# taz.de -- 100. Wagner-Festspiele in Bayreuth: Applaudiert und ausgebuht | |
> Sebastian Baumgarten löst in seiner Bayreuther Inszenierung den Anspruch | |
> nicht ein, die Konflikte des "Tannhäuser" in den Konflikten der Gegenwart | |
> zu spiegeln. | |
Bild: Lars Clevemann als Tannhäuser und Camilla Nylund als Elisabeth während … | |
BAYREUTH taz | Am Ende ist man vor allem von der Musik überzeugt und | |
berührt von dem Gesang. Nicht aber von dem, was die Inszenierung des | |
Regisseurs Sebastian Baumgarten und seines Bühnenbildners Joep von Lieshout | |
sich vorgenommen hatte: nämlich die Konflikte Tannhäusers, seine | |
Getriebenheit zwischen der Welt der Entgrenzung im Venusberg und der Welt | |
der Wartburg in den Konflikten der Gegenwart zu spiegeln. | |
Über das Drama des Künstlers sollten sich andere Bilder legen, von einem | |
ökologisch effizienten und korrekten System des kontrollierten | |
Stoffwechsels, in dem die Triebe genauso sauber und ressourcenschonend in | |
neue Energie verwandelt werden wie die Exkremente der Beteiligten. Das | |
klang schon vorweg etwas zu gewollt. Aber viel mehr als viele leuchtend | |
bunte Tanks, die auf der Bühne herumstehen, ist davon nicht zu sehen. | |
Mit Wagners "Tannhäuser" haben die 100. Richard-Wagner-Festspiele in | |
Bayreuth begonnen. Das ist Anlass für eine interne Feier, öffentliche | |
Zeremonien aber spart man sich für 2013 auf, wenn Wagners 200. Geburtstag | |
und 130. Todestag zu einem Doppeljubiläum Anlass geben. Aber selbst das | |
"business as usual" führt im Nordbayrischen Kurier zu vier Seiten mit | |
Wagner und Bayreuth, inklusive Gästeliste. Die Bayreuther, eine | |
Buchhändlerin etwa, haben Baumgartens Inszenierung schon in der | |
Generalprobe gesehen und schauen die vorfreudigen Premierengäste etwas | |
mitleidig an. | |
## Wagner, Wagner, Wagner | |
Jede Menge Krimis mit Wagner-Bezug liegen auf dem Krimi-Tisch, auch der | |
Sänger René Kollo hat einen geschrieben, "Die Morde des kleinen | |
Tannhäuser". Nike Wagner war ebenfalls in der Stadt, bei der Eröffnung | |
einer Ausstellung mit Liszt-Klavieren und einer Buchvorstellung über | |
Wieland Wagner, während gleichzeitig Katharina Wagner und Eva | |
Wagner-Pasquier ihren Presseempfang abhalten. Auf Plakatwänden konkurrieren | |
die Köpfe von Liszt und Wagner, Vorträge, Konzerte und parodistische | |
Theaterstücke werden annonciert, als ginge es noch immer um nichts anderes | |
in dieser Stadt. | |
Vor dieser Wand aus Traditionsbewusstsein und Wagner-Marketing tatsächlich | |
wieder Lust am Kern der Opern und eine eigene Befragung der Thematik zu | |
entwickeln, ist nicht einfach. Der Regisseur Sebastian Baumgarten schien | |
dafür schon der richtige Mann. Denn seine Lust am intellektuellen Diskurs | |
ist oft ebenso groß wie sein Gespür für das sinnliche Potenzial in der | |
Musik, das hat er in Opern- und Theaterinszenierungen und auch in | |
experimentelleren Formaten bewiesen. | |
Im Mai ließ er in Berlin in der Akademie der Künste das Libretto von | |
Schauspielern der Volksbühne lesen, um sich dann im Gespräch mit seinem | |
Dramaturgen Carl Hegemann und dem Philosophen Christoph Menke über die | |
Klippen der Inszenierung zu unterhalten: dass man zum Beispiel den Skandal, | |
das Verbrechen Tannhäusers, sein Beharren auf der Sinnlichkeit, für das er | |
von der moralisch empörten Wartburggesellschaft verjagt wird, kaum noch | |
nachvollziehen kann. | |
## Festspielbratwürste und Volksfeststimmung | |
Allein die Ebene der Reflexion darüber, was an Bedeutung verloren gegangen | |
ist und neu wiederhergestellt werden müsste, sie bleibt auf der Bühne bloße | |
Behauptung. Das ist schade, denn den heutigen Begriff von Freiheit auf | |
seine Lebbarkeit abzuklopfen und die Kontrahenten kenntlich zu machen, wäre | |
ein lohnenswertes Unternehmen. Doch so werden Begriffe zwar eingeblendet, | |
ohne sich aber mit Inhalt zu füllen. In der ersten Pause wird das | |
Bühnenbild erklärt, das eine große Maschine darstellen will, die den | |
Menschen zu einem von ihr abhängigen Detail degradiert - aber da hört kaum | |
jemand zu. Draußen locken Bayreuther Festspielbratwürste und eine | |
Volksfeststimmung, der die Vorbehalte gegen die Inszenierung keinen Abbruch | |
tun. | |
Die musikalische Leitung hat Thomas Hengelbrock, der sich das Faksimile | |
einer Partitur, nach der schon Richard Wagner dirigiert hat und die mit | |
handschriftlichen Korrekturen versehen ist, auf das dafür extra | |
verbreiterte Pult hat legen lassen. Die historische Sorgfalt kommt der | |
musikalischen Erzählung zugute, nie bügelt der Orchesterklang die Stimmen | |
unter, und auch die Momente des Innehaltens, der Bestürzung, wenn | |
Tannhäusers alte Freunde in ihm nicht mehr den wiedererkennen, den sie so | |
lange vermissten, sind spürbar, sichtbar und fühlbar schon, bevor die Musik | |
sie bestätigt und verstärkt. Hengelbrock lässt den Figuren allen Raum, sich | |
zu entfalten. | |
Und das wissen die Sänger zu nutzen. Michael Nagy, der mit der zarten | |
Zurückhaltung und aufopferungswilligen Hilfsbereitschaft mit seiner Rolle | |
des Wolfram von Eschenbach verschmilzt, und Günther Groisböck, der einen | |
athletischen, ein bisschen nach Superman modellierten Landgrafen von | |
Thüringen singt, bekommen am Ende den heftigsten Applaus. Ausgebuht, ganz | |
furchtbar ausgebuht, wird dagegen Stephanie Friede, die Sängerin der Venus, | |
die aggressiv ihre Liebe verteidigt in ihrer Venusgrotte, einem in rotes | |
Licht getauchten Käfig: Allein diese Verteilung von Sympathie und | |
Antipathie scheint einer zu großen Identifikation der Darsteller mit ihrer | |
Rolle geschuldet. | |
Lars Clevemann dagegen, der sich als Tannhäuser ja weder bei Venus noch auf | |
der Wartburg zu Hause fühlt und mit verschlungenen und verwirrenden | |
Melodien stets von seiner Umgebung abweicht, fand nur kühle Aufnahme. Das | |
Regieteam wurde niedergemacht, der Chor dagegen, indem sich eine gewachsene | |
Kompetenz über die Jahre ausgebildet hat, am meisten gefeiert. Zweifellos | |
schlug da Heimatstolz zu: wir können unseren Wagner eben doch am besten. | |
26 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
## TAGS | |
Klassik | |
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