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# taz.de -- Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine: Schecks und Schlote
> Kraft und Schönheit ist ihr Werbeslogan: Tief im Osten der Ukraine liegt
> Donezk, Spielort der Europameisterschaft. Wie fit ist die Stadt für das
> Großereignis?
Bild: Teures Schmuckstück: 400 Millionen Dollar hat die Donbass-Arena gekostet.
DONZEK taz | Eine graue Wolkendecke liegt über der Stadt. Es ist kalt,
minus fünf Grad. Ein paar Schneeflocken schweben herab auf die braunen
Narben der Flughafenbaustelle. Der neue Terminal ist noch nicht fertig.
Ende April soll der Glaskasten eröffnet werden. Bis dahin muss die alte
Empfangshalle ausreichen. Sie verströmt den Charme eines sowjetischen
Provinzbahnhofs. Im Zeitschriftenkiosk werden Stalin-Bände angeboten.
Etliche Taxifahrer lauern auf Gäste aus Westeuropa, denen sie ein paar
ukrainische Griwna zu viel aus der Tasche ziehen können. Einer von ihnen
ist Anatoli, der ein bisschen Deutsch kann, weil er früher im DDR-Bezirk
Leipzig als Rotarmist gedient hat.
Die Europameisterschaft im Sommer interessiere ihn nicht so sehr, sagt er.
Die Tickets seien zu teuer. Anatoli holpert ins Stadtzentrum von Donezk, wo
im Juni die Engländer, Franzosen, Ukrainer und im Halbfinale vielleicht
auch die Deutschen spielen werden. Links des Kiewski-Prospekts ist der
erste Hügel zu sehen. „Eto otwal“, sagt Antoli, das ist eine Abraumhalde.
Es gibt viele davon in der Stadt. Donezk steht auf Kohle. In der Tiefe wird
sie seit Jahrzehnten gefördert.
Die Hügel sind so etwas wie das Wahrzeichen der Stadt. Auch neben dem alten
Stadion befindet sich so eine Halde. Früher, in den 30er Jahren, saßen die
Bergleute auf der noch warmen Erde und schauten sich von oben die Spiele
des Fußballklubs Schachtjor Donezk an. Kohle, Stahl, dampfende Schlote,
verschmierte Gesichter, all das ist Donezk. Aber die Stadt will nicht nur
Kohlenpott sein, sondern auch attraktiv und lebenswert. Der touristische
Slogan lautet „Power and Beauty“, Kraft und Schönheit.
## Dicke Schecks
Der Mann, der Donezk mit dicken Schecks Kraft und Schönheit verordnet,
heißt Rinat Achmetow. Das Arbeiterkind hat klein angefangen in den 80ern.
In der wilden Zeit des Umbruchs und der Privatisierung von Staatsbetrieben
hat Achmetow sich seinen Anteil gesichert. Sein einstiger Patron, Achat
Bragin, kam 1995 bei einem Sprengstoffanschlag im Schachtjor-Stadion ums
Leben. Achmetow, von dem es heißt, dass er entgegen seiner Gewohnheit nicht
bei diesem Spiel war, beerbte ihn.
Heute ist Achmetow 16 Milliarden Dollar schwer. Der 45-Jährige ist reicher
als alle anderen Oligarchen der Ukraine, auch reicher als Roman
Abramowitsch, Besitzer des FC Chelsea London. Auf der Forbes-Liste der
reichsten Männer steht Achmetow auf Platz 39. Seine Gesellschaft, System
Capital Management, besitzt Stahlwerke, Kohlegruben, Banken und
Energieversorger. Politisch steht er auch auf der richtigen Seite: Er ist
ein Blauer, ein Mitglied der Partei der Regionen von Staatschef Viktor
Janukowitsch, der wie sein Stellvertreter, Boris Kolesnikow, aus dem Oblast
Donezk kommt. Die Blauen haben die Orangenen abgelöst. Für die Blauen ist
die Orangene Revolution im Herbst 2004 keine Revolution gewesen, sondern
ein Putsch. Und trotzdem hat Rinat Achmetow ein Faible für Orange, denn
sein Team, Schachtjor, spielt in dieser Farbe. Blöd, aber Tradition ist
Tradition.
