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# taz.de -- Diagnose Long Covid und ME/CFS: „Das Krankheitsbild macht unsicht…
> Fabian Fritz trat gerade eine Professur an, als er an Long Covid
> erkrankte. Heute bekommt der 38-Jährige Rente und kämpft gegen
> Stigmatisierung.
Bild: Zu viele nehmen die Krankheit nicht ernst: Teilnehmerin der Kundgebung am…
taz: Herr Fritz, Sie werden am Donnerstag im Hamburger Gesundheitsausschuss
in einer öffentlichen Anhörung über die [1][mangelhafte Versorgungslage von
Menschen sprechen, die an Long Covid und ME/CFS erkrankt] sind. Was wollen
Sie dort erreichen?
Fabian Fritz: Ich [2][spreche da für den Verband Fatigatio], der sich für
ME/CFS-Erkrankte einsetzt. Wir haben entschieden, dass ich in den Ausschuss
gehe, weil ich so ein Prototyp-Fall bin. Ich stehe für die
Fehlbehandlungen, aber auch für die Erkenntnis, dass es mit medikamentöser
Begleitung zwar keine Heilung, aber eine Verbesserung geben kann. In
Hamburg gibt es nicht mal eine Anlaufstelle für postinfektiöse
Erkrankungen. Hamburg ist die Hochburg der Psychosomatik.
taz: Die Versorgung ist hier also aus Ihrer Sicht besonders schlecht?
Fritz: Hamburg gehört neben Bremen und Sachsen-Anhalt zu den einzigen
Bundesländern ohne [3][Long-Covid-Ambulanzen für Erwachsene]. Es gibt in
Hamburg nur BG-Kliniken für Fälle von Berufskrankheit. Und zu meiner
Geschichte gehört, dass ich das Bundesland wechseln musste und nach
Thüringen gegangen bin, weil mein Hausarzt in Hamburg gesagt hat: Gehen Sie
weg, hier werden Sie nichts erwarten können.
taz: Sie haben es auf der Plattform X mal so formuliert: „Ich bin 37,
Single, wohne im Kinderzimmer meiner Familie. War kurz Professor. Lebe
wieder in der alten Heimat. Bald in Rente. Mir ist nicht wurscht, was in
fünf oder zehn Jahren in diesem Land abgeht. Ich bin aber jetzt schon raus
und lebe dann vielleicht nicht mehr. Ich habe #longcovid.“ Wie geht’s Ihnen
heute?
Fritz: Das habe ich Ende letzten Jahres geschrieben, ich war ab Oktober
2024 zu 95 Prozent bettlägerig und hatte eigentlich keine Hoffnung mehr,
dass es irgendwie besser wird. Und dann bin ich durch Glück in eine Studie
gekommen, die Medikamente getestet hat, die bei mir auch noch angeschlagen
haben. Das war ein großer Unterschied zu der [4][Aktivierungstherapie, die
ich vorher machen musste und die vielen ME/CFS-Betroffenen verschrieben
wird].
taz: Anstrengung ist beim ME/CFS eher schädlich?
Fritz: Genau, mir ging es bis zu meinem ersten Tagesklinik-Aufenthalt in
der Psychosomatik gar nicht so schlecht. Dort habe ich mich darauf
verlassen, dass es schon stimmen wird, wenn sie sagen: Sport tut gut. Aber
diese Aktivierungstherapie hat mich erst mal bettlägerig gemacht. Seit ich
die Medikamente nehme, bin ich wieder so bei 30 Prozent meiner
Leistungsfähigkeit von vor der Erkrankung.
taz: Das ist immer noch wenig.
Fritz: Und es geht ja auch um kognitive Einschränkungen. Manche können vom
Bett aus arbeiten, ich kann das eher weniger, weil ich mich nicht länger
als eine Stunde auf einen Text konzentrieren kann. Die meisten Menschen
können sich gar nicht vorstellen, was diese Krankheit bedeutet.
taz: Ist das der Grund, warum Sie auch mit Ihrer Erkrankung an die
Öffentlichkeit gegangen sind?
Fritz: Das hat eher mit der Stigmatisierung zu tun, der ich zuvorkommen
wollte. Als ich damals erkrankt bin, wurde in meinem kollegialen Umfeld
gesagt: Ach, der hat bestimmt ein [5][Burn-out], typisch junger Akademiker,
der schafft seinen neuen Job nicht, dem wird das alles zu viel. Statt zu
sagen: Oh, Mist, der hat jetzt Long Covid. Das hat mich extrem gestört,
weil ich gemerkt habe, wie unsichtbar das Krankheitsbild gemacht wird.
Dagegen wollte ich was unternehmen und ich hatte eine recht gute Reichweite
damals.
taz: Reichweite über den FC St. Pauli, dort haben Sie als
Jugendbildungsreferent im Vereinsmuseum gearbeitet.
Fritz: Ja, wir haben eine Kampagne gestartet, mit dem Ziel, die [6][Stadien
als Plattform für ME/CFS] zu nutzen. Da haben sich auch so schnell so viele
andere Erkrankte gemeldet. Das ist immer der Effekt: Sobald man irgendeinen
Bereich neu betritt, kommen mindestens gleich so fünf, sechs Betroffene aus
ihrer Unsichtbarkeit heraus.
taz: Welche Hilfe bräuchte es denn?
