| # taz.de -- Halbfinale der Fußball-EM: Furiose letzte Reserve | |
| > Das englische Team zeigt gegen starke Italienerinnen wieder | |
| > Last-Minute-Qualitäten. Michelle Agyemang wird eingewechselt und | |
| > vollendet den Matchplan. | |
| Bild: Mit Wucht und viel Energie: Agyemang geht gegen Italiens Elena Linari ins… | |
| Genf taz | Als die 120 Minuten vorbei waren und England sich irgendwie ins | |
| Finale gerettet hatte, ließ Michelle Agyemang sich auf den Rücken fallen. | |
| Eine gefühlte Ewigkeit lag sie da ausgestreckt auf dem Rasen und genoss den | |
| Moment, bis die Teamkameradinnen sie hochzogen. Was für eine Geschichte war | |
| das schon wieder, die dieses irre EM-Turnier geschrieben hat. In der 6. | |
| Minute der Nachspielzeit hatte Agyemang ihre Engländerinnen, die quasi raus | |
| waren, gegen couragierte Italienerinnen, mit einem Abstauber in die | |
| Verlängerung geschossen. | |
| Ausgerechnet Agyemang. Die so talentierte 19-Jährige, die noch vor vier | |
| Jahren als Ballmädchen am Rand stand. Die erst vor drei Monaten ihr | |
| Debüt-Tor erzielte, das schnellste in der englischen Fußballgeschichte nach | |
| 41 Sekunden auf dem Platz, mit einem fantastischen Beinahe-Volleyschuss. | |
| Schon im Viertelfinale gegen Schweden hatte sie das Team vor dem | |
| Ausscheiden bewahrt. Beinahe hätte sie in der Verlängerung gegen Italien | |
| gar noch auf 2:1 erhöht, als sie mit einem wunderbaren Heber nur die Latte | |
| traf. | |
| Den Treffer besorgte dann kurz darauf die ebenfalls eingewechselte Chloe | |
| Kelly per Elfmeter – gegen völlig fassungslose Italienerinnen. Wieder waren | |
| es die Einwechselspielerinnen, die England im Spiel hielten. Und nicht | |
| zuletzt: Ausgerechnet Agyemang, eine Schwarze Spielerin, wurde zur Heldin | |
| in einer Woche, in der so viel über die rassistische Hetze gegen die | |
| Schwarzen englischen Nationalspielerinnen diskutiert worden war. | |
| „Seit sie gegen Belgien ihr Debüt-Tor gemacht hat, wussten wir, dass sie | |
| was ganz Besonderes ist“, sagte Veteranin Lucy Bronze. „Natürlich braucht | |
| sie Zeit, sie ist 19 Jahre alt. Sie hat so viele Jahre, um noch besser zu | |
| werden, es ist beängstigend.“ Kapitänin Leah Williamson lobte: „Was | |
| Michelle auf den Platz bringt, ist ein Albtraum für die Gegnerinnen.“ | |
| Michelle Agyemang – abseits des Platzes eine ruhige und vieltalentierte | |
| Teenagerin, die Klavier, Bass und Schlagzeug spielt und das Klavier selbst | |
| in der Schweiz dabei hat – steht stellvertretend für den schier endlosen | |
| Strom an hochbegabten Talenten, die das englische Fußballsystem | |
| hervorbringt. | |
| ## Unheimliches Selbstvertrauen | |
| Sofort brachte sie Unruhe und Energie ins Spiel. Und vielleicht war das der | |
| feine Unterschied gegen das tapfere italienische Kollektiv, der Tick mehr | |
| individuelle Klasse und Abgebrühtheit. Hinzu kommt das schon unheimliche | |
| Selbstvertrauen dieser Engländerinnen. Sie sind erst mausetot, wenn | |
| abgepfiffen ist. | |
| Denn was war das für ein brutales Halbfinale in Genf? [1][Die klug | |
| eingestellten Italienerinnen] führten seit der 33. Minute mit 1:0, standen | |
| defensiv richtig stark und schienen das große Märchen dieses Turniers zu | |
| schreiben: Finale für den Underdog. Die Engländerinnen waren wieder nicht | |
| überzeugend, standen in der Abwehr schlampig, nach vorn fehlte oft der | |
| Punch. Dann kam Agyemang. | |
| Eine Minute vor Ende der Nachspielzeit der erste Nackenschlag für Italien, | |
| und eine Minute vor Ende der Verlängerung der K. o. Grausam kann Fußball | |
| sein. „Italien war fantastisch“, lobte Bronze später. Coach Soncin klagte: | |
| „Wir haben ein anderes Ende verdient. Es tut weh, so auszuscheiden.“ | |
| ## Immer mit der Ruhe | |
| Und doch ist es eine bemerkenswerte Qualität, wenn ein Team immer wieder so | |
| ruhig und selbstverständlich den Kopf aus der Schlinge zieht. Schon in der | |
| Vorrunde hätte für England Schluss sein können. Aber während die | |
| Gruppengegnerinnen aus Frankreich wieder [2][mal kometenhaft spielten, groß | |
| aufleuchteten] und dann im Turnier schnell verglühten, ist dieses England | |
| ein zutiefst pragmatisches Team. | |
| Es springt nur gerade so hoch, wie es muss. In drei großen Finals | |
| hintereinander hat man nun gestanden – und sie wissen, warum. „Wir haben | |
| immer die Überzeugung, dass jemand auf den Platz kommt und für uns trifft“, | |
| berichtete Offensivspielerin Ella Toone mit einer schier unglaublichen | |
| Gelassenheit. „Wir denken nie, dass wir raus sind.“ Und: „Wir wissen | |
| definitiv, wie man gewinnt.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. | |
| [3][Dass sie immer wieder zurückkommen können], ist auch der Breite des | |
| Kaders geschuldet. Glücklich, wer es sich leisten kann, Beth Mead oder | |
| Chloe Kelly auf die Bank zu setzen und Michelle Agyemang fünf Minuten vor | |
| Schluss zu bringen. Für Trainerin Wiegman sind ihre Einwechselspielerinnen | |
| keine Notlösungen, sondern von Beginn an Teil des Matchplans. Im Team | |
| heißen sie Finishers. | |
| Sechs Mal seit 2022 haben englische Einwechslungen in K.-o.-Spielen den | |
| Unterschied gemacht, häufiger als bei jedem anderen Team. Bei der letzten | |
| EM waren es Alessia Russo und Ella Toone, die den letzten Punch liefern | |
| sollten, nun haben diese Rolle Kelly und Agyemang. Und wer immer gegen | |
| England im Finale steht, dem sei geraten, Atem zu sparen für die furiose | |
| letzte Reserve. | |
| 24 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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