| # taz.de -- Waffenruhe im Gazastreifen: Der Gazastreifen bleibt ein Pulverfass | |
| > Trotz der Eskalation der letzten Tage positionieren sich Israel wie die | |
| > Hamas für die zweite Phase der Waffenruhe. Als Nächstes soll Gazas | |
| > Verwaltung verhandelt werden. | |
| Bild: Deir al-Balah, Gazastreifen, 29. Oktober: Zeltlager nach einem Angriff de… | |
| Wieder einmal haben die USA die neueste Eskalation im Gazastreifen | |
| gedeckelt. Nach einem toten israelischen Soldaten in Rafah und | |
| darauffolgenden israelischen Angriffen mit über 100 toten Palästinensern in | |
| nur einer Nacht, erklärte die israelische Armee am Mittwochvormittag ihre | |
| Operation als beendet. Und auch wenn US-Präsident Donald Trump erneut | |
| erklärt, dass der Waffenstillstand halten wird, wachsen die Zweifel, ob die | |
| erste Phase des Gaza-Abkommens das tatsächlich auch tun wird. Denn längst | |
| ist noch nicht alles geschehen, was dafür vereinbart war. | |
| Noch sind nicht alle Leichen der israelischen Geiseln geborgen. Am | |
| Wochenende wurde von der Hamas eine angeblich sechzehnte Leiche an Israel | |
| übergeben, von insgesamt 28, die laut Abkommen überstellt werden müssen. | |
| Doch nach der Identifizierung der Überreste stellte sich heraus, dass es | |
| sich um weitere Leichenteile von Ofir Tsarfati handelte – einer Geisel, die | |
| vor zwei Jahren von der israelischen Armee im Gazastreifen teilweise | |
| geborgen worden war. | |
| Das israelische Außenministerium veröffentlichte außerdem ein Drohnenvideo, | |
| das wohl zeigt, wie Hamas die Überreste erneut vergräbt, um den Ort dann | |
| dem Roten Kreuz zu präsentieren. [1][Das Rote Kreuz verurteilte das | |
| Vorgehen der Hamas.] | |
| Von israelischer Seite wird des Weiteren argumentiert, dass die Hamas die | |
| Überstellung der toten Geiseln verzögert, bevor die Diskussion um deren | |
| Entwaffnung beginnt. Die Hamas wolle Zeit gewinnen, um [2][ihre Macht im | |
| Gazastreifen, auch gegen Rivalen, wieder voll zu etablieren.] | |
| Die Hamas betonte dagegen weiter, dass sie sich dem Gaza-Abkommen | |
| verpflichtet fühlt und begründet die Verzögerung der Übergabe der Leichen | |
| damit, dass es schwierig ist, sie zu finden. Seit dem Wochenende ist auch | |
| ein ägyptisches Team mit schwerem Gerät im Gazastreifen im Einsatz, um bei | |
| der Suche und Bergung zu helfen. Genehmigt wurde das vom israelischen | |
| Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu persönlich. Es ist das erste Mal, | |
| dass an der Suche nach den Überresten der Geiseln eine andere Partei | |
| beteiligt ist, als die Hamas. | |
| ## Auch Israel hält sich nicht an die Waffenruhe | |
| Auch Israel hält die Bedingungen der Waffenruhe nicht ein. Noch vor der | |
| letzten Eskalation berichtete das Gesundheitsministerium in Gaza, dass seit | |
| Beginn des Waffenstillstands bereits 88 Palästinenserinnen und | |
| Palästinenser im Gazastreifen getötet worden seien. Die israelische Armee | |
| argumentiert, dass diese sich Armeepositionen bedrohlich genährt haben | |
| sollen. Sie ist noch in über der Hälfte des Territoriums des Gazastreifens | |
| präsent. Oft haben die Menschen wohl versucht, in ihre Häuser in noch | |
| israelisch kontrolliertem Gebiet zurückzukehren. Es herrscht für viele | |
| Palästinenser Unklarheit, wo genau die Zone beginnt, die sie nicht betreten | |
| sollen. | |
| Am 18. Oktober eröffnete beispielsweise ein israelischer Panzer das Feuer | |
| auf einen Bus, in dem eine Familie saß, die im Zeitoun-Viertel von | |
| Gaza-Stadt nachsehen wollte, was mit ihrem Haus geschehen war. Elf | |
| Mitglieder einer Familie wurde dabei getötet, darunter sieben Kinder. Die | |
| israelische Armee hat nun gedroht, das Territorium, auf dem sie im | |
