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# taz.de -- Regenwasserdiebstahl: 15 Cent geklaut!
> In Baden-Württemberg klaut eine Frau ihrem Nachbarn Regenwasser im Wert
> von 15 Cent aus dem Garten. Die Polizei ermittelt.
Bild: Indirekt in die Tat verwickelt: etwaige Blumen, die mit dem Raubeswasser …
Vielen von uns ist der Karneval als „fünfte Jahreszeit“ bekannt. Doch es
gibt sogar noch eine „sechste Jahreszeit“, die stets in die Hauptferienzeit
im August fällt: Was die Italiener unter „Ferragosto“, die Astronomen unter
„Perseiden“ und die Meteorologen unter „Hundstage“ verbuchen, ist für
Journalist:innen das „Sommerloch“.
Dort fällt alles hinein, was eigentlich nicht berichtenswert ist. Doch weil
alle verreist sind oder im Schatten dösen, rücken nunmehr die Ereignisse
von der Ersatzbank in den Vordergrund: unbelegte Krokodilssichtungen in
Baggerseen, umgefallene Reissäcke in China, oder welches [1][bedauernswerte
Love Interest Bundestagspräsidentin Julia Klöckner] über ihren
charakterlichen Zustand hinwegzutäuschen vermochte. Kurz: Lügen, Klatsch,
Lappalien.
Schade um die Druckerschwärze, möchte man jedes Jahr aufs Neue meinen, und
Friede den für das Papier gestorbenen Bäumen. Nur zum Glück ist in diesem
Jahr alles anders, denn im Landkreis Tuttlingen (Baden-Württemberg) wurde
doch tatsächlich eine 51-Jährige erwischt, die sich in dunkler Nacht
unbefugt aus dem Regenfass im Garten ihres 38-jährigen Nachbarn bediente.
Und zwar in mehreren Raubzügen mit der Gießkanne, insgesamt 40 Liter im
Wert von 15 Cent. Der Bestohlene zeigte die Frau an. Die zuständige
Polizeidienststelle ermittelt nun, „auch wenn der Schaden gering“ sei.
## Wem gehört das Regenwasser?
Wie sich der Wert des Wassers bemisst, weiß uns der zuerst [2][berichtende
Südwestdeutsche Rundfunk (SWR)] nicht zu sagen, oder er findet keinen Raum
dafür, weil eben gerade in diesem Sommerloch überraschend viel
Schwerwiegendes passiert. Denn neben dem aufsehenerregenden
Regenwasserdiebstahl hat sich auf der Alb eine Wespe in eine eigentlich
noch unreife Birne gebohrt, in Heilbronn hat ein verrückter Punk die
Kehrwoche nur oberflächlich eingehalten, und auf dem Bodensee haben zwei
homosexuelle Blesshühner unter den Augen tausender Schaulustiger – darunter
dem Vernehmen nach auch zahlreiche Kinder! – über mehrere Tage hinweg
auffällig miteinander geturtelt.
Doch im Zentrum des Interesses steht der Regenwasserklau. Mit aller Macht
versucht die Pressestelle der Polizei Konstanz der aufwallenden
Kommentarflut einer ob des hochkomplexen Geschehens offenkundig stark
verunsicherten Bevölkerung Herr zu werden.
Viele wollten wissen, ob Regenwasser überhaupt jemandem gehöre. Schließlich
hätte jede Antwort auf die Frage extreme Konsequenzen für unser generelles
Zusammenleben. Gehört dann aller Regen dem besagten Nachbarn, und wenn ja,
warum? Heißt der Petrus oder Nestlé oder wie? Das ist doch ungerecht. Und
darf man dann bei schlechtem Wetter noch nass werden, oder ist das auch
schon widerrechtliche Aneignung?
Nein, denn in dem Moment, da das Regenwasser aufgefangen wird, gilt es
nicht mehr als Allgemeingut. Dazu genügt ein eigens aufgestelltes Fass,
eine Tasse, ja schon ein Fingerhut. Darauf wies die Polizei unter dem
entsprechenden Facebook-Post nun ausdrücklich hin.
## Ein Lehrstück, kein Sommerlochthema
Die schwäbische Volksseele kocht. Einige solidarisierten sich gar mit der
Kriminellen, was kein gutes Licht auf das Rechtsempfinden unserer
Bevölkerung hier wie im Allgemeinen wirft. Denn wenn der
Regenwasserdiebstahl verharmlost oder gar, analog zu den Narcocorridos, die
zu Ehren der mexikanischen Drogenbanden gespielt und gesungen werden,
verklärt und romantisiert wird, erodiert die Gesellschaft und wird unser
Rechtssystem grundsätzlich infrage gestellt. „Nur zu! Besingt die
Wasserdiebin doch gleich als Heldin“, möchte man diesen Tröpfen zurufen.
Ein echter Gießkannocorrido. Es wäre fast lustig, wenn es eben nicht so
ernste Konsequenzen hätte.
Denn heute ist es womöglich „nur“ (?!?) der Diebstahl von Regenwasser. Doch
schon morgen kann jeglicher Besitz betroffen sein, dazu die Unversehrtheit
von Leib und Leben. Vollkommene Straflosigkeit bei Raub und
Körperverletzung, Mord und Totschlag wäre die logische Folge.
Was also eine unerfahrene Leserin vorschnell als typisches Sommerlochthema
abtun mag, ist in Wahrheit doch ein Lehrstück, das so unendlich viel über
uns aussagt und dabei sämtliche Wissensgebiete abdeckt, von Philosophie,
Jura und Wasserwirtschaft bis hin zu Soziologie, Psychologie und Religion.
12 Aug 2025
## LINKS
[1] /!6102870/
[2] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/tuebingen/diebstahl-regenw…
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
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Kolumne Flimmern und Rauschen
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