Fritz: Ich sehe drei Standbeine: Es braucht Differenzialdiagnostik, eine
langfristige medizinische Versorgung und so eine Art, ja, wie soll man das
nennen, so eine Begleitung in der gesellschaftlichen Bearbeitung der
Stigmatisierung, die man erfährt. Und natürlich braucht es viel mehr
Forschung zu den biologischen Ursachen.
taz: Und wie sollte das aussehen: Stigmatisierung begleiten?
Fritz: Ich würde mir wünschen, dass man einfach einen Status bekommt wie
jemand, der Krebs oder MS hat. Dann kann man offen reden. Und es fehlt eine
öffentliche Kampagne, beispielsweise so, wie es sie damals für HIV/Aids
gab, mit Plakaten an Bushaltestellen und so. Denn mit der Erkrankung, die
wir haben, wird man doppelt stigmatisiert: Man kriegt die volle Ladung
Ressentiments gegen psychisch Erkrankte ab, obwohl man gar nicht psychisch
krank ist, und muss gleichzeitig dafür kämpfen, richtig diagnostiziert zu
werden.
taz: ME/CFS läuft ja immer noch auch unter dem Begriff
„Erschöpfungserkrankung“. Ist der Begriff ein Problem? Jeder ist ja mal
erschöpft.
Fritz: Erschöpfung ist ja das geringste Problem, im Gegensatz zu den
neurologischen Symptomen wie eben Dauerschwindel, Tinnitus, nicht aufstehen
können, weil der Puls dann bis 220 hochgeht oder so was. Deswegen würde ich
da zustimmen. Erschöpfung ist einfach ein Begriff, der ein bisschen
niedlich ist und die Erkrankten in die Nähe von „Ich habe schlecht
geschlafen und fühle mich heute nicht ganz so fit“ rückt. Außerdem wird die
Erkrankung historisch Frauen zugeschrieben, die gerne als hysterisch oder
eben erschöpft stigmatisiert werden. Aber die Leute stehen nicht mehr auf,
weil ihr Körper das gar nicht aushält.
taz: Sie beschreiben einen dauerhaften Mangel. Mangel an Lebensqualität, an
gesundheitlicher Versorgung, an Unterstützung. Wie sieht es finanziell aus?
Fritz: Ich war vorher ganz gut situiert, aber noch zu jung, um richtig
Rücklagen anlegen zu können und jetzt bin ich von Armut betroffen. Ich
bekomme etwa 800 Euro Rente ausbezahlt und habe gerade einen Antrag auf
Wohngeld gestellt. Gleichzeitig bin ich wegen der Erkrankung nicht so gut
in der Lage, die ganzen Anträge zu stellen. Und selbst wenn ich jetzt zum
Beispiel den Zugang zu so etwas wie der Tafel bekommen könnte, könnte ich
da ja gar nicht hingehen, um mir die Lebensmittel abzuholen.
taz: Wen trifft es noch?
Fritz: Am schlimmsten trifft die Krankheit alleinerziehende Mütter, die
ihre Restenergie, wenn sie die noch haben, für die Kinder aufbringen müssen
und vielleicht vorher schon prekär gelebt haben. Und natürlich diejenigen,
die als Kinder und Jugendliche erkranken und zum Teil direkt in die
Grundsicherung fallen werden. Wenn es jetzt diese [7][politisch
angekündigten Verschärfungen gibt, wie die Abschaffung der Pflegegrade] und
so etwas, wird es weite Teile der Betroffenen noch mehr in Armut stürzen.
Denn viele bekommen noch Pflegegrad eins.
taz: Was fordern Sie von der Politik?
Fritz: Jetzt ist erst mal diese Anhörung im Gesundheitsausschuss wirklich
wichtig, um in Hamburg eine Diagnostik- und Versorgungsstruktur aufzubauen.
Es geht ja nicht nur darum, Sachen zu erkämpfen, die nicht da sind, sondern
etwas dagegen zu tun, dass Stigmatisierung als Waffe gegen die Erkrankten
eingesetzt wird. Das hat mich am meisten schockiert, öffentlich von Ärzten
als nicht zurechnungsfähig erklärt zu werden, nur weil man jetzt diese
Krankheit hat und darüber redet.
Öffentliche Expert*innen-Anhörung im Gesundheitsausschuss zur ME/CFS und
Long Covid: 20.11. um 17 Uhr. Die Anhörung kann im [8][Livestream der
Hamburgischen Bürgerschaft] verfolgt werden.
20 Nov 2025
## LINKS
[1] /Forschungsgelder-fuer-ME/CFS-Versprechen-gebrochen/!6120168
[2] https://www.fatigatio.de/aktuelles/detail/anhoerung-gesundheitsausschuss-ve…
[3] https://www.bmg-longcovid.de/en/service/citizens-hotline-and-regional-clini…
[4] https://www.mecfs.de/aktivierung-bei-mecfs/
[5] /Burnout/!t5032856
[6] /ME/CFS-und-Fussball/!6106303
[7] /Pflegegrad-1-soll-abgeschafft-werden/!6114959
[8] https://www.hamburgische-buergerschaft.de/aktuelles/ausschusssitzungen-live
## AUTOREN
Ilka Kreutzträger
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