| Gazastreifen präsent ist, auszuweiten – wenn Hamas die verbliebenen | |
| Überreste der Geiseln nicht zügig übergibt. | |
| Ein weiterer Aspekt des Abkommens, der seitens Israel nicht eingehalten | |
| wird: Ausgemacht war, [3][die Gaza-Hilfslieferungen wieder auf etwa 500 bis | |
| 600 LKWs am Tag hochzufahren]. Doch davon sind die Lieferungen noch weit | |
| entfernt. „Wir sehen derzeit zwischen 220 und 250 LKWs. Es bräuchte | |
| mindestens 600 LKWs, wie in der Vorkriegszeit, um den Gazastreifen mit dem | |
| nötigsten zu versorgen. Bei der derzeitigen Notlage bräuchte es eigentlich | |
| 800 bis 900 LKWs am Tag“, sagt Roland Friedrich, der deutsche Koordinator | |
| des UN-Palästinenser-Hilfswerkes UNWRA, im Gespräch mit dieser Zeitung. | |
| „Die Masse der Abfertigung laufe immer noch über einen einzigen Übergang in | |
| Kerem Shalom“, führt er aus. Es brauche dringend eine Öffnung der anderen | |
| Übergänge, fordert er. Daneben kämpfen die Hilfsorganisationen mit | |
| israelischen Restriktionen. Manche Güter – wie Windeln und Hygiene-Pakete | |
| für Frauen – dürften beispielsweise weiter nicht eingeführt werden, erzäh… | |
| er. Und das, obwohl der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag letzte | |
| Woche in einem Gutachten noch einmal betont hat, dass Israel als | |
| Besatzungsmacht die Verpflichtung hat, die Bevölkerung zu versorgen. | |
| ## Wer soll den Frieden sichern im Gazastreifen? | |
| Trotz aller anhaltenden Hürden der ersten Phase des Gaza-Deals | |
| positionieren sich alle Seiten für die Gespräche um die Zukunft des | |
| Gazastreifens. Die USA haben eine sogenanntes „Ziviles und Militärisches | |
| Koordinationszentrum“ gebildet, das den Waffenstillstand überwachen und den | |
| Einsatz internationaler Truppen vorbereiten soll, die die Lage im | |
| Gazastreifen stabilisieren soll. Darin soll es auch eine deutsche, | |
| französische, britische, kanadische, griechische und jordanische Präsenz | |
| geben. | |
| Im Gespräch ist auch, welche Länder internationale Truppen stellen könnten. | |
| US-Außenminister Marco Rubio betonte, dass daran nur Länder beteiligt sein | |
| sollten, mit denen Israel kein Problem hat. Einer der Stolpersteine scheint | |
| hier die Türkei zu sein, die sich grundsätzlich dazu bereit erklärt hat. | |
| Das stößt aber auf israelische Opposition. Das politische Problem dabei: | |
| Die Türkei ist zusammen mit Ägypten und Katar einer der Regionalstaaten, | |
| die im ägyptischen Scharm El-Scheich als Garant für die erste Phase des | |
| Abkommen zusammen mit Donald Trump unterschrieben haben. Um nicht selbst | |
| als verlängerte Arm der israelischen Besatzung angesehen zu werden, sollten | |
| bei der geplanten internationalen Truppenpräsenz auch arabische und | |
| islamische Länder beteiligt werden. | |
| Die arabischen und islamischen Kandidaten fordern ein klar definiertes | |
| UN-Mandat. „Was ist das Mandat dieser Truppen?“, fragte etwa der | |
| jordanische König Abdullah in einem BBC-Interview. „Wir hoffen, dass es | |
| sich dabei um Sicherung des Friedens handelt und nicht um dessen | |
| Durchsetzung. Den dieses heiße Eisen wird niemand anfassen wollen“, | |
| erklärte er. | |
| ## Welche Rolle die Palästinenser selbst spielen sollen | |
| Auch andere Pläne für die zweite Phase dringen an die Öffentlichkeit. Die | |
| USA arbeiten zusammen mit Israel an einem Plan, den Gazastreifen in zwei | |
| Teile aufzuteilen. In dem von der israelischen Armee kontrollierten Teil | |
| soll der Wideraufbau bald beginnen. Im anderen soll das erst geschehen, | |
| wenn die Hamas dort die Kontrolle abgegeben hat. Ein Schritt, der mit einem | |
| Zuckerbrot die Bevölkerung in Gaza dazu bringen soll, sich endgültig von | |
| der Hamas abzuwenden. | |
