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# taz.de -- Hintergründe des Umsturzes in Madagaskar: Hitzige Stimmung überal…
> Unmut über schlechte Politik nimmt in Zeiten des Klimawandels zu,
> Regierungen verlieren die Macht. In Madagaskar will Frankreich das
> Geschehen lenken.
Bild: Madagaskars neue Machthaber vor dem Präsidentenpalast in Antananarivo, D…
Berlin taz | Als Delegierte aus 15 Anrainerstaaten des Indischen Ozeans,
von Indien bis Südafrika, am Montag auf der französischen Insel Réunion zum
viertägigen Workshop der IORA (Indian Ocean Rim Association) über
[1][„Stärkung des Umgangs mit Risiken in Katastrophen“] zusammenkamen,
ahnten sie nicht, welche Risiken gerade ganz echt um sie herum dräuten.
Madagaskars Präsident Andry Rajoelina, bedrängt von einer Revolte der
Jugend, war am Vortag von Frankreichs Militär aus seinem Präsidentenpalast
geholt und nach Réunion gebracht worden, auf dem Weg zum Exil in Dubai.
Möglicherweise waren manche IORA-Katastrophenschützer bei ihrer Einreise am
Flughafen Roland-Garros auf Réunion am Sonntag ungewollt Zeugen der
hochgeheimen Flucht, zu der sich Rajoelina erst am späten Montagabend in
einem Internetvideo bekannte. Um das Machtvakuum in Madagaskar zu füllen,
trat am späten Dienstag Oberst Michael Randrianirina mit vier Kameraden vor
die Kameras und erklärte Rajoelina für abgesetzt.
Bei der Eröffnung des IORA-Gipfels am Montag verlor Réunions französischer
Präfekt Patrice Latron über die dramatischen Ereignisse kein Wort. Er
betonte seine drei Regeln des Risikomanagements: antizipieren, indem
menschliche und materielle Ressourcen rechtzeitig verfügbar sind;
reagieren, indem direkt in den ersten Stunden einer Krise gehandelt wird;
koordinieren, indem die Länder des Indischen Ozeans sich eng mit Paris
absprechen.
Bezogen auf den Umsturz in Madagaskar, ergeben diese technischen Hinweise
im Nachhinein eine außenpolitische Positionierung. Frankreich sieht sich
als Führungsmacht im westlichen Indischen Ozean in allen Bereichen, von
humanitärer Hilfe bei Wirbelstürmen bis zur Regelung politischer
Erschütterungen. Nachdem er den IORA-Workshop eröffnet hatte, wurde Latron
am Montag in [2][einem TV-Interview] zur Lage im 900 Kilometer entfernten
Madagaskar mit der Aussage zitiert, man sei „wachsam“ und es gebe „Pläne
für den Fall, dass etwas passiert“.
## „Exfiltration“ als Risikomanagement
Erst in Reaktion auf diese versteckte Ankündigung einer Militärintervention
und erste französische Meldungen über Rajoelinas Flucht meldete sich vom
Rand des Gaza-Gipfels in Ägypten Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu
Wort. Er werde nichts bestätigen, warnte er, aber seine „oberste Priorität�…
sei die „Freundschaft Frankreichs mit dem madegassischen Volk“. Frankreich,
so scheint es, hat den geräuschlosen Machtwechsel in Madagaskar nicht nur
geduldet, sondern befördert – Risikomanagement im Sinne von Präfekt Latron.
Denn Rajoelinas „Exfiltration“ deeskalierte die sich zuspitzende
Konfrontation in Madagaskar, seit Oberst Randrianirina, Kommandant einer
Eliteeinheit, sich am Samstag [3][in einer öffentlichen Erklärung] gegen
den Präsidenten gestellt hatte. Damit es nicht aussieht wie ein Putsch, auf
den internationale Strafmaßnahmen folgen müssten, wurde eine Kulisse der
Legalität errichtet.
Madagaskars Parlament trat am Dienstag zusammen und setzte Rajoelina ab.
Der dekretierte aus Dubai heraus die Auflösung des Parlaments. Das
Parlament rief das Verfassungsgericht an. Dieses stellte fest, wegen
Rajoelinas Abgang sei das oberste Staatsamt vakant, und bat „die
zuständigen militärischen Autoritäten, verkörpert durch Oberst Michael
Randrianirina, zur Wahrnehmung der Funktionen des Staatschefs“. Der Oberst
hat nun das Parlament wieder eingesetzt und alle anderen Institutionen
suspendiert.
## Madagaskar, eine einzigartige Insel
Madagaskar ist ein Unikum: die älteste Insel der Welt seit der Separation
von Indiens Landmasse vor 90 Millionen Jahren, mit einer entsprechend
einzigartigen Natur. Zwei Prozent aller Mangroven und Korallenriffe der
Welt befinden sich an Madagaskars Küsten und trennen einige der
fischreichsten Gewässer der Erde von einem Land von Vanille und Nelken, mit
seltenen Mineralien unter der Erde und Regenwäldern voller Tiere und
Pflanzen, die es sonst nirgends gibt.
Kaum ein Land auf der Welt hat solche natürlichen Reichtümer, kaum eines
geht so sorglos damit um. In den letzten Jahrzehnten hat skrupelloser
Raubbau Madagaskar verwüstet. Weite Landstriche sind nur noch Steppe, das
Gros der Bevölkerung lebt in bitterer Armut. Rajoelina wurde als Präsident
zum reichsten Mann Madagaskars, während sein Volk verelendet.
