# taz.de -- Abtreibungsgegner in Bayern: Die Kapelle der Hetze | |
> In einer privaten Kapelle werden Abtreibungen mit dem Holocaust | |
> verglichen. Das Bistum Regensburg unterstützt das Gebetshaus. | |
Bild: Jesus! Misogyne Abtreibungsgegner setzen die Shoah mit Abtreibungen gleich | |
Auf den ersten Blick scheint die schlichte weiße Kapelle mit rotem | |
Ziegeldach nichts weiter als Gläubige zum Innehalten einzuladen. Doch | |
idyllisch im bayerischen Pösing gelegen, zwischen Regensburg und der | |
tschechischen Grenze, hat es das kleine Gebetshaus in sich. | |
Mit großen Buchstaben an der weißen Innenwand der Kapelle wird der | |
„millionenfache Massenmord an wehrlosen Kindern durch Abtreibung“ | |
angeprangert, der „Holocaust“ an ungeborenen Kindern. „Täglich“, steht… | |
einer Holztafel, würden in Deutschland 400 Kinder durch | |
Schwangerschaftsabbrüche „regelrecht hingerichtet“. Sie würden bei | |
„lebendigem Leib zerrissen“, zerstückelt, vergiftet, verätzt oder erträn… | |
Erbauer der Kapelle ist der Landwirt und militante Abtreibungsgegner Franz | |
Graf – ein schmaler Mann, wie auf Videos auf der Webseite der Kapelle zu | |
sehen ist, der mit bayerischem Akzent spricht. Frauen, die abtreiben, so | |
schreibt Graf auf der Seite, würden ihre Kinder „dem Henker, dem Tod“ | |
übergeben – weil ihnen „irgendetwas anderes wichtiger ist“. Und er fragt: | |
„Warum dürfen in Deutschland Kinder in Krankenhäusern und | |
Abtreibungskliniken ‚vergast‘ werden?“ „Auschwitz“, schreibt Graf, �… | |
heute in unsereren Krankenhäusern, Abtreibungskliniken, gynäkologischen | |
Praxen und durch die Einnahme von Abtreibungspillen.“ | |
Gegen diese Behauptungen gehen nun die beiden Kreisvorsitzenden Mittlere | |
Oberpfalz der Linkspartei vor, Eva Kappl und Marius Brey. Zwar werde die | |
Kapelle, die den Namen „Der stumme Schrei“ trägt, von Graf privat betrieben | |
– und das bereits seit zehn Jahren, schreiben die beiden [1][in einem | |
offenen Brief], der auf der Webseite der Linkspartei veröffentlicht ist. | |
Doch das Gebetshaus sei jedem und jeder zugänglich, auch kirchliche | |
Prozessionen dorthin habe es gegeben. Auch das ist auf der Seite der | |
Kapelle durch Fotos und Videos dokumentiert. | |
## Misogyner Kampf | |
Graf, schreiben Kappl und Brey, setze die Regelungen zum Paragrafen 218 mit | |
der Shoah gleich. Daneben, dass er einen „misogynen Kampf gegen das | |
Selbstbestimmungsrecht von Frauen“ führe, stelle er „unzählige Male“ die | |
Singularität der Shoah in Frage – so neben den beschrifteten Innenwänden | |
der Kapelle etwa auf Gedenksteinen im Inneren und Außenbereich, außerdem | |
laut einem Bericht der Mittelbayerischen Zeitung auch auf einer Feier zum | |
zehnjährigen Jubiläum der Kapelle im August. Durch diesen Bericht seien sie | |
selbst erst auf die Existenz der Kapelle aufmerksam geworden. „Was ist | |
Auschwitz gegen diesen Massenmord an Kindern?“, hat Graf demzufolge bei der | |
Feier gefragt. Und er untermauerte seine Position: „Die legale Abtreibung | |
ist der größte Völkermord in der Geschichte der Menschheit.“ | |
Der offene Brief Kappls und Breys richtet sich nun an den stellvertretenden | |
Landrat Markus Müller (CSU) und den Bischof des Bistums Regensburg, Rudolf | |
Voderholzer. Müller, schreiben Kappl und Brey, sei als „Vertreter der | |
Politik“ bei der Jubiläumsfeier der Kapelle anwesend gewesen. Er habe Graf | |
Respekt gezollt und Unterstützung zugesichert – und dieses Versprechen auch | |
direkt eingelöst. | |
So habe Graf etwa einen Gedenkstein, der auf die Kapelle aufmerksam machen | |
soll, unmittelbar an der nahen Landstraße errichtet, schreiben die beiden. | |
Da der Stein jedoch eine Gefahr für vorbei fahrende Autos darstellt, | |
forderte das Bauamt Regensburg eine 100 Meter lange Leitplanke und stellte | |
