Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Machtübernahme in Madagaskar: „Dies ist kein Putsch“
> Madagaskars Militär hat die Macht ergriffen. Die Soldaten unter Oberst
> Randrianirina müssen vor allem die „Gen Z“ zufriedenstellen.
Bild: 14. Oktober, Antananarivo in Madagaskar: Jubel über die Machtübernahme
taz | Jetzt also Madagaskar. Nach Mali, Burkina Faso, Guinea, Tschad, Niger
und Gabun hat nun innerhalb weniger Jahre das siebte ehemals von Frankreich
kolonisierte afrikanische Land einen [1][vom Militär bestimmten
Machtwechsel erlebt]. Oberst Michael Randrianirina stellte sich am Dienstag
auf die Stufen des Präsidentenpalastes in Madagaskars Hauptstadt
Antananarivo und verkündete seine Machtübernahme. Zum großen Jubel einer
von jungen Menschen getragenen Protestbewegung, die seit Ende September
massiv gegen den zivilen Präsidenten Andry Rajoelina auf die Straße
gegangen war.
[2][Die Protestbewegung] formierte sich im September gegen immer häufigere
Stromausfälle und wurde schnell größer. Sie nennt sich [3][„Generation Z�…
nach einer ähnlichen Jugendrevolte in Kenia vor einem Jahr und weiteren
solchen Aufstandsbewegungen, die sich mittlerweile von Marokko bis Nepal
bemerkbar machen. 22 Tote hat sie bereits zu beklagen. Dann stellte sich
überraschend am Samstag 11. Oktober das von Randrianirina geführte CAPSAT
(Armeekorps des administrativen und technischen Dienstpersonals), eine
logistische Schlüsseleinheit der Armee, öffentlich auf ihre Seite. Sie
erklärte, man werde keinen Schießbefehl ausführen. [4][Die Staatsmacht war
nackt.]
Am Sonntag bestieg Präsident Rajoelina [5][heimlich einen französischen
Militärhubschrauber und ließ sich auf die französische Insel Réunion
evakuieren], von wo aus es im Privatjet nach Dubai weiterging. Am Dienstag
stellte das Verfassungsgericht auf Antrag des Parlaments die Vakanz des
Präsidentenamtes fest und bat Oberst Randrianirina, zu übernehmen. Am
Freitag legte er vor dem Verfassungsgericht den Amtseid als „Präsident der
Neugründung der Republik Madagaskar“ ab.
Diese Bemühungen, die Form zu wahren, unterscheiden die Vorgänge auf
Madagaskar von den Militärputschen in Westafrikas Sahelstaaten, bei denen
frustrierte antifranzösische Offiziere die zivilen Politiker verhaften.
„Dies ist kein Putsch“, stellte der neue starke Mann Madagaskars denn auch
auf seiner ersten Pressekonferenz am Donnerstag klar. „Ein Putsch ist, wenn
Soldaten mit Waffen in den Präsidentenpalast eindringen, wenn sie schießen,
wenn Blut fließt.“ Er habe sich die Macht nicht „genommen“, sie wurde ihm
„gegeben“, und ein Militärregime werde er nicht errichten.
## „Wir müssen das System ändern“
Madagaskars Umsturz unterscheidet sich von den anderen auch dadurch, dass
er in Unterstützung einer zivilen Protestbewegung erfolgt. Gleich am
Mittwoch versammelte sich eine große Menschenmenge auf dem zentralen „Platz
des 13. Mai“ in der Hauptstadt und feierte. Mit Begeisterung sangen sie das
viral gegangene [6][Protestlied „Roraparaky“] über Madagaskars
Alltagsmisere des Rapmusikers Thiera Kougar, der [7][in einem Interview]
die „Revolution“ begrüßte. „Es war klar, dass es so enden musste“, sa…
der 37-Jährige, der früher für Rajoelina Wahlkampf machte und sich dann wie
so viele andere enttäuscht abwendete. „Das ist das Signal eines
historischen Wandels“, [8][rief auf der Kundgebung der Aktivist Tsivery
Harisoa Mao Tse Toung]: „Wir müssen das System ändern.“
Grund zum Wandel gibt es auf Madagaskar genug. Kaum ein Land auf der Welt
ist so heruntergewirtschaftet. Das Prokopfeinkommen liegt heute rund 40
Prozent unter dem ohnehin bescheidenen Niveau bei der Unabhängigkeit 1960,
die auf eine besonders brutale französische Kolonialherrschaft folgte.
Madagaskar, seit 90 Millionen Jahren eine Insel und damit Heimat einer
weltweit einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt mit einer der längsten
Tropenküsten voller Mangroven und Korallen, beutet seine natürlichen
Ressourcen hemmungslos aus, während die Bevölkerung zu 90 Prozent in Armut
lebt.
Eine mehrere Jahrzehnte währende sozialistische Militärdiktatur ab 1972
ließ die Wirtschaft kollabieren. Es folgten Instabilität und
Raubtierkapitalismus bis heute. Jedes zweite madegassische Kind ist
mangelernährt, nur eine Minderheit der Bevölkerung hat Strom und sauberes
Wasser. Die unzumutbaren Lebensbedingungen in weiten Teilen des ländlichen
Raums haben Landflucht und die Bildung eines perspektivlosen
Slumproletariats in den Städten begünstigt, ein fruchtbarer Nährboden für
Volksaufstände.