Dass Madagaskar die größten Dürren und Hungersnöte seit Jahrzehnten
erleide, sei nicht seine Schuld, sagte Rajoelina erst vor einem Jahr.
„Fakten außerhalb unseres Willens“ seien der Grund, warum die Menschen
weder Wasser noch Strom hätten, erklärte er und behauptete, er wolle „dem
Volk die Wahrheit sagen“.
Es ist nur die halbe Wahrheit. Fakt ist: Die Region des Indischen Ozeans
erlebt tatsächlich den globalen Klimawandel härter als andere Weltregionen.
„Viel schneller, als wir denken“, erwärmt sich das Meereswasser,
analysierte vergangenes Jahr [4][das Indische Institut für Tropische
Meteorologie in einer Studie]: das Tempo der Meereserwärmung sei dabei,
sich zu verdreifachen, von einer Rate von 1,2 Grad pro 100 Jahren im
Zeitraum 1950–2020 auf bis zu 3,8 Grad bis Ende dieses Jahrhunderts.
Statt 20 extrem heiße Tage pro Jahr seien dann über 200 zu erwarten und die
Mindestwassertemperatur an der Oberfläche werde konstant 28 Grad
übersteigen – der Wärmegrad, ab dem Extremwetterereignisse zur Normalität
werden.
Dies betrifft direkt zwei Milliarden Einwohner der Küstenregionen des
Indischen Ozeans, von Indonesien über Südasien bis Ostafrika. Unter ihnen,
warnt die indische Aga-Khan-Stiftung, befindet sich ein Großteil der
ärmsten Menschen der Erde.
„Früher gab es in Mosambik alle zwei bis vier Jahre einen Sturm, heute
jedes Jahr, und er zerstört alles, was sich die Leute aufbauen, und sie
müssen von vorn anfangen“, [5][erläuterte Stiftungsexpertin Apoorva Orza in
einem Interview]. „Nehmen wir ein Dorf in Indien, das früher 500 Millimeter
Regen im Jahr hatte, über das Jahr verteilt. Jetzt fallen die 500
Millimeter in wenigen Tagen, schwemmen die Erde weg, zerstören Ernten.“
## Verheerende Zyklone jedes Jahr
Um Madagaskar herum ist das gelebte Realität. Weit über 1.000 Menschen
fielen 2019 dem Zyklon „Idai“ zum Opfer, der sich über dem Meer zwischen
Mosambik und Madagaskar bildete und nacheinander in beiden Ländern, aber
vor allem in Mosambik Verwüstungen anrichtete. Ende 2024 traf der Zyklon
Chido frontal die zu Frankreich gehörende Komoreninsel Mayotte; Tausende
Tote wurden befürchtet, am Ende 39 geborgen, aber viele Menschen blieben
vermisst. Auch dieses Jahr haben Sturmfluten auf Madagaskar mehr Opfer
gefordert als die Unruhen der vergangenen Wochen.
Die Bevölkerung gibt sich immer weniger mit der Erklärung zufrieden, der
Klimawandel sei schuld und die Regierenden könnten nichts machen. Sie
verlangen gerade angesichts der Lage eine Politik, die die Katastrophen
nicht noch beschleunigt. [6][Auf den Seychellen] wurde am vergangenen
Wochenende die Regierung abgewählt – zu den vielen Gründen zählen
undurchsichtige Geschäfte mit Investoren aus Katar, die mit einem
Luxustourismusprojekt Korallenriffe und Meeresschildkröten gefährden.
2023 und 2024 gab es Erdrutschsiege der bisherigen Opposition auf Mauritius
und auf den [7][Malediven]. Mauritius hatte 2020 die [8][größten
Massenproteste seiner Geschichte] erlebt, nachdem ein Öltanker aus Japan
nahe zwei Meeresschutzgebieten havarierte.
Der Jugendaufstand in Madagaskar nahm sich jetzt die [9][Jugendproteste in
Kenia] zum Vorbild, die unter dem Schlagwort „Generation Z“ im Sommer 2024
auf die Straße gingen. Im benachbarten [10][Tansania], wo am 29. Oktober
Wahlen ohne ernsthafte Opposition stattfinden, haben vor Kurzem
unzufriedene Militärs zum Umsturz aufgerufen. In Mosambik sind
islamistische Rebellen im Norden des Landes, wo Frankreich Erdgas fördern
will, wieder in Aktion getreten. Die gesamte Region brodelt. Madagaskar
zeigt, wohin das führen kann.
16 Oct 2025
## LINKS
[1] https://www.maurice-info.mu/2025/10/14/strengthening-disaster-risk-governan…
[2] https://la1ere.franceinfo.fr/reunion/madagascar-ou-est-passe-le-president-a…
[3] https://x.com/africatodayMG/status/1977077261846163666
[4] https://www.downtoearth.org.in/climate-change/indian-ocean-is-heating-up-mu…
[5] https://akf.org/article/the-indian-ocean-how-can-coastal-communities-adapt-…
[6] /Machtwechsel-auf-den-Seychellen/!6119367
[7] /Stichwahl-in-den-Malediven/!5964212
[8] /Demonstrationen-nach-Oel-Katastrophe/!5706387
[9] /Kenianischer-Aktivist-ueber-Proteste/!6098194
[10] /Vor-den-Wahlen-in-Tansania/!6118000
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
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