| # taz.de -- Durchbruch am Holzmarkt: "Das wird hier keine Idylle werden" | |
| > Der Aufsichtsrat der BSR hat grünes Licht für den Verkauf des Geländes am | |
| > Spreeufer gegeben. Die Erwartungen sind hoch - das wissen auch Christian | |
| > Schöningh, Mario Husten und Juval Dieziger. | |
| Bild: Bald keine Zwischennutzer mehr: Christian Schöningh, Mario Husten und Ju… | |
| taz: Am Mittwoch hat der Aufsichtsrat der BSR den Kaufvertrag für das | |
| Holzmarkt-Gelände abgesegnet. Erleichtert? | |
| Juval Dieziger: Ich bin ungeheuer froh. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich | |
| das letzte Mal nachts an etwas anderes gedacht habe. Seit der Kündigung der | |
| Bar 25 habe ich nun fünf Jahre für dieses Projekt gekämpft. Ja, die | |
| Erleichterung ist riesig. | |
| Ihre Holzmarkt Genossenschaft wurde im Verlauf des Bieterkrimis plötzlich | |
| zu everybody’s darling. Hat Sie das überrascht? | |
| Mario Husten: Um Zustimmung zu bekommen, muss man transparent sein. Die | |
| Leute müssen wissen, wofür sie sein können. Bei uns war von Anfang an klar: | |
| Wir entwickeln ein Konzept und stellen es öffentlich zur Diskussion. Ob wir | |
| jetzt jedermanns Liebling waren, weiß ich nicht. Aber jeder hat gesehen, | |
| dass es in diesem Konzept Kultur gibt, dass es Arbeitsplätze gibt, dass | |
| Unternehmen angesiedelt werden. Es gab auch den Vorwurf, wir hätten alles | |
| reingeschrieben, was derzeit politisch aktuell ist. Vielleicht ist es aber | |
| auch deshalb aktuell geworden, weil wir es thematisiert haben. | |
| Sie haben aber auch aktives Lobbying betrieben. | |
| Husten: Wir haben aktiv für unser Konzept gekämpft, das ist richtig. Aber | |
| von wegen Erleichterung: Es ist ja kein Schlusspunkt. Es ist erst der | |
| Beginn. Jetzt müssen wir auf dem Grundstück das umsetzen, was wir | |
| versprochen haben. Daran werden wir gemessen. Wir sind gegenüber denen, die | |
| uns vertraut und die uns als Genossenschaft Geld gegeben haben, | |
| verantwortlich. | |
| Die Erwartungen sind hoch. Haben Sie Angst, sie zu enttäuschen? | |
| Husten: Wir müssen nun einen Schritt weiter, nicht nur inhaltlich, sondern | |
| auch organisatorisch. Auf dem Holzmarkt wird nicht der Kater oder die Bar | |
| wieder errichtet sein. Da geht es um Quartiersentwicklung. Angst wäre das | |
| falsche Wort. Respekt haben wir schon. | |
| Christian Schöningh: Es geht auch um Verteilungs- und Eigentumsfragen. Wir | |
| werden nicht Grundstückseigentümer, sondern bekommen ein Erbbaurecht und | |
| fokussieren damit auf die Nutzung. Die Verteilfragen werden wir durch die | |
| Organisationsform der Genossenschaft beantworten. Aus beiden Aspekten kann | |
| viel Kraft entstehen. Daraus resultiert die ökonomische Basis: Es geht um | |
| gemeinsamen Mehrwert – ausdrücklich nicht nur in Euro. Und es geht nicht um | |
| Profitmaximierung. | |
| Der Senat will landeseigene Flächen künftig auch an Interessenten | |
| verkaufen, die nicht das höchste Gebot abgeben, aber eine „Stadtrendite“ in | |
| Aussicht stellen. Auch wenn das beim Holzmarkt-Areal nicht zur Debatte | |