## Nationaler Dialog über die Probleme des Landes gefordert
Der neue Militärherrscher Michael Randrianirina stammt aus Madagaskars
südlichster und ärmster Provinz Androy. Sie ist Schauplatz brutal
niedergeschlagener Revolten sowohl gegen die Kolonialherrschaft als auch
später und inzwischen die Region des Landes mit den häufigsten
Hungerkatastrophen. Er hat nicht nur im Militär Karriere gemacht: von 2016
bis 2018 war er Gouverneur von Androy und er ist Militärbischof in der
Lutherischen Kirche Madagaskars. Die Insel wurde im 19. Jahrhundert
protestantisch missioniert, bevor es gegen Ende des Jahrhunderts vom
katholischen Frankreich erobert wurde; sein Protestantismus ist seither
Hort von Opposition, erst gegen die Kolonialherren, dann gegen Diktatoren.
Seine Militäreinheit CAPSAT war schon einmal Schlüsselakteur. 2009 führte
ihr Putsch gegen den damaligen Präsidenten Marc Ravalomanana zur ersten
Machtübernahme des damaligen Jungunternehmers Andry Rajoelina. Nun hat
CAPSAT Rajoelina, der 2019 und 2023 Wahlen gewann, wieder entmachtet.
Randrianirina selbst wurde Ende 2023 wegen eines mutmaßlichen
Putschversuches gegen Rajoelina verurteilt und entging damals einer langen
Haftstrafe nur durch ein schriftliches Versprechen, so etwas nicht nochmal
zu machen. Das hat er nun gebrochen, außer man nimmt seine Beteuerung „Dies
ist kein Putsch“ beim Wort. Davon, dass es „kein Putsch“ ist, hängt es a…
ab, ob Madagaskar unter Sanktionen gestellt wird, wie es bei
Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union und der SADC
(Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika) eigentlich üblich ist. Dann
wäre auch die gerade wieder angelaufene Finanzhilfe des Internationalen
Währungsfonds in Gefahr, die eigentlich den hochkorrupten staatlichen
Stromversorger Jirama sanieren soll – ein zentraler Wunsch der
Protestbewegung.
Nun hoffen die Akteure des zivilen Widerstands gegen Rajoelina, dass die
Akteure des militärischen Umsturzes den Weg öffnen für wahre Veränderung.
Sie fordern einen „nationalen Dialog“ über die Probleme des Landes und
einen zivilen Premierminister. „Die Generation Z hatte nicht nur
Forderungen zu Wasser und Strom, sie wollte das ganze politische System
verändern“, kommentiert die [9][Zeitung] L’Express, „aber sie dirigiert
offensichtlich nicht mehr.“ Die Militärs dürften jetzt aber nicht wie 2009
die Macht einer „politischen Mafia“ überlassen, heißt es in der
[10][Zeitung Madagascar Tribune]: „Es wäre verrückt, wenn die Generation Z
in ein paar Monaten für dieselben Forderungen erneut auf die Straße geht.“
18 Oct 2025
## LINKS
[1] /Politisches-Chaos-in-Madagaskar/!6120550
[2] /Proteste-in-Madagaskar/!6112805
[3] /Proteste-der-Generation-Z/!6114948
[4] /Politisches-Chaos-in-Madagaskar/!6120550
[5] /Militaerputsch-in-Madagaskar/!6116719
[6] https://www.youtube.com/watch?v=47pa9KAc-uI
[7] https://information.tv5monde.com/reelhp/2960955/madagascar-thiera-kougar-ar…
[8] https://midi-madagasikara.mg/tsivery-harisoa-mao-tse-toung-le-peuple-appell…
[9] https://www.lexpress.mg/2025/10/sans-gene.html
[10] https://www.madagascar-tribune.com/Echec-et-mat-contre-Rajoelina.html
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
wochentaz
Madagaskar
Militär
Generation Z
Soziale Bewegungen
GNS
Madagaskar
Madagaskar
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Generation Z
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nach Machtwechsel in Madagaskar: Regierung entzieht Ex-Präsidenten die Staatsb…
Die neue Regierung im Madagaskar hat dem Ex-Präsidenten Andry Rajoelina die
Staatsbürgerschaft entzogen – wegen seiner französischen
Staatsangehörigkeit.
Hintergründe des Umsturzes in Madagaskar: Hitzige Stimmung überall am Indisch…
Unmut über schlechte Politik nimmt in Zeiten des Klimawandels zu,
Regierungen verlieren die Macht. In Madagaskar will Frankreich das
Geschehen lenken.
Madagaskars Präsident geflohen: Frankreich zeigt sich erneut von seiner imperi…
Madagaskars Präsident Andry Rajoelina wurde durch einen französischen
Hubschrauber zur Flucht verholfen. Fremde Einflussnahme kann Macron darin
nicht erkennen.
Proteste der Generation Z: Gen Zs aller Länder, vereinigt euch
In Nepal, Marokko, Madagaskar, Bangladesch und anderswo demonstrieren
Bewegungen unter dem Banner der Gen Z. Es ist ein weltweiter Aufstand der
Jungen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.