# taz.de -- Anwalt über Demos in Chemnitz: „Höckes Traum ist aufgegangen“ | |
> Jürgen Kasek rief zu Protesten am Samstag gegen die rechten | |
> Demonstrationen auf. Die Vereinigung von AfD mit Nazihooligans hält er | |
> für strategisches Kalkül. | |
Bild: Bernd Höcke (neben dem Auto) | |
taz: Herr Kasek, ihr Bündnis hat dazu aufgerufen, am Samstag in Chemnitz | |
[1][gegen die rechten Aufmärsche zu protestieren]. Die konnten am Ende | |
nicht wie geplant stattfinden. Sind Sie zufrieden? | |
Jürgen Kasek: Dem Aufruf des Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ sind so | |
viele Menschen nachgekommen, dass die Züge nicht nur völlig überfüllt | |
waren, sondern Hunderte Menschen auf den nächsten und übernächsten Zug | |
warten mussten. | |
Wie viele waren denn am Ende [2][in Chemnitz auf der Straße]? | |
Ich bin mit Zahlen sehr vorsichtig, die Lage war schwer einzuschätzen. | |
Insgesamt würde ich denken 4.000 bis 4.500. | |
Und wie viele waren davon aus Chemnitz? | |
Etwa die Hälfte würde ich schätzen. | |
Ist das viel oder wenig? | |
Traurigerweise ist das ein bisschen zu gering. Ich hätte mir noch mehr | |
gewünscht. Die Chemnitzer Strukturen haben ihr Bestes versucht und man muss | |
unbedingt anerkennen, dass sie es geschafft haben, in wenigen Tagen alles | |
zu stemmen. Mehr als 70 Organisation haben aufgerufen. Aber man muss | |
feststellen, dass breite Teile der Bevölkerung dem eben nicht gefolgt sind. | |
Der Altersdurchschnitt beim Gegenprotest war sehr niedrig. Es waren viele | |
junge Menschen unterwegs, denen es um ihre Zukunft geht, während auf der | |
anderen Seite, bei AfD und Pegida vor allem die Rentnergeneration überwog, | |
unterstützt durch die Naziszene. | |
Die Polizei hat deren Zug nach weniger als der Hälfte der Strecke gestoppt, | |
weil die Straße durch einige Hundert GegendemonstrantInnen blockiert wurde. | |
Die Polizei hätte diese Blockade räumen können, aber darauf verzichtet. Hat | |
sie das überrascht? | |
Von der Gegenkundgebung sind Menschen im Laufe des Nachmittags auf die | |
Straße gelaufen, irgendwann hat man gemerkt, dass die Polizei das nicht | |
offensiv unterbindet. Zwischendurch gab es kurz Unruhe, weil eine | |
Polizeikolonne durchgefahren ist und viele dachten, nun wird womöglich | |
geräumt. Stattdessen ist es gelungen, das als Spontanversammlung | |
anzumelden. | |
Gab es eine politische Weisung, nach den Ereignissen am Montag den | |
Gegenprotest nicht hart anzugehen? | |
Am Johannisplatz bei der Gegenkundgebung war die Polizei relativ entspannt. | |
Das bayrische Unterstützungskommande (USK), dass die Menschen umstellt hat, | |
hat sich nach 45 Minuten zurückgezogen. Man war offensichtlich darauf | |
bedacht, keine Fehler zu machen. Ich glaube, dass die Maßgabe galt, beide | |
Seiten weitgehend zu trennen und vorsichtig miteinander umzugehen. Als dann | |
die Leute auf der Straße waren, fiel die Entscheidung so aus: Wir lassen | |
das Ganze hier stehen und senden keine Bilder einer größeren | |
Auseinandersetzung, die dann wieder den Eindruck vermitteln, man wolle den | |
Gegenprotest offensiv verhindern. Als einmal ein Demonstrant eine Ansage | |
machte und mit dem Megafon von „Bullen“ sprach, wurde er zwar von | |
Bundespolizisten aus Rheinland-Pfalz umstellt, aber nur verwarnt, nicht | |
angezeigt. Das kannte ich so nicht. Ich hab dann den Beamten gesagt, dass | |
die Wortwahl eben auch damit zu tun hat, dass das Vertrauen in die | |
sächsische Polizei nicht so groß ist. Dann haben die auch nur genickt. | |
Entgegen der angemeldeten Planung hat sich der offen nazistische Aufzug der | |
Pro Chemnitz-Initiative mit dem bis dahin eher bürgerlichen Zug der AfD | |
vereinigt. War das eine gewollte, symbolische Zäsur bei der Annäherung der | |
AfD an die extreme Rechte? | |
Ja. Der Traum von Björn Höcke ist am Samstag aufgegangen: Die Verenigung | |
der immer noch nach außen bürgerlich erscheinenden AfD mit dem harten | |
Hooligan-Spektrum. Es ist eine strategisches Kalkül, dieses Milieu | |
einzugliedern. Dann hat man am Ende eine Partei, die offen in den | |
Parlamenten gegen die Minderheiten hetzt und die auf der Straße von | |
Schlägertrupps unterstützt wird. Die Bilder, die wir da gestern gesehen | |
haben, haben mich äußerst beunruhigt. | |
Welche Bilder genau? | |
Wie sich bürgerliche Menschen mit organisierten Neonazis und Hooligans | |
offensiv aufeinander zu bewegen, zusammen stehen, keine Annäherungsprobleme | |
und Zweifel haben – nicht einmal, wenn der Hitlergruß gezeigt wird. | |
Von wem geht diese Annäherung aus – vom Nazispektrum oder von der AfD? | |
Das ist die Zielrichtung des nationalistischen so genannten „Flügels“ in | |
der AfD um Björn Höcke. Gemeinsam mit den Identitären und auch dem | |
neurechten Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek stecken sie den | |
Rahmen ab. Und dieser Rahmen sieht vor, die AfD halbwegs bürgerlich | |
erscheinen zu lassen, aber auf der Straße alle anderen Spektren | |
einzubeziehen. Es gab ja mal einen Abgrenzungsbeschluss der AfD zu Pegida, | |
Identitären und Organisationen der Nazis. Das gilt nicht mehr. Auf der | |
Straße vereinigt man sich und Gewalt ist dabei mit einkalkuliert. | |
2 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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