Kraft und Schönheit. Dafür steht vor allem die Donbass-Arena, die Achmetow
mitten in der Stadt hat bauen lassen. Für 400 Millionen Dollar. Entworfen
vom englischen Büro Arup und gebaut von der türkischen Firma Enka. Nachts
leuchtet sie strahlend blau. Ein Schmuckstück, in dem Joe Palmer aus seinem
Büro einen wunderbaren Blick auf den besonders widerstandsfähigen Rasen aus
Slowenien genießt. Der Engländer ist für das Strategische im Klub des Rinat
Achmetow zuständig. Palmers Aufgabe ist ganz einfach: Er soll aus
Schachtjor den besten Klub Europas machen. Sein Boss will irgendwann die
Champions League gewinnen. Den Uefa-Pokal hat Schachtjor schon geholt, im
Jahre 2009.
## Fans, Fanartikel, Fancafé
„Als ich hier auf dem Flughafen ankam, war das schon sehr surreal“, sagt
Palmer, „aber in England hätte ich nur weiter meinen Job in einer
Sportagentur gemacht, hier in Donezk erschaffen wir etwas.“ Es geht um
westeuropäische Standards, Kommunikation mit den Fans, Fanartikel, Fancafé
und Eventatmosphäre im Stadion. Palmer findet es gut, dass Achmetow so viel
Geld in den Fußball steckt. „Er hat endlich Unternehmergeist in den
ukrainischen Fußball hineingebracht, wirklich fantastisch, das ist einfach
toll.“ Und die fragwürdige Vergangenheit des Stadtpatrons? „Ich weiß nich…
davon“, gibt er vor, „aber seien wir ehrlich: Die meisten Oligarchen haben
nicht die beste Vergangenheit. Entscheidend ist doch, was sie heute
machen.“
Tatsächlich: Heute gilt Achmetow als freundlicher Wohltäter, der
Waisenkindern hilft und Bergarbeitern Jobs gibt. Und er zahlt gut. Warum
sonst sollte einer wie Palmer in der Ostukraine arbeiten, wo es keine
internationale Schule gibt und von wo aus seine Frau mit den beiden Söhnen
nach ein paar Monaten wieder die Flucht nach England antrat? „Na ja“, sagt
Chefstratege Palmer, „die soziale Anbindung hier ist schon ein Problem.“
Ob sich die Fans aus Westeuropa in der Ostukraine wohlfühlen, diese Frage
beschäftigt auch Klaus Zillikens, deutscher Generalkonsul in Donezk. Es
gibt Vorurteile, die Sprachbarriere und noch vieles mehr. Für viele
Fußballfans ist der Osten der Ukraine Terra incognita. Sorgen bereiten ihm
vor allem Fußballfans, die auf eigene Faust nach Donezk oder Charkiw
reisen; das deutsche Team spielt während der Europameisterschaft einmal in
Charkiw. Billige Hotels zu finden ist praktisch unmöglich. Außerhalb von
Donezk soll es dafür einen Zeltplatz für Fans geben, auf dem sie für 40 bis
50 Euro pro Nacht unterkommen können.
## Bloß schnell wieder weg von hier
Die meisten werden aber nach den Spielen gleich heim- oder in den Westen
der Ukraine fliegen. Das Motto: Bloß schnell wieder weg von hier. Der
Deutsche Fußball-Bund verzichtet deswegen auf ein Fancamp in Charkiw.
