt ein Lehrbuch der | |
Gynäkologie, das damals, 1820, wegweisend ist, bekämpft operativen | |
Aktionismus in der Geburtshilfe und sorgt dafür, dass die Säuglings- und | |
Müttersterblichkeit deutlich sinkt. | |
Als Mediziner vertritt er einen sehr modernen ganzheitlichen Ansatz. Er | |
wirbt für ein „echt menschliches“, partnerschaftliches Verhältnis zwischen | |
Arzt und Patient und für die biografische Anamnese, die auch das soziale | |
Umfeld berücksichtigt. „Das ist aktueller denn je“, sagt Kurator Achim | |
Tischer. Und kommt heute bei manchem Mediziner zu kurz. „Die Kunst, krank | |
zu sein“, ist für Carus eine „Lebenskunst“: Krankheiten sind für ihn | |
integraler Bestandteil eines guten Lebens. | |
Auch die Psychologie hat ihm manches – positive! – zu verdanken: Carus ist | |
einer der philosophischen Vorgänger der Tiefenpsychologie und schreibt – | |
lange vor Freud – schon 1846 von der Bedeutung des Unbewussten im | |
Seelenleben. | |
Aber Carus war auch einer, der Schädel sammelte und vermaß, und Hände, | |
stets auf Suche noch so etwas wie dem Urmaß der menschlichen Gestalt. Heute | |
gilt das zurecht als Pseudowissenschaft, doch im 19. Jahrhundert war die | |
sehr verbreitet. Zugleich schreibt Carus Standardwerke der Anatomie, die | |
er, für ihn typisch, mit vielen detailverliebten, selbst gezeichneten | |
Erläuterungstafeln ausstattet. Das Buch „Über die ungleiche Befähigung der | |
verschiedenen Menschenstämme für höhere geistige Entwicklung“ von 1849 | |
gehört nicht zu den Standardwerken. | |
Hier entwirft Carus ein rassentheoretisches Menschenbild, das sich später | |
bei dem einflussreichen Arthur de Gobineau wiederfinden wird, dem Autor des | |
Essays „über die Ungleichheit der Menschenrassen“. Bei Carus gibt es vier | |
Menschheitsstämme, die europäischen „Tagvölker“, die für ihn | |
„kulturtragend“ sind, also die geborene Elite, und die dumpf | |
dahinvegetierenden „Nachtvölker“, Untermenschen also, die er, natürlich, … | |
Afrika ansiedelt. Dazwischen gibt es noch „Dämmerungsvölker“ in Amerika u… | |
Asien. Und all das leitet er aus penibel vermessenen Äußerlichkeiten ab. | |
Die Ausstellung zeigt manche seiner Schädel, etwa den eines „Congo-Negers“. | |
Auch sonst gerät der alternde Carus auf wissenschaftliche Abwege: Er | |
verfasst gleich mehrere Texte über „Magische Wirkungen im Leben, in der | |
Wissenschaft und in Poesie und Kunst“ und befasst sich mit Wünschelruten, | |
Tischrücken oder dem „Lebensmagnetismus“. In der Ausstellung zu sehen ist | |
ein seltsamer Apparat, der „Nervenstimmer“, gebaut den den Vorstellungen | |
der „Seherin von Prevorst“. Mit ihm sollte gestörte Lebensenergie wieder | |
zum Fließen gebracht werden. Gerade in Bremen übrigens erfreute sich die | |
Therapie des Magnetisierens größerer Beliebtheit als in jeder anderen | |
deutschen Stadt. | |
Die Ausstellung versucht all dem auf dem wenigen Platz und mit den wenigen | |
Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, gerecht zu werden. Und bei aller | |
Konzentration aufs eher Medizinische auch den romantischen Maler Carl | |
Gustav Carus nicht ganz zu vergessen. Er ist jedenfalls mit einer | |
kleinformatigen Gemäldegalerie präsent. Der große Spagat gelingt | |
erstaunlich gut, auch dank allerlei Exponate aus dem Familienbesitz und | |
aufschlussreicher Hörstationen, die allerlei aus seinem umfangreichen Werk | |
rezitieren, aus seiner Autobiografie und medizinischen Abhandlungen ebenso | |
wie aus Pamphleten über die „Gewissenlosigkeit der Landschaftsmaler“, die | |
„keine Ahnung des göttlichen Lebens“ haben. Auch andere kommen zu Wort, die | |
Schriftstellerin Ricarda Huch (1864–1947) etwa. Für sie war Carus der | |
„strengste und behutsamste unter den romantischen Denkern“. Bedeutend aber | |
weniger wegen der „Fülle schöpferischer Ideen“ – sondern wegen seines | |
Blickes „für das Ganze“. | |
Bis 15. März, Galerie im Park, Krankenhaus Bremen-Ost, Züricher Straße 40. | |
Am Sonntag, 15. Februar, gibt es um 11 Uhr einen Vortrag mit | |
Klavierbegleitung zur Künstlerfreundschaft von Caspar David Friedrich und | |
Carl Gustav Carus. | |
14 Feb 2015 | |
## LINKS | |
[1] /1/archiv/ | |
[2] http://www.krankenhausmuseum.de/ | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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