| stand: Wie hoch fällt denn da die Stadtrendite aus? | |
| Dieziger (lacht): Fünfundzwanzig Prozent. Mindestens. | |
| Schöningh: Es wird dort einen Park geben. Wer will, kann das in Euro | |
| umrechnen. Eine Grünfläche hat nach gängigen Kriterien nur noch 5 Euro pro | |
| Quadratmeter Wert für uns. Wir haben dem Land Berlin keine Rechnung dafür | |
| gestellt. Wir haben in einem Höchstbieterverfahren den Zuschlag bekommen | |
| und erlauben es uns trotzdem, ein Drittel der Fläche zu „entwerten“. Das | |
| ist in Euro gerechnet eine Stadtrendite von 6.000 Quadratmeter öffentliche | |
| Grünfläche, abgekauft zum Baulandpreis, also mehrere Millionen Euro. Hier | |
| passiert, was das Land am Mauerpark nicht machen will. | |
| Husten: Man muss das nicht unbedingt in Euro umrechnen. Eine Brache wird zu | |
| einem lebenswerten Raum. Das ist Stadtrendite. Kunst, Kultur, die | |
| Gründerszene sind unbestreitbar wichtige Wirtschaftsfaktoren Berlins. Wir | |
| schaffen Arbeitsplätze in einem kreativen und sozialen Umfeld. | |
| Dieziger: Die Bar 25 war ein bekannter Ort auf der ganzen Welt. Dieser | |
| öffentliche Mehrwert entsteht erneut. | |
| Wie ist das für Sie biografisch? Werden Sie jetzt mit dem Holzmarkt alt? | |
| Richten Sie sich da ein? | |
| Dieziger (lacht): Ich richte mich da ein. | |
| Schöningh: Solche Projekte haben immer eine lange Laufzeit. Wir denken das | |
| in einem Zeitraum von zunächst mindestens zehn Jahren. Der Holzmarkt soll | |
| ja ein sich änderndes, wandelndes, wachsendes Projekt sein. | |
| Husten: Aber das Projekt hängt natürlich nicht von einigen wenigen Personen | |
| ab, die sich da womöglich auf Lebenszeit einrichten. Entscheidend ist die | |
| gemeinsame Verantwortung für das Projekt. Ich engagiere mich, weil ich von | |
| der Idee, dem genossenschaftlichen Wirtschaftsmodell und vor allem von den | |
| Mitstreitern überzeugt bin. Gut, dass es jeden Tag mehr werden. | |
| Die 90er Jahre waren in Berlin die große Zeit der Beweglichkeit. Jeder ist | |
| andauernd umgezogen. War das nicht auch ein Jungbrunnen, aus dem man viel | |
| Kraft schöpfen konnte? | |
| Dieziger: Auf jeden Fall. Sich zu erneuern ist sicher etwas, was gerade in | |
| der Kultur immer was Positives ist. Es ist aber ein Unterschied, wenn man | |
| etwas aufbaut und viel Zeit investiert. Die Bar 25 war ein erfolgreiches | |
| Unternehmen, aber eine Nullsumme. Am Ende haben wir da nichts reinvestieren | |
| können, im Gegenteil: Wir mussten für den Kater wieder Kredite aufnehmen. | |
| Und dann nach zwei Jahren zu gehen, heißt: wieder viel gearbeitet, gelebt | |
| und am Ende „erfolgreich“ die Schulden bezahlt. | |
| Husten: Das ist ein spannendes Thema. Baulich und unternehmerisch geht es | |
| genau darum, stetigen Wandel zu ermöglichen. Das wird ein spannender Mix | |
| aus Temporärem und sich festigender Infrastruktur. | |
| Schöningh: Das ist auch ästhetisch und städtebaulich eine echte | |
| Herausforderung; es soll ja kein Freilichtmuseum werden. | |
| Dieziger: Der Holzmarkt ist nicht mehr der Club mit einer Mauer drum herum. | |
