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# taz.de -- Bayreuther Festspiele: "Für den Alltag ist Wagner zu groß"
> Sebastian Baumgartens Inszenierung des "Tannhäuser" eröffnet nächste
> Woche die Bayreuther Festspiele. Ein Gespräch über die Arbeit auf dem
> Grünen Hügel.
Bild: "In meiner Fantasie ist das ein Betriebsfest, auf dem sich alle verkleide…
taz: Herr Baumgarten, wir sind hier im Festspielhaus Bayreuth, wenige Tage
vor der Premiere Ihrer "Tannhäuser"-Inszenierung. Ist man da besonders gut
vorbereitet?
Sebastian Baumgarten: Das System hier ist tatsächlich darauf ausgerichtet,
dass man mit einem fertigen Regiebuch ankommt. Gute Handwerker sind da im
Vorteil. Nicht irgendwelche Verbote sind das Problem, sondern es ist die
Struktur. Die knappe Probenzeit ist eine wirkliche Härte. Aber die
Atmosphäre ist gut.
Der Tannhäuser ist erst Ihr zweiter Wagner, nach dem "Parsifal" 2002 in
Kassel. Mögen Sie Wagner eigentlich?
Ich habe auch eine "Wagnerhörschule" im Berliner Hebbel am Ufer gemacht, da
ging es um Expertenvorträge zum Thema Rausch und um das Filmische bei
Wagner. Am HAU habe ich auch nach Lars von Triers "Epidemic" inszeniert, da
gibt es so ein Virus, das heißt Wag-Tann; das war natürlich auch viel mit
Wagner aufgeladen. Aber im engeren Sinne ist "Tannhäuser" tatsächlich erst
mein zweiter Wagner. Als Regisseur braucht man eine physische Verbindung
zur Musik. Und bei Wagner ist das bei mir ein gutes Verhältnis. Man kann
alles mit Ironie und Distanz betrachten, und doch ist es gleichzeitig so
fantastisch! Wenn die Musik so rüberkommt und Thomas Hengelbrock das
Orchester so auf seiner Seite behält wie im Moment, dann wird es großartig.
Ich mag Wagner einfach. Der Ausgangspunkt ist ja ohnehin immer die Musik
und ihre Analyse.
Hat Thomas Hengelbrock, der musikalische Leiter, die Besonderheiten des
Grabens im Griff?
Klar kann der das. Nur die Zuschauergruppe, die ich auf die Bühne setze,
hat es schwer. Ich habe das mal ausprobiert - dort hört man Chor und
Orchester tatsächlich einen Takt auseinander. Ich bin froh, dass das
dennoch genehmigt wurde.
Das klingt wie ein Tabubruch. Wie man hört, sind es Mitglieder des Teams
aktiver Festspielförderer, die Katharina Wagner besonders eng verbunden
sind. Spielte das eine Rolle?
Nein, außerdem kommen nur 20 der 50 Zuschauer auf der Bühne aus diesem
Kreis. Die anderen sind theaternahe Leute oder Freunde der Sänger. Der
größere Tabubruch ist übrigens die Pausenbespielung!
Und was sollen die Zuschauer auf der Bühne?
Wir wollten eine Durchbrechung der vierten Wand. Der Zuschauerraum soll
sozusagen auf die Bühne überschwappen.
Das wäre früher, unter Wolfgang Wagner, sicher nicht gegangen.
Den Vergleich zu früher habe ich nicht, aber mein Dramaturg Carl Hegemann
hat ihn aus seiner Arbeit mit Christoph Schlingensief am "Parsifal". Es hat
sich total geöffnet. Viele Restriktionen resultieren aber immer noch aus
technischen Gegebenheiten oder gewerkschaftlichen Vereinbarungen. Uns
gingen zwei Beleuchtungsproben verloren, weil der Aufbau nicht nachkam. Die
Zeit ist einfach weg. Da war dann nur etwas nachzuholen, weil Katharina
Wagner auf Zeit für ihre "Meistersinger" verzichtet hat. Sie hat sich da
sehr kollegial verhalten.
Für die Bühne ist mit Joep van Lieshout ein bildender Künstler
verantwortlich - was hat das für Konsequenzen?
Joeps Ästhetik mochte ich von Anfang an. Er hatte zuerst für jeden Akt ein
Bild gemacht. Das haben wir dann aber doch verworfen. Es muss doch etwas
bedeuten, wenn die Musik der Venusbergwelt auch in der Wartburgwelt
anklingt. Und umgekehrt. Jetzt gibt es ein geschlossenes System, das alle
Orte in sich trägt. Diese Installation ist eine große Kopplung von
verschiedenen Maschinen, die alle in einen Tages- und Zeitablauf
eingebunden sind. Der Apparat ist hoch ökologisch und in seiner
Geschlossenheit ambivalent. Es ist eine Abenteueranlage.
Das klingt, anders als in früheren Arbeiten, mehr nach einer eher
geschlossenen Bühnenästhetik, womöglich nach einer Art neuer Opulenz bei
Sebastian Baumgarten?
