| # taz.de -- Pionierin des Radsports: Unter Gelächter und Beschimpfungen | |
| > Von Deutschlands erster Radfahrerin Schneider wurde in den Zeitungen noch | |
| > ohne ihren Vornamen berichtet. Sie radelte allen Vorbehalten zum Trotz. | |
| Das hätte sie sich sicher nicht träumen lassen. Im Jahre 1883 bestieg sie | |
| zum ersten Mal ein Fahrrad und brachte es als erste Radfahrerin | |
| Deutschlands zu großer Berühmtheit. Sie und ihr Mann hatten sich damals für | |
| 700 Mark ein sogenanntes Dreirad zugelegt und wohl sofort großen Spaß an | |
| dem aus England importierten Gerät, obwohl sie gleich bei der ersten Fahrt | |
| stürzten und das Rad kaputtging. Zwei Jahre später gründete das Ehepaar mit | |
| anderen Radfahrenthusiasten den Verein R. V. Neisse. Ein historisches Foto | |
| zeigt mehrere Männer mit Einrädern und eine auf einem Dreirad sitzende Frau | |
| namens „Choralist Schneider“. | |
| Ob es Frau Schneider störte, dass in Zeitungsberichten über sie nicht ihr | |
| Vorname, aber die Berufsbezeichnung ihres Mannes genannt wurde, ist nicht | |
| bekannt. Man kann aber davon ausgehen, dass sie sich dagegen gewehrt hätte, | |
| wenn es sie gestört hätte. Frau Schneider scheint gut in klaren Ansagen | |
| gewesen zu sein. In einem Artikel über ihr 25-jähriges Radjubiläum im | |
| Berliner Tageblatt vom 21. August 1908, der sogar übersetzt von der | |
| liberalen niederländischen Wochenzeitung De Amsterdammer übernommen wurde, | |
| wird sie ausgiebig zitiert. | |
| Ein reines Vergnügen war das Radfahren demnach nicht. Lohnkutscher seien | |
| beispielsweise „Todfeinde“ gewesen, die mit ihren Fuhrwerken oft bewusst | |
| und unter Hohngelächter in Radler hineinfuhren, „sodass wir recht oft mit | |
| dem Straßengraben Bekanntschaft machen mussten“. Die mit einer Peitsche zur | |
| Selbstverteidigung ausgerüstete Frau Schneider berichtet von Hunden, die | |
| von ihren Besitzern auf sie gehetzt wurden, und Kindern, die sie mit | |
| Schmutzlumpen bewarfen. „Aber das war noch lange nicht das Schlimmste, | |
| wenigstens für mich als Frau. [1][Eine Frau auf dem Rade!] Grinsend standen | |
| sie da in Stadt und Land, sahen mir nach, und höhnische Redensarten, | |
| gemeine Schimpfworte, wenn nicht Schlimmeres, trafen mein Ohr und ließen | |
| mich trotz meines Alters vor Scham erröten.“ | |
| Selbst im privaten Bereich war sie Angriffen ausgesetzt: „Meine Verwandten | |
| sagten mir Fehde an, wenn ich das Radeln nicht ließe. Ich verzichtete auf | |
| den Verkehr mit ihnen und blieb meinem Rade treu.“ | |
| ## Gestoppt erst durch ein Fahrverbot | |
| 1915 wurde ihr 80. Geburtstag zur Nachricht in der Radsport-Meldungsspalte | |
| der österreichischen Allgemeinen Sport-Zeitung. Ihr Vorname wurde auch | |
| anlässlich des runden Jubeltags der „ersten und ältesten Radfahrerin | |
| Deutschlands“ nicht erwähnt. Anerkennend wurde aber geschrieben, sie fahre | |
| im Winter wie im Sommer weiterhin „an jedem schönen Tag“ Fahrrad. | |
| Mit Vornamen, so ergaben [2][Recherchen von Wikipedia], hieß sie mutmaßlich | |
| Bertha Anna Augusta. Dafür spricht, dass Bertha 1856 in Neisse einen | |
| Hermann Louis Hugo Schneider geheiratet hatte, dessen Beruf als „Hautboist | |
| des 4. Oberschlesischen Infanterie-Regiments Nr. 63“ angegeben wurde. Herr | |
| Schneider war dort als Oboenbläser tätig, wozu sein möglicher späterer | |
| Beruf, Choralist beziehungsweise Kirchenmusiker, passen würde. Genauso wie | |
| die Goldene Hochzeit, die Herr und Frau Schneider laut dem Berliner | |
| Tageblatt im Jahr 1908 damals schon gefeiert hatten. | |
| Im Jahr 1917 vermeldete die Allgemeine Sport-Zeitung den Tod von | |
| „Radlermutter Frau Schneider“. Am 1. Dezember war sie im St.-Joseph-Stift | |
| in Neisse-Neuland verstorben. Auf dem Rad war sie bis zuletzt unterwegs. | |
| Erst das allgemeine Fahrverbot habe sie daran gehindert, heißt es in dem | |
| Nachruf. Ab 1916 mussten Fahrradreifen und -schläuche abgegeben werden, da | |
| in Deutschland Gummi knapp war und das Material unter anderem für die | |
| Bereifung der Transporter benötigt wurde, die die Truppen an den | |
| Frontabschnitten versorgten. | |
| 28 Aug 2025 | |
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| [1] /Pionierin-des-Radsports-in-Italien/!5727531 | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Schneider_(Radfahrerin) | |
| ## AUTOREN | |
| Elke Wittich | |
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