| Es ist ein Künstlerdorf. Da wird das Provisorische, Experimentelle | |
| weiterhin wichtig sein. Im Dorf gibt es 30 Prozent Ankermieter, 40 Prozent | |
| sind „normale“ Mieter, Künstler und Handwerker, und 30 Prozent sind | |
| geförderte Räume. Die werden durch andere Einnahmen gedeckt. Wenn deren | |
| Mieter dann bleiben wollen, wird eine neue Hütte aufgebaut. Vielleicht | |
| kommt auch jemand und sagt, ich will da erst mal mein Zelt hinstellen. Und | |
| in einem Jahr sagt man: Das war super, was du gemacht hast, lass uns | |
| zusammen was Neues bauen. Das wird ein Dorf in stetigem Wandel sein. | |
| Ist das nicht etwas zutiefst Spießiges, in eine Millionenmetropole ein | |
| idyllisches Dorf pflanzen zu wollen? | |
| Dieziger: Man könnte statt Dorf auch sagen: das Kreuzberger oder Neuköllner | |
| Modell. Kleinteilig, gemischt. Der Hackesche Markt war mal der schönste Ort | |
| von Berlin. Jetzt sind da lauter Ketten drin. | |
| Husten: Man soll da auch hinkommen, weil es den Bäcker gibt. Den Markt. | |
| Etwas, das mit eigener Hände Arbeit gemacht wird. Aber es wird mit | |
| Sicherheit keine Idylle werden. Der Widerspruch ist ja schon im | |
| Gesamtkonzept angelegt. Das Gründerzentrum hat baulich sicher wenig mit dem | |
| Dorf zu tun, steht aber direkt daneben. Das eine geht aber nur mit dem | |
| anderen. Zu Stadt gehört der Widerspruch. | |
| Nach der Sitzung des BSR-Aufsichtsrats beginnen nun die Mühen der Ebene. | |
| Was werden die ersten Schritte sein? Ein neuer Bauantrag beim Bezirk | |
| Friedrichshain-Kreuzberg? | |
| Schöningh: Mit dem erworbenen Grundstück hängt der alte Bauvorbescheid | |
| zusammen. | |
| Mit dem Sie das elfgeschossige Eckwerk auf dem nördlichen Teilgrundstück | |
| bauen können. | |
| Schöningh: Genau, und auf dem südlichen gibt es Dorf und Park. Wir haben im | |
| Laufe des Bieterverfahrens auf der Grundlage unseres Konzepts einen neuen | |
| Antrag gestellt, der dem Änderungsbeschluss des Bezirks weitgehend | |
| entspricht, also alles eine deutliche Nummer kleiner. Und was mit dem | |
| B-Plan wird, kann uns im Grunde drei Jahre lang egal sein. So lange gilt | |
| der neue Bauvorbescheid. Der ermöglicht unser Konzept und gewährt dem | |
| Bezirk für diesen Ort ein als richtig beurteiltes Konzept. | |
| Stehen Sie schon in den Startlöchern? | |
| Husten: Ein Teil des Grundstücks wird gerade noch saniert. Es ist aber | |
| klar, was gleich zu Beginn passieren wird. Es wird eine provisorische | |
| Lösung für den Club und das Restaurant geben – und es wird mit dem Bau des | |
| Parks begonnen. | |
| Wann werden Club und Restaurant wieder öffnen? | |
| Dieziger: Wenn alles gut geht, im nächsten September. Danach bauen wir das | |
| richtige Restaurant und das temporäre kann wieder abgetragen werden. | |
| Auf dem Gelände sollen Altlasten liegen. | |
| Schöningh: Wir bekommen von der BSR ein teilsaniertes Grundstück. Gefahren | |
| gehen davon dann nicht mehr aus. Das bekommen wir schriftlich. Den Grund | |
| und Boden fassen wir danach nicht mehr an. Da kommt Muttererde drauf. Das | |
