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# taz.de -- Theater über Digital-Nerds: Blass im Bildschirmlicht
> „Sieben Wege, Kylie Jenner zu töten“ gelingt es in Wilhelmshaven nicht,
> Spannung aufzubauen. Das Stück braucht woanders eine zweite Chance.
Bild: Irgendwie geht es ums Virtuelle und Reale, aber wer die Codes der Cyberwe…
Die Bühne liegt im Funzellicht des Handys, von dem alle magisch angezogen
sind und das, was auf dem Display erscheint, zum Lebensmittelpunkt
erklären. Für den Alltag wird daher nicht viel mehr gebraucht. Das sich zur
Zuschauertribüne öffnende Zimmer des Fertighaus-schäbigen Bühnenbilds ist
daher auch nur mit einer Matratze ausgestattet, auf der die Studentin Cleo
auf ihr Handy starrt. Wenn sie sich erhebt, steht ihr Körper steif verloren
im Raum, die Mimik gleicht einem übellaunigen Smiley.
Zwei Fenster lassen sich öffnen, dahinter befinden sich zwei weitere Räume
– mit reflektierender Fläche zur Selbstbespiegelung, einem
Sonnenaufgangsposter und uralt wirkenden Bildschirmen, auf denen
Online-Chats im Design des vorigen Jahrhunderts fixiert sind.
Ein wirkliches Draußen scheint es nicht zu geben. Cleo und ihre plötzlich
auftretende Freundin Kara streiten sich auch vor allem über das, was sie in
den sozialen Medien wahrgenommen haben. Keine Frage, „Sieben Wege,
[1][Kylie Jenner] zu töten“ ist ein Stück über Digital Native Nerds – und
„Abiturstoff im Fach Englisch“. So weist die Landesbühne Niedersachsen Nord
auf das angepeilte Publikum hin.
Die Sitcom-geschulte Dialog-Rasanz der 21-jährigen Autorin Jasmine
Lee-Jones wurde 2019 am Royal Court Theatre in London uraufgeführt, ging
viral, wurde auch mit mehreren Preisen bedacht und war zudem analog ein
Erfolg an der Theaterkasse. Beeindruckend, dass Wilhelmshaven die Rechte
für die deutschsprachige Erstaufführung – Übersetzung: Enis Maci – erwer…
konnte.
## Millionen mit Mode
Das Thema konkretisiert Cleo aggressiv bockig gleich zu Beginn.
„@Forbesmagazin: Kylie Jenner wird, 21-jährig, zur jüngsten
Selfmade-Milliardärin aller Zeiten #ForbesMilliardäre. Kylie Jenner …
21-jährig …? … Self-made? @Incognero: weiße Frau aus reicher amerikanisch…
Familie wird iwie, völlig unerwartet, noch reicher … Wie tötet man sie: ne
Einfluss- und Unternehmerin, genauer: ne reizende Trickbetrügerin?“
Also, was ist das Thema? Wer Lebenszeit nicht in sozialen Medien verbringt,
wird völlig zu Recht noch nie etwas von Kyile Jenner gehört haben, weil sie
nichts getan hat, was die Welt nur ein klitzekleines bisschen schöner,
besser, menschlicher werden lässt. Sie ist lediglich ihre eigene
Werbe-Ikone, zieht als Influencerin Millionen Follower heran und macht sie
glauben, unbedingt Mode und Kosmetika bestellen zu müssen, die unter ihrem
Namen verkauft werden.
So weit, so kapitalistisch okay. Dabei aber reichlich Profit mit der
[2][Aneignung Schwarzer Kultur] und Stereotypen gemacht zu haben, sorgt für
Kritik. Konkret ist Cleo empört, dass Jenner mit Frisuren wirbt, die sie
der afroamerikanischen Kultur abgeschaut hat, und volle Lippen zur Mode
macht, indem sie das Aufspritzen mit giftigen Fillern propagiert.
Ein Merkmal, das bei ihr, der weißen Online-Unternehmerin, als erotisch
schön, bei schwarzen Frauen aber als hässlich wahrgenommen wird und ein
Grund für Stigmatisierung ist. Cleo fordert heraus, sich mit der Heuchelei
auseinanderzusetzen, wenn Identität zum Kostüm wird.
## Shitstorm und Cybermobbing
Klara findet dieses „Social-Justice-Dings“ übertrieben, die Freundin bleibt
bitterernst dabei, denn für sie prallen „die systematische historische und
zeitgenössische Entmenschlichung des Schwarzen weiblichen Körpers und der
regelrechte Götzendienst an Weißer Weiblichkeit in gewalttätigen
hegemonialen Weißen Infrastrukturen aufeinander.“
Als radikale Online-Aktivistin will Cleo mit der Anti-Jenner-Kampagne gegen
die Ausbeutung und Diskriminierung Schwarzer Weiblichkeit, Kolorismus,
Blackfishing, strukturellem Rassismus, Frauenfeindlichkeit und so weiter
protestieren. Die Aufmerksamkeit ist groß und damit Cleos naive Freude,
gelesen und gesehen zu werden.
Es folgt mit Social-Media-Logik: ein Shitstorm. [3][Cybermobbing]. Wobei
der geneigte Zuschauer nicht alles davon versteht, weil originalgetreu zu
dem Jargon und den Codes der Internet-Junkies auch noch die in Postings
benutzten Abkürzungen vorkommen, die im Programmheft auf einer Doppelseite
erklärt werden müssen. Zur Erheiterung und Stimmungslockerung gibt es aber
auch einen Austausch über Männer und vor allem über „Schwänze“ sowie die
Frage: „Ist das Wort „runterholen“ eigentlich genderneutral“ – oder m…
wir „masturbieren“ sagen?
Das hitzig-bissige Hin und Her der Stummelsätze inszeniert Pia Kröll
überraschend langsam und spannungslos. Sie findet auch keinen
wirkungsvollen Umgang mit der Verschmelzung von virtueller und realer Welt.
Sprech- und Spielkultur sowie Figurenentwicklung bleiben einfach blass. Die
Aufführung ist auf vielen Ebenen deutlich unter Stadttheaterniveau. Das
Stück braucht unbedingt eine zweite Chance an einem anderen Theater.
10 Oct 2025
## LINKS
[1] /Kylie-Jenner/!t5283886
[2] /Wir-verhelfen-Schwarzer-Kultur-zu-mehr-Sichtbarkeit/!5986878/
[3] /Cybermobbing/!t5037886
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Influencer
Kylie Jenner
Wilhelmshaven
Theater
Social Media
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