Zillikens wundert sich ein bisschen darüber. Das Interesse, sich mit der
Ostukraine anzufreunden, ist nicht besonders groß. Das könnte auch daran
liegen, dass Julia Timoschenko, die ehemalige Ministerpräsidentin, nach
einem Schauprozess im Charkiwer Knast sitzt. Beobachter sind der Meinung,
dass die Ukraine aufgrund der politischen Lage die Europameisterschaft ein
Stück weit verschenkt.
Alles wird gut. Das ist die Botschaft, die Sergej Repin vermittelt. Er ist
Chef des lokalen EM-Organisationskomitees. Ihn treibt um, dass er nicht so
recht einschätzen kann, wie viele Fans im Sommer in seine Stadt kommen
werden. Das Hotelproblem, sagt Repin, sei vor allem auf die Uefa
zurückzuführen, deren Partner so gut wie alle Hotelkapazitäten in Donezk
geblockt hätten.
Und dann sind da ja noch die Polen, die anderen Gastgeber der EM. Die
Zusammenarbeit mit ihnen sei so lala. Eigentlich mache jedes Gastgeberland
seins, „die Vorbereitungen laufen parallel“. In Grunde, findet Repin, hätte
die Ukraine das Turnier auch alleine ausrichten können, denn andere
ukrainische Städte hätten gerne mitgemacht: Odessa zum Beispiel oder
Simferopol und Dnjipropetrowsk. Die glücklichste Beziehung führen Polen und
die Ukraine also nicht gerade. Und weil Repin weiß, dass Polen als
Reiseziel bei den Fußballfans beliebter ist, sagt er: „Wir werden es den
Fans in Donezk so bequem wie möglich machen. Wir werden unser Bestes geben,
um es nicht zu verpatzen.“ Es ist fast schon eine flehentliche Bitte, die
Herr Repin, der rundliche Mittdreißiger, da formuliert: Kommt zu uns, es
wird schon nicht so schlimm werden!
## Schöner, grüner, freundlicher
Vor sechs Jahren hat Patrick van Leeuwen den Schritt in die Ostukraine
gewagt – „und nicht bereut“, wie er sagt. Der Holländer verdient in Done…
gutes Geld, und er kann etwas aufbauen. Er leitet Schachtjors
Jugendakademie, das Kirscha Training Camp, 20 Kilometer südlich von Donezk
gelegen. 80 Jugendliche träumen hier von der Profikarriere. Van Leeuwen hat
das holländische Know-how von Feyenoord Rotterdam mitgebracht:
Offensivfußball und 4-3-3-System mit vier Verteidigern, drei
Mittelfeldspielern und drei Angreifern. Seine Jungs haben schon Manchester
City besiegt und den Nachwuchs des FC Barcelona fast. „Rinat Achmetow
wollte den holländischen Stil, deswegen bin ich hier“, sagt er.
Im Klub habe all die Jahre stets eine positive Atmosphäre geherrscht, weil
es immer nur vorangegangen sei, sagt van Leeuwen. Auch er wirbt für Donezk
im Stile eines Tourismusmanagers. Im Sommer sei alles viel schöner, grüner,
freundlicher. Sein Camp sehe dann aus wie ein Golfplatz. Auch die Stadt sei
wie verwandelt. Allerdings weiß van Leeuwen nicht, wo er im Sommer arbeiten
soll. Die Franzosen, die in Donezk ihr EM-Quartier aufschlagen werden,
haben das komplette Trainingsgelände gemietet, 43 Hektar, mitsamt den neun
Trainingsplätzen, der Fußballhalle, dem Teamhotel. Alles „state of the
art“, wie Patrick van Leeuwen nicht ohne Stolz sagt.
Außerhalb des umzäunten Geländes ist Donezk allerdings wieder ganz
ursprünglich. Eine holprige Straße führt vorbei an Baustellen zurück in die
Stadt. Das Taxi pflügt sich durch Schneematsch. Die Abraumhalden grüßen von
ferne.
18 Mar 2012
## AUTOREN
Markus Völker
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