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# taz.de -- Psychedelische Boleros aus Texas: Entrostete Geschichte
> Der texanische Künstler Adrian Quesada schielt mit dem Album „Boleros
> Psycodelicos II“ nach Südamerika und macht sich obskure Folkgenres zu
> eigen.
Bild: Que pasa, Adrian Quesada. Die Stickmuster sind von Victoria Villasana
Lange bevor er mit der Grupo Fantasma einen Grammy gewann (2011), mit
seinem aktuellen Duo-Projekt Black Pumas wiederum Grammy-nominiert wurde
(2020), oder mit dem Song „Like A Bird“ aus dem Gefängnisdrama „Sing Sin…
für einen Oscar nominiert wurde (2024), hörte der texanische Gitarrist und
Produzent Adrian Quesada eines Abends im Autoradio einen alten Titel der
peruanischen Band [1][Los Pasteles Verdes] und war begeistert.
Er recherchierte und fand heraus, dass dieses Stück einem vergessenen Genre
lateinamerikanischer Popmusik der 1970er Jahre angehörte. Diesen Stil
nennen einige schlicht „Balada“ und andere „Bolero psicodélico“, weil …
die düstere Dramatik des klassischen Boleros um Surf-Gitarren und verrückte
Orgeln anreicherte, darin vergleichbar seiner zeitgleich erblühenden
Up-tempo-Schwester Cumbia Amazonica.
Als 2020 coronabedingt sein Band-Projekt Black Pumas auf Eis lag,
produzierte Quesada zum Zeitvertreib quasi im Alleingang ein ganzes Album
mit Eigenkompositionen, die diesen Sound originalgetreu nachbauten. Das
nicht als „Career move“ gemeinte Spaßprojekt „Boleros psicodélicos“ w…
2022 veröffentlicht und entwickelte sich ungeplanterweise zu einem
Riesenerfolg.
## Weiterführung der Erfolgsformel
Nach den Gesetzmäßigkeiten der Musikindustrie hat das zur Konsequenz, dass
ein Folgealbum produziert wird. Nach der Logik eines ambitionierten
Musikers wie Adrian Quesada wurde es aber nicht einfach die Reproduktion
der Erfolgsformel, sondern eine Weiterführung.
Bei den „Boleros psicodélicos II“ hatte er also einen neuen Plan, quasi
wie ein*e Lehrer*in, die davon ausgeht, dass die Schüler*innen die erste
Lektion verstanden haben und nun bereit sind für den nächsten Schritt.
In diesem Fall heißt es: Der „Balada“-Ansatz der 1970er wird nunmehr
behutsam in die Jetztzeit transplantiert, mal sehen, ob er hält. Dieses
Unternehmen wollte er jedoch nicht wieder im Alleingang durchführen,
sondern holte sich mit dem Produzenten Alex Goose (unter anderem Childish
Gambino) einen Bundesgenossen ins Boot, der dem Projekt eine Portion R&B-
und HipHop-Ästhetik hinzufügen sollte. Die so ausproduzierten Tracks wurden
dann den Gastvokalist*innen überlassen und am Ende sind sie es, die
den Unterschied ausmachen.
## Bedeutungsschwer wird leicht
Denn da, wo die Performer*innen einen eigenen Ansatz finden, mit der
Bedeutungsschwere der Bolero-Tradition umzugehen, überzeugt Quesadas
Konzept. Es funktioniert hervorragend bei Mireya Ramos, die mit „Tus
tormentos“ schon ein absolutes Highlight zum ersten „Boleros
Psicodélicos“-Album beisteuerte und die diesmal bei „Cuatro vidas“ zu
Klängen, die von einer etwas weiter entfernt stattfindenden Kirmes
herüberzuwehen scheinen, etwas gedankenverloren, traurig und trotzig ihre
Gefühle zu ordnen versucht.
Ein ähnlicher Fall ist „Agonia“, eine Kollaboration mit dem kolumbianischen
Trio Monsieur Periné, das tatsächlich die Unwirklichkeit und Ungreifbarkeit
einer psychedelisch induzierten Traumfantasie hat. Und es wird wundervoll
edelfinster bei iLe von der puertoricanischen Gruppe Calle 13, die sich in
ihrer Performance des düsteren „Bravo“ genussvoll in ein delikat
ziseliertes Bett aus Bläserdramatik und fetten Drums fallen lassen darf.
Da, wo die Gäste sich nicht trauen oder einfach zu tief verstrickt sind ins
Bolero-Gespinst, als dass sie sich mal eben freistrampeln könnten, läuft es
ins Leere. Dabei sind die Entwürfe von Quesada und Goose ja eigentlich
recht harmlos und vorsichtig – vor allem im Vergleich mit den kühnen
Versuchen des Argentiniers [2][Axel Krygier] oder der Kolumbianer
[3][Julian Mayorga und Eblis Álvarez (Meridian Brothers, Los Pirañas]),
traditionelle Formen lateinamerikanischer Musik in die Gegenwart zu
transferieren. Dekonstruktion wird hier nicht betrieben.
## Tief in den Kitschsümpfen
Vielleicht hätte ein wenig mehr davon den Tracks der kalifornischen
Retro-Sängerin Trish Toledo, des chilenischen Singer/ Songwriters Gepe oder
des kubanischen Multitalents Daymé Arocena gutgetan, die mitunter so tief
in die Kitschsümpfe des Genres vordringen, dass man befürchtet, gleich
würde Julio Iglesias losknödeln. Aber ein Avantgardist ist Quesada nicht
und will es offensichtlich auch nicht sein. Ihm geht es eher darum, die
alten Stilistiken von Rost und Staub zu befreien und in den Popkosmos des
Jahres 2025 einzugliedern.
In zwei Dritteln des Albums ist ihm das überzeugend gelungen. Und Hut ab
vor Bolero: Rund 150 Jahre nachdem er den Gewässern der Karibik entstiegen
ist, begegnen ihm Hörer*innen wie Kreative immer noch mit größter
Leidenschaft und Hingabe.
23 Jul 2025
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=i4z-iVYhoWM
[2] /Pop-aus-Buenos-Aires/!5134794
[3] /Neues-Album-von-Meridian-Brothers/!6023422
## AUTOREN
Detlef Diederichsen
## TAGS
Texas
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Venezuela
Global Pop
Kolumbien
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