Schon in meinen letzten Produktionen habe ich versucht, so etwas wie einen
Stil zu entwickeln und dabei nicht mehr so viel Alltag von außen
reinzuholen. Dazu ist Wagner irgendwie zu groß. Außerdem habe ich einfach
keine Lust mehr, nur auf Bruchstücke aus verschiedenen Theaterästhetiken
etwa bei den Kostümen zurückzugreifen. Die Sachen werden wieder genäht. Es
ist ja auch ein Spiel von 120 Leuten. In meiner Fantasie ist das wie ein
Betriebsfest, auf dem sich alle verkleiden und den "Tannhäuser" spielen!
Und warum sollten die das eigentlich wollen?
Was diesen "Tannhäuser" noch interessant macht, ist für mich keine
aktuelle, sondern eher eine archaische Frage. Für den kreativen Menschen
gibt es immer diese Zerrissenheit. Einerseits den Drang ins Exzesshafte,
den Rausch und die Selbstauflösung, also das Dionysische des Venusbergs.
Auf der anderen Seite steht das Apollinische. Die Wartburgwelt steht für
Ordnung, Formwillen und Verwaltung -alles Dinge, die ein gesellschaftliches
Leben erst möglich machen.
Also keine neue Variante des Künstlerdramas oder ein Diskurs über das
Frauenbild?
Es ist mehr. Die Menschen leiden ja unter der Zerrissenheit, aber das Stück
zeigt: Ihr lebt, weil ihr diesen Widerspruch habt. "Wenn stets ein Gott
genießen kann, bin ich dem Wechsel untertan" - antwortet Heinrich auf die
Göttin Venus. Bei Wagner ist das einfach toll, wie dieser Widerspruch, als
Gegensatz von Venusberg und Wartburg, im Sängerwettstreit am Thema der
Liebe philosophisch behandelt wird. Das hat auch eine gewisse Komik. Der
Landgraf will so herauskriegen, wo Heinrich war und was er gemacht hat. Und
der lügt in einer Tour. Von wegen "Ich wanderte in weiter, weiter Fern ".
So wie sich Tannhäuser im Venusberg nach der Ordnung gesehnt hat, singt er
sich jetzt auch wieder heraus. Er muss immer zwischen den Stühlen sitzen.
Haben Sie schon Sorgen wegen der möglichen Publikumsreaktionen nach der
Premiere?
Nein, wir haben gearbeitet und festgestellt, dass sich unser Konzept
umsetzen lässt. Ein Problem ist noch, ob die Energie, die von der Bühne
kommt, auch bis in die hinteren Reihen durchdringt. Das ist wahnsinnig
schwer. Für Regisseure, die mit großen Bildern arbeiten, ist der Raum eher
geeignet. Für meine Art von Personenführung ist es schwieriger. In den
vorderen Reihen sieht man das alles, weiter hinten weniger. Ich habe schon
die Mitte vergrößert, aber die Sänger können ihre Gesten nicht noch mehr
ausstellen. Es muss ja auch Sinn ergeben.
Hat die Arbeit hier in Bayreuth die Lust des Schauspiel- und
Opernregisseurs auf die Oper und speziell Wagner gefördert?
Meine Lust, Oper zu machen, hat deutlich zugenommen. Probleme des Alltags
gehören ins Drama, aber die großen philosophischen Themen werden gerade bei
Wagner in der Oper behandelt. Bei der Oper suche ich nicht mehr danach, was
ich wie im Schauspiel machen könnte. Da sind viele Dinge einfach anders.
Mit dem Chor etwa hat man Möglichkeiten, die abstrakter sind und nicht so
psychologisch narrativ wie im Schauspiel. Außerdem werde ich eher langsamer
und lasse Sachen einfach auch einmal stehen, wo ich früher einen Dauerdruck
der Bewegung hatte. Das hat etwas mit Wagner zu tun. Betriebsamkeit, nur um
des Effekts willen, braucht man nicht. Das hat dann etwas mit Reife im
Beruf zu tun. Man muss nicht alles machen, man muss auch mal etwas
weglassen.
Apropos "Reife": Würden Sie denn auch Verantwortung für ein ganzes Theater
übernehmen wollen?
In Bremen hatte man mir vor einem Jahr die Intendanz angeboten. Ich habe
das aber nicht gemacht, weil die Finanzen ab 2012 nicht geklärt waren. Aber
um auf die Frage zu antworten: Ja, würde ich. Man kann sich nicht immer nur
über die Strukturen aufregen. Man muss dann auch mal bereit sein, die
Verantwortung für so einen Apparat zu übernehmen. Man darf dann nur nicht
selbst als Künstler stagnieren.
23 Jul 2011
## AUTOREN
Joachim Lange
## TAGS
Klassik
Richard Wagner
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nicht ein, die Konflikte des "Tannhäuser" in den Konflikten der Gegenwart
zu spiegeln.
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