| # taz.de -- Buch über den Pelicot-Prozess: Diskutieren ohne Männer | |
| > Bei der Buchpremiere von „Mit Männern leben“ über den Pelicot-Prozess | |
| > wurde deutlich: Sexuelle Gewalt empört vor allem Frauen. | |
| Bild: Ohne ein Umdenken der Männer geht es nicht | |
| An einem Punkt des Gesprächs im Cinema Paris vergangene Woche wird die | |
| französische Philosophin Manon Garcia sehr deutlich: „Genug mit den | |
| Frauen“, sagt sie. „Das Problem sind die Männer und nicht wir.“ | |
| Mit diesem „wir“ sprach sie fast alle im Saal an: Die weiblich lesbaren | |
| Zuschauer im ausverkauften großen Kinosaal des Cinema Paris waren deutlich | |
| in der Überzahl. Auch das Podium war ausschließlich weiblich lesbar | |
| besetzt: Neben Garcia saß die Rechtsanwältin Christina Clemm, moderiert | |
| wurde das Gespräch von der Journalistin Stephanie Rohde. | |
| Es hätte ein harmonischer, solidarischer Abend sein können – wäre da nicht | |
| das Thema gewesen: sexualisierte Gewalt. Eine existenzielle Bedrohung, die | |
| jede Frau treffen kann. Doch weibliche Solidarität allein reicht nicht, um | |
| sie zu bekämpfen. Auch Männer müssen sich engagieren – denen scheint das | |
| jedoch herzlich egal zu sein. Dieser Abend machte das erneut schmerzhaft | |
| deutlich. | |
| Anlass des Gesprächs war die Premiere von [1][Manon Garcias Buch] „Mit | |
| Männern leben – Überlegungen zum Pelicot-Prozess“. Garcia reiste nach | |
| Avignon, um einen der aufsehenerregendsten Prozesse zu sexueller Gewalt der | |
| vergangenen Jahre zu verfolgen. Ihre Beobachtungen und Gedanken hielt sie | |
| in diesem Buch fest. | |
| Der Fall ist monströs: Gisèle Pelicot wurde jahrelang von ihrem Mann | |
| betäubt, von ihm und fast 70 weiteren Männern vergewaltigt und dabei | |
| gefilmt. Selten zog ein Fall von sexueller Gewalt so viel Aufmerksamkeit | |
| auf sich. [2][Gisèle Pelicot] wurde als Heldin gefeiert, fast alle Täter | |
| verurteilt. Doch so erschütternd der Fall ist, Garcia betont in ihrem Buch | |
| das eigentlich Beunruhigende: die Normalität, die hinter dem Fall steckt. | |
| Die fast 70 Männer, die dem Ruf von Pelicots Ehemann folgten, | |
| repräsentieren einen Querschnitt durch die französische Gesellschaft: | |
| Polizisten, Nachbarn, „ganz normale Männer“. Viele von ihnen sahen die Tat | |
| nicht als Verbrechen an. Freunde und Familienmitglieder betonten vor | |
| Gericht, was für „nette Kerle“ sie seien. Niemand aus ihrem Umfeld, dem sie | |
| davon erzählten, erstattete Anzeige. | |
| Im Gerichtssaal wurden Videos der Vergewaltigungen gezeigt, berichtet | |
| Garcia. Immer wenn ein Mann darauf keine Erektion bekam, fragte ein | |
| Verteidiger, warum nicht. Doch niemand stellte die umgekehrte Frage: Wie | |
| konnten die Männer beim Anblick einer offensichtlich betäubten, | |
| schnarchenden Frau, der Speichel aus dem Mundwinkel tropft, überhaupt | |
| Erregung empfinden? | |
| ## Einzelfälle zu skandalisieren reicht nicht aus | |
| Garcias Buch verdeutlicht: Die gesellschaftliche Akzeptanz von | |
| sexualisierter Gewalt ist ein strukturelles Problem. Strafrecht allein kann | |
| es nicht lösen. | |
| Einzelfälle zu skandalisieren reicht nicht aus, sagt auch Christina Clemm, | |
| die als Anwältin seit Jahren [3][Opfer sexualisierter Gewalt] vertritt. | |
| Sexuelle Gewalt ist kein Randphänomen, sondern Alltag – und sie wird so | |
| lange andauern, wie Männer ihr Verhalten nicht hinterfragen. Frauen könnten | |
| noch so viele Schutzräume schaffen, „ohne ein Umdenken der Männer sei | |
| Gewalt nicht zu beenden“. | |
| Doch genau hier liegt das Problem. Clemm erzählt, dass sie kürzlich zu | |
| einer Lesung eingeladen war. Und dann, ganz typisch: Der Bürgermeister | |
| begrüßte das Publikum, entschuldigte sich und sagte beim Gehen: „Aber ich | |
| lasse Ihnen meine Frau da.“ | |
| Dass bei solchen Veranstaltungen fast nur Frauen im Publikum sitzen, sei | |
| symptomatisch, fügt Clemm hinzu. „Männer denken einfach, dass sexualisierte | |
| Gewalt sie nichts angeht.“ Ihre Worte klingen frustriert, als sie das sagt. | |
| So lag über dem Abend ein Paradox: Es war ermutigend, zwei kluge, | |
| engagierte Frauen sprechen zu hören. Doch zugleich wurde ihre Ohnmacht | |
| spürbar: Solange Männer sich nicht selbst befragen, wird auch der klügste | |
| feministische Appell verhallen. | |
| 29 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Verena Harzer | |
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