# taz.de -- Ausstellung in Hamburg: Verteidigung der Einbauküche | |
> Die Einbauküche unterwarf das Hausfrauendasein der industriellen | |
> Produktionsweise. Nun ist sie so unzeitgemäß, dass sich wieder in ihr | |
> leben lässt. | |
Bild: Mutter aller Einbauküchen: die "Frankfurter Küche" von Margarete Schüt… | |
HAMBURG taz | Den meisten Menschen ist klar, was eine Einbauküche ist: | |
nämlich ein Ding, dass ihnen unter keinen Umständen ins Haus kommt. | |
Beengend, spießig, unkommunikativ. Ich sehe mich auf der anderen Seite: | |
zugegeben, ein wenig des guten, alten Streites wegen, aber auch, weil die | |
Einbauküche zu jenen historischen Verlierern gehört, auf deren Seite es oft | |
was zu holen gibt. | |
Tatsächlich haben ja die Fundamentalisten der neuen Küchenideologie in | |
ihrem Hass auf die Einbauküche seit den 1970ern so sehr gewütet, dass man | |
heute ins Museum muss, um eine ordentliche Kleinküche zu Gesicht zu | |
bekommen, am besten ins Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Dort gibt | |
es die Mutter aller Einbauküchen zu sehen, die „Frankfurter Küche“. | |
Entworfen hat sie 1926 die Wiener Architektin Grethe Schütte-Lihotzky, | |
ihrerzeit übrigens die erste Frau Österreichs überhaupt in der | |
männerdominierten Architektenzunft. In Auftrag gegeben hatte die Küche der | |
Frankfurter Stadtbaurat Ernst May für die Siedlungen des „Neuen Frankfurt“. | |
Der Name steht für ein großes Reformversprechen, ähnlich dem Bauhaus: | |
Licht, Luft, Hygiene. Und Wohneinrichtung, die dem neuen demokratisch | |
gesinnten Menschen dient, jenseits von Machtansprüchen und | |
Repräsentationsgeraffel. | |
Unter May, der in der Nachkriegszeit den Wiederaufbau Hamburg-Altonas | |
prägte und in den 1960er- Jahren die Bremer Trabantenstadt Neue Vahr, | |
entstanden in diesem Geiste des Neuen Bauens zwischen 1925 und 1930 knapp | |
15.000 Wohnungen am Main – fast alle eingerichtet mit der Küche | |
Schütte-Lihotzkys. | |
## Totale Rationalisierung | |
Im Museum für Kunst und Gewerbe strahlt einem der ganze Reformgeist der | |
Küche sogleich entgegen. Man blickt in einen Schlauch, gerade mal 6,5 | |
Quadratmeter groß. Die Arme ausstrecken, und man würde von Wand zu Wand | |
fassen. Vor dem Fenster die Arbeitsplatte, mit einer Aussparung am rechten | |
Rand, unter der sich eine Auffangschütte befindet für die Restabfälle beim | |
Schnibbeln; der Elektroherd, vor dem eine Drehung genügt, um sich eine der | |
vielen Aluminiumschütten herauszuziehen mit Reis, Mehl, Salz, Zucker, | |
Hafer; die hoch angebrachten Hängeschränke mit Schiebetüren; das | |
Abtropfregal über dem Doppelbecken: das ist alles auf so klare, | |
selbstverständliche und optisch unaufdringliche Weise angeordnet, dass man | |
sich sofort auf den Drehstuhl inmitten der Küche setzen möchte, um im | |
Lichtkegel der Deckenlampe loszulegen. | |
Da die Küche leider nicht betreten werden darf, muss man mit einem kleinen | |
Filmchen, einer Gebrauchsanleitung aus dem Jahre 1927, vorliebnehmen. Erst | |
wird darin das unfassbare Elend der alten Wohnküche vorgeführt (mit ihren | |
„zerbrechlichen, verzierten, daher staubfangenden Gewürzdosen“), um dann | |
die Frankfurter Küche mit einer wie am Schnürchen geführten Hausfrau | |
abzufeiern („das schmutzige Geschirr wird mit der linken Hand von links | |
genommen“). Und spätestens da sollte uns doch mulmig werden. Denn diese | |
Küche ist ja das Produkt einer totalen Rationalisierung, Quantifizierung | |
und Berechnung. Pro Arbeitszyklus, ermittelte die Architektin, würden acht | |
Meter zurückgelegt – 90 seien es bei einer herkömmlichen Küche. Macht 82 | |
Meter Arbeitsersparnis! | |
Inspiriert hatte Schütte-Lihotzky in ihrem Rationalisierungseifer die | |
„wissenschaftliche Unternehmensführung“ aus den USA. Dahinter steckte ein | |
Programm der maximalen Mobilisierung des Angestellten: Frank Gilbreth, | |
einer seiner bekanntesten Advokaten, ging so weit zu sagen, im Ersten | |
Weltkrieg hätten die Industrien einen glänzenden Sieg im Kampf gegen die | |