| wäre anders gewesen, wenn wir Keller oder Tiefgaragen gebaut hätten. | |
| Und wann wird der Baubeginn für das Eckwerk sein? | |
| Schöningh: Wenn alles gut läuft, frühestens in anderthalb Jahren. Also | |
| zuerst der Park, der temporäre Club und das Restaurant, dann Dorf und | |
| Eckwerk und am Ende das Hotel. | |
| Dieziger: Die Idee ist, dass wir uns das Grundstück clustermäßig | |
| zurückerobern. | |
| Kann man das so sagen: Sie stehen weniger unter Druck als ein Investor, | |
| weil Sie nicht den Kapitalmarkt bedienen müssen, sondern nur den | |
| Erbpachtzins? | |
| Husten: Nur? Das ist ein wenig untertrieben. | |
| Schöningh: Aber natürlich ist es so, dass die Stiftung Abendrot mit uns | |
| nach Lösungen sucht, wenn es Probleme gibt. Eine Bank würde da sofort die | |
| Daumenschrauben anziehen. | |
| Husten: Jeder Teil des Projekts muss erstens für sich funktionieren und | |
| zweitens einen Beitrag für die Genossenschaft entrichten. Der Club und das | |
| Restaurant sind kein Selbstzweck, sondern tragen zur Wirtschaftlichkeit und | |
| damit auch zum Unterhalt des Parks bei, ebenso wie das Eckwerk und das | |
| Hotel. Wie gesagt, es geht nur gemeinsam. | |
| Wie lange noch werden das Restaurant und das Holzig auf dem alten Gelände | |
| weitermachen? | |
| Dieziger: Wir bleiben hier bis August 2013. | |
| Es gibt aktuell Vorwürfe vom Holzig-Nachbarn Lichtpark, dass Sie denen | |
| gekündigt haben, um auf Ihr Grundstück zu können. | |
| Dieziger: Die Holzmarkt Genossenschaft hat im Bieterverfahren erklärt: Wir | |
| stehen zu unserem Wort. Das gilt auch für den Kater Holzig. Wir waren und | |
| sind gesprächsbereit. Und es gibt immer zwei Seiten einer Medaille. | |
| Zeigen die Vorwürfe, dass Ihnen ein anderer Wind ins Gesicht bläst? Dass | |
| Sie nicht mehr jedermanns Liebling sind? | |
| Husten: Wind, der uns ins Gesicht bläst, sind wir gewohnt. Wir waren und | |
| wollen auch nicht jedermanns Liebling sein. Uns hat die Bereitschaft zum | |
| kritischen Dialog stets vorangebracht. | |
| Sicher wird auch Visit Berlin einmal mit dem Holzmarkt werben. Werden Sie | |
| genervt sein, wenn jeden Tag organisierte Radtouren übers Gelände fahren | |
| und fotografieren? | |
| Dieziger (lacht): Die organisierten Radtouren kommen nicht bei uns vorbei. | |
| Die Touristen werden dann viel eher vom Holzmarkt aus starten. | |
| 17 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
| Uwe Rada | |
| ## TAGS | |
| Punk | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| SPREEUFER: Holzmarkt: Welche Krise? | |
| Genossenschaft dementiert Scheitern des Projekts auf dem ehemaligen Gelände | |
| der Bar 25. Die Suche nach Mitstreitern für das Kulturdorf läuft. | |
| Umgang mit Landesgrundstücken: Abgeordnete am Drücker | |
| Das Parlament soll bei jedem Landesgrundstück das letzte Wort haben - auch | |
| bei denen der Landesbetriebe. Der Senat wollte etwas Anderes. | |
| Der Jungbrunnen des Punk: Es gibt kein Morgen | |
| Stürmisch, aber nicht grob: Kalifornische Künstler wie Ty Segall, Dum Dum | |
| Girls oder Thee Oh Sees befeuern die Energie des Punk. |