| Die Hamas bereitet sich allerdings ebenfalls auf die zweite Phase des | |
| Abkommens vor. Für die zukünftigen Verhandlungen soll eine gemeinsame | |
| palästinensische Position gefunden werden. Dazu diente auch ein sogenanntes | |
| palästinensisches Dialog-Treffen, das letzten Freitag in Kairo stattfand. | |
| Hamas hatte sich dort mit anderen palästinensischen Parteien | |
| zusammengesetzt, unter anderem auch mit Vertretern der palästinensischen | |
| Autonomiebehörde. | |
| In einer gemeinsamen Erklärung wurde beschlossen, darauf hinzuarbeiten, | |
| dass die Hamas im Gazastreifen ihre Verwaltungsmacht an eine Regierung | |
| palästinensischer Technokraten übergibt. Alle palästinensischen Seiten | |
| seien dem Waffenstillstand verpflichtet und wollen darauf hinarbeiten, die | |
| Blockade des Gazastreifen zu beenden, heißt es in der Kairoer Erklärung. | |
| In einem Interview mit dem katarischen Fernsehsender Al-Jazeera erklärte | |
| der [4][oberste Hamas-Unterhändler Khalil Al-Haya] anschließen: Es gäbe | |
| keine Einwände, „alle administrativen Zuständigkeiten in Gaza | |
| einschließlich der Sicherheitsverantwortung an eine technokratische | |
| Regierung zu übergeben.“ Man sei sich einig, dass internationale Truppen | |
| die israelische und palästinensische Seite trennen und die Waffenruhe | |
| überwachen sollen. Und „die Aufgabe dieser internationalen Mission“ soll | |
| darin bestehen, „den Wiederaufbau Gazas zu ermöglichen“. Sie dürfe aber | |
| nicht der verlängerte Arm der israelischen Besatzung sein. | |
| [5][Zur Frage der Entwaffnung der Hamas, die im Gaza-Abkommen ebenfalls | |
| festgeschrieben steht], bliebt der Hamas-Unterhändler vage: „Unsere Waffen | |
| sind an die Existenz der Besatzung gebunden“, sagte er. „Wenn die Besatzung | |
| endet, werden diese Waffen dem Staat gehören.“ Die Frage der Waffen werde | |
| noch mit den palästinensischen Fraktionen und internationalen Vermittlern | |
| besprochen. | |
| ## Netanjahu möchte keinen palästinensischen Staat | |
| All das widerspricht der Position der israelischen Regierung. Netanjahu | |
| möchte die Sicherheitskontrolle über den Gazastreifen behalten. Im Moment | |
| ist im Gespräch, die derzeit 52 Prozent des Territoriums des Gazastreifens, | |
| das von der israelischen Armee kontrolliert wird, auszuweiten. Israels | |
| Premier Benjamin Netanjahu möchte keine Beteiligung der palästinensischen | |
| Autonomiebehörde an der Verwaltung des Gazastreifens. Er möchte verhindern, | |
| dass nur der Anschein entsteht, der Deal könne am Ende in einem | |
| palästinensischen Staat münden. | |
| [6][Nun ist es an den USA und an den regionalen Garantie-Staaten Ägypten, | |
| Türkei und Katar, Druck auf alle Seiten auszuüben]: Dass die Bedingungen | |
| der ersten Phase des Abkommens tatsächlich eingehalten werden und dass es | |
| dann ernsthafte Verhandlungen über die zweite Phase gibt. Denn eines haben | |
| die ersten drei Wochen der ersten Phase und vor alle die letzten Tage | |
| deutlich gemacht: Der Status quo – in dem die israelische Armee in mehr als | |
| der Hälfte Gazas präsent ist und Israel Hilfslieferungen nicht ausreichend | |
| zulässt, und die Hamas die Rückführung der toten Geiseln verzögert – ist | |
| nicht nachhaltig. Und macht den Gazastreifen zu einem unberechenbaren | |
| Pulverfass. | |
| 29 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.icrc.org/en/statement/israel-and-occupied-territories-icrc-resp… | |
| [2] /Macht-in-Gaza/!6119226 | |
| [3] /Ueber-die-humanitaere-Lage-im-Gazastreifen/!6115541 | |
| [4] /Luftangriff-in-Katar/!6109263 | |
| [5] /Frieden-in-Nahost/!6116474 | |
| [6] /Trumps-Gaza-Plan/!6117984 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim El-Gawhary | |
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