| # taz.de -- Google in Berlin: Am Ende gewinnt Goliath | |
| > In Berlin-Mitte drängt Google einen Mieter vor die Tür. Der Gastronom | |
| > kann sein Restaurant erst wegen Bauarbeiten nicht mehr betreiben, dann | |
| > wird er geräumt. | |
| Bild: Restaurantbesitzer Shaul Margulies in seinem House of Small Wonder | |
| „Meine Situation in den letzten sechs Jahren ist wie Krebs. Dieser Fall ist | |
| mein Krebs“, beschreibt der Gastronom Shaul Margulies seine Geschichte. Als | |
| Margulies vor über 10 Jahren zusammen mit seiner Frau zwei Restaurants – | |
| das japanische Zenechi und das House of Small Wonders – im Johannishof in | |
| Mitte eröffnete, machten sich die Läden schnell einen Namen in der | |
| Nachbarschaft. „Mit beiden zusammen konnten wir am Wochenende insgesamt 700 | |
| bis 800 Gäste bewirten“, erinnert sich Margulies. | |
| Doch von dem charmanten Altbau-Geschäftsort mit seiner bekannten | |
| Wendeltreppe sollte keine Rede mehr sein. Das Landgericht Berlin entschied | |
| am 2. Dezember, dass Margulies das Gebäude verlassen muss. Nach mehreren | |
| Betriebsunterbrechungen, rechtlichen Auseinandersetzungen und dem | |
| vorübergehenden Umzug der Restaurants wird Margulies nun vom neuen | |
| Eigentümer des Gebäudes vertrieben – dem IT-Riesen Google. | |
| Die Probleme begannen 2019, als [1][Google] genau jenes Gebäude kaufte, in | |
| dem Margulies seine Restaurants betrieb. Der multinationale Konzern hatte | |
| schon 2018 versucht, einen „Google Campus“ im Kreuzberger Umspannwerk zu | |
| errichten. Nach massiven Protesten und einer Besetzung gab Google jedoch | |
| auf und ließ sich 2019 in der Tucholskystraße in Mitte nieder. Für Google | |
| dient also das Gebäude in der Johannisstraße, direkt hinter dem | |
| Friedrichstadtpalast, als Erweiterung seiner Berliner Zentrale. | |
| Zunächst sollten in dem Gebäude nur „ein paar Umbaumaßnahmen“ durchgefü… | |
| werden, um die Räumlichkeiten an die „internen Designstandards“ von Google | |
| anzupassen, so Thomas H., Real Estate Executive Manager des Unternehmens, | |
| in einer E-Mail an Margulies. Die Fläche des Restaurants sei davon | |
| „natürlich nicht betroffen“, hieß es weiter. | |
| Videos und Fotos aus den Jahren 2020 bis 2024 zeigen etwas anderes. Auf den | |
| Bildern sind schmutzige Tische zu sehen, aus den Dächern tropft Wasser, da | |
| Wasserrohre geborsten sind. Vor dem Eingang und dem Innenhof liegen Taschen | |
| mit Chemikalien. Der einst öffentliche Hof und das helle Atrium wurden im | |
| Zuge der Sanierungsarbeiten in eine Baustelle umgewandelt. Die Fenster des | |
| Restaurants sind blockiert, der Haupteingang ist durch die Gerüste der | |
| Baustelle versperrt. | |
| ## Umstrittene Drohungen | |
| Mit Beginn der Bauarbeiten muss das Restaurant ab November 2020 für mehrere | |
| Monate schließen. Daraufhin beginnen Verhandlungen zwischen Margulies und | |
| seinen Vermietern über die Gestaltung des Mietverhältnisses. Dabei ging es | |
| um eine Mietminderung sowie eine mögliche Abfindung in Höhe von 2,3 | |
| Millionen Euro im Falle eines Auszugs Margulies' aus dem Restaurant. Im | |
| Februar 2021 ist das „House of Small Wonders“ vorübergehend in die | |
| Auguststraße umgezogen. Margulies hoffte jedoch weiterhin, wieder in den | |
| Johannishof einzuziehen, und möchte seinen Mietvertrag bis zum Ende der | |
| Laufzeit im Jahr 2032 behalten. Doch nach einem Telefonat zwischen ihm und | |
| Thomas H. beendete Google die Gespräche abrupt. | |
| Auf dieses Telefonat und vier weitere Interaktionen stützt Google im Sommer | |
| 2022 seine Räumungsklage. Der Grund: ein angeblich aggressives Verhalten | |
| seitens des Gastronomen. Mitte November fand die Verhandlung über das | |
| Telefongespräch und die damit zusammenhängende Räumungsklage statt. Vor dem | |
| Landgericht Berlin sagte Thomas H. aus, er habe sich von Margulies bedroht, | |
| verängstigt und unter Druck gesetzt gefühlt. Sogar um seine Familie habe er | |
| gefürchtet. Margulies soll gesagt haben: „You put your life in danger.“ | |
| Margulies widerspricht. Er habe über Drohungen gegen sein eigenes Leben | |
| gesprochen. „Ich habe ihn um Mitgefühl gebeten. Ich war frustriert, | |
| emotional – die Situation war extrem belastend“, erklärte er. Er müsse in | |
| den kommenden Tagen 180.000 Euro Schulden begleichen und die Gehälter | |
| seiner 77 Angestellten bezahlen. Als die Befragung ins Stocken gerät, | |
| stellt die Verteidigung die Glaubwürdigkeit des Zeugen Thomas H. infrage. | |
| Auch die Bitten von Margulies Anwälten, dem Gericht Videos der Bauarbeiten | |
| sowie Aufnahmen des aktuellen Zustands des Gebäudes zu zeigen, bleiben | |
| erfolglos. Margulies wird verurteilt, die von ihm gemieteten Etagen zu | |
| räumen. „Es ist verrückt. Diese ganze Situation übersteigt bei Weitem mein | |
| Verständnis“, sagte Margulies niedergeschlagen, als er nach der | |
| Urteilsverkündung das Gericht verließ. Von Google soll er 137.000 Euro und | |
| Zinsen erhalten, heißt es im Urteil. Seine Schulden belaufen sich nach | |
| seinen Angaben allerdings auf über zwei Millionen Euro – etwa für | |
| Anwaltskosten, Entschädigungszahlungen an die Mitarbeiter sowie | |
| Betriebskosten. | |
| Ob und wie er das „House of Small Wonders“ weiterführen wird, weiß er noch | |
| nicht. Der Betrieb am neuen Standort sei bei Weitem nicht so erfolgreich | |
| wie am alten, sagt er. Margulies Restaurant Zenechi hat die Coronakrise und | |
| die Suche nach einer neuen Location nicht überlebt. | |
| 8 Dec 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.tagesspiegel.de/berlin/google-erweitert-seine-berliner-zentrale… | |
| ## AUTOREN | |
| Gabrielle Meton | |
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