sie auch auf. Die Planke habe allerdings nicht Franz Graf bezahlt – sie sei | |
aus Steuergeldern finanziert worden. | |
## Gute Kontakte zum Bistum Regensburg | |
Trotz mehrfacher Nachfrage war der stellvertrende Landrat Müller für die | |
taz nicht zu sprechen. Eine Mitarbeiterin des Landratsamts schickte per | |
Mail nur die schriftliche Antwort der Pressestelle auf den offenen Brief | |
der beiden Linkspartei-Mitglieder. Müller habe im August vor Ort „Gesicht | |
zeigen“ wollen, heißt es in dem Schreiben des Amtes – schließlich würde … | |
Landratsamt selbst „von Herrn Graf angegriffen“. | |
Worum es dabei geht, wird allerdings nicht deutlich. Bei der Veranstaltung | |
habe Müller dann in einem Grußwort „das Thema Abtreibung und die geltende | |
Rechtslage in sehr differenzierter Weise behandelt“, behauptet das Amt. Ein | |
Redemanuskript, heißt es auf Nachfrage, existiere aber nicht. Auf die | |
Finanzierung der Leitplanke geht das Landratsamt gar nicht erst ein. | |
Auch das Bistum Regensburg wollte sich gegenüber der taz nicht äußern – | |
obwohl oder gerade weil die Kontakte zur Kapelle offenbar gute sind. Zur | |
Einweihung vor zehn Jahren, so zeigen es die Videos auf der Seite der | |
Kapelle, kam der Generalvikar der Diözese Regensburg. „Ich würde mir mehr | |
Leute wünschen, die deutlich auftreten und auch entsprechend eintreten für | |
das Lebensrecht der Ungeborenen“, sagte Michael Fuchs damals. Und auch bei | |
der Jubiläumsfeier im August war die katholische Kirche laut | |
Mittelbayerischer Zeitung vor Ort. Der Stadtpfarrer des nahen Roding, | |
Holger Kruschina, habe den Gottesdienst gehalten, zu dem rund 200 Gläubige | |
gepilgert seien. | |
## Strafanzeige wegen Volksverhetzung | |
Erste Schritte gegen die Kapelle haben die beiden Linkspartei-Mitglieder | |
Kappl und Brey bereits eingeleitet: Im Oktober erstatteten sie Strafanzeige | |
gegen Graf wegen Volksverhetzung bei der Polizei und nahmen mit der | |
Staatsanwaltschaft Regensburg für ein Vorermittlungsverfahren Kontakt auf. | |
Deren Antwort liegt der taz vor: Der Vorsatz, den Holocaust zu | |
verharmlosen, „könne dem Beschuldigten nicht nachgewiesen werden.“ | |
Vielmehr, schreibt die zuständige Staatsanwältin mit viel Verständnis für | |
den Beschuldigten, wolle dieser „[2][durch den Vergleich mit dem Holocaust] | |
und dem durch die NS-Herrschaft begangenen Völkermord nur betonen, wie | |
verwerflich er legale Abtreibungen findet“. | |
Auch anderweitige Straftatbestände habe der Beschuldigte durch seine | |
Äußerungen nicht erfüllt. Das Anprangern von Beratungsstellen, Grünen, | |
ÄrztInnen, RichterInnen, Krankenkassen oder der Polizei wegen der | |
Befürwortung von Schwangerschaftsabbrüchen falle schließlich unter das | |
Recht auf freie Meinungsäußerung. Und, wiederum äußerst verständnisvoll: | |
Durch seine provokanten Äußerungen wolle Graf „andere zum Nachdenken | |
bringen über die Bedeutung eines Schwangerschaftsabbruchs.“ | |
Weitere juristische Schritte behalte man sich dennoch vor, sagte Brey der | |
taz. „Graf“, fordert er, „muss sich für seine unsäglichen | |
Holocaust-Gleichsetzungen entschuldigen und die entsprechenden Passagen | |
entfernen.“ Und Landrat Müller müsse sich von den Aussagen Grafs | |
distanzieren, „sonst ist er politisch nicht mehr tragbar.“ Für sie beide | |
gehe es nun zunächst darum, weitere UnterstützerInnen zu finden, | |
möglicherweise eine Petition zu starten – um gegen die „frauenverachtende | |
und antisemitische Kapelle“ vorzugehen. | |
17 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.die-linke-mittlere-oberpfalz.de/nc/nachrichten/detail/news/offe… | |
[2] /Kolumne-German-Angst/!5433958 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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