Müdigkeit erfochten – den es auf Dauer zu stellen gelte. Die Antwort des | |
Neuen Bauens hieß darauf: Okay, rationalisieren wir nach den neuen | |
Arbeitsmaßstäben nun auch die Hauswirtschaft, damit der Hausfrau wenigstens | |
noch ein Quäntchen Zeit und Ruhe bleibt für „wichtigere Dinge“. | |
## Logik der Waffenlobby | |
Das ist die gleiche Logik, mit der neulich die National Rifle Association | |
in den USA behaupteten: „Der einzige Weg, einen schlechten Typen mit einer | |
Waffe zu stoppen, ist ein guter Typ mit einer Waffe.“ Ein Programm, das zu | |
weiter nichts führt als noch mehr Waffen und noch mehr Toten, so wie auch | |
die Rationalisierung der Küche nur einer der letzten Schritte gewesen ist | |
bei der totalen Durchdringung des Lebens durch die industrielle | |
Produktionsweise: Erst wird mechanisch malocht, dann wird mechanisch | |
gekocht und am Ende des Tages mechanisch gelocht (er oben, sie unten). | |
Toll, was? | |
Auch der Feminismus der 1970er Jahre lag nicht ganz falsch, als er die | |
Einbauküche aufs Korn nahm: Die wohnliche Abtrennung des Lebensbereichs vom | |
Arbeitsbereich der Küche verfestige die traditionellen Rollenmodelle. Die | |
Reform-Küche, gänzlich und allein für die Frau reserviert, habe sich als | |
eine Art Gefängnis erwiesen, so komfortabel es auch sei. Das war das | |
Grundproblem der sozialdemokratisch gesonnenen Reformarchitektur des Neuen | |
Bauens: Sie hat den ganzen Schmu der totalen Arbeitsentfaltung mit- und | |
annehmbar gemacht. Sie war schlicht und einfach auf fatale Weise zeitgemäß. | |
Das sieht bei unseren heutigen Küchen nicht anders aus. Die große, offene | |
Küche mit fließendem Übergang ins „Living“, oder eben schon Teil des | |
„Living“, spricht zeitgemäß den Künstler in uns an: dafür gemacht, Koch… | |
als Performance, als ästhetische und soziale Praxis zu begreifen. Auch hier | |
ist die Küche weiter nichts als ein Abklatsch der Produktionsbedingungen | |
unserer Arbeitswelt, des kognitiven Kapitalismus, in dem jeder angehalten | |
ist, sich kreativ, als Unternehmer seiner selbst einzubringen. Jetzt heißt | |
es: Erst wird kreativ malocht, dann kreativ gekocht (mit Hilfestellung von | |
Jamie Oliver), und am Tagesende nach allen Regeln der Kunst gebumst – auf | |
dem freistehenden Küchenblock zum Beispiel. Auch toll. | |
Allerdings haben wir es hier mit der harmlosesten Art von Kreativität zu | |
tun: einer Kreativität, die immer nur eine der Optionen abruft, die im | |
permissiven Universum des heutigen Bauens (als dem Abbild unserer | |
permissiven Gesellschaftsordnung) bereits planmäßig angelegt ist. „Lasst | |
sie doch spielen“, das scheint der Leitsatz zu sein, der unserer | |
Gesellschaft und unseren Küchen zugrunde liegt. Ausgeschlossen ist bei der | |
totalen Offenheit der modernen Küche nur eins: sie auf irgendeine eigene | |
Weise gegen die Intentionen ihrer Erfinder zu verwenden. | |
Deshalb favorisiere ich dann doch die Einbauküche, in der ich aufgewachsen | |
bin und mit deren Zumutungen wir fortwährend im Kampf lagen. Mein Vater | |
kochte – und eine halbe Stunde bevor er fertig war, drängelte sich die | |
ganze Familie hungrig in die Küche, um sich schon mal den Magen mit Broten | |
vollzuschlagen. Später mussten wir uns nur kurz zu Tisch setzen, weil die | |
unwichtigen Dinge des Lebens schon in der Küche beredet worden waren („Und, | |
die Deutschprüfung?“ –- „Ne Vier.“ – „Hm“). Und wenn man mal mit… | |
Freundin in aller Unschuld Tee in der Küche kochen ging – tja, dann fühlte | |
sich das an, als habe man sich mit ihr in die Besenkammer verdünnisiert. | |
Wohnen gegen den Strich, gegen die Autorität der Architekten, gegen die | |
eigene Bequemlichkeit: Vielleicht ist das die einzige Art, würdig in | |
geschlossenen Räumen zu leben. | |
12 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Maximilian Probst | |
Maximilian Probst | |
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Architektur | |
Feminismus | |
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