Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Freizeitgestaltung für Ü40: Achtung, Partypooper on Tour
> Ein lustiger Abend beim gemeinsamen Singen? Unsere Kolumnistin möchte
> eigentlich vor Freizeitangeboten für ihre Altersklasse fliehen, doch hält
> durch.
Bild: „Wie von Geisterhand bewegen sich nun auch meine Lippen. Selbst bei Son…
Der Tag war lang und mein Körper läuft nur noch mit Notstrom, aber ich
fahre trotzdem bis ans Ende der Welt, was in diesem Fall in Westend liegt.
Vor der Backsteinhölle von anno dazumal warten mittelalte Menschen, die
Ramones-Shirts und riesige Schwalben-Tattoos tragen. Die
Aperol-Spritz-Dichte ist hier so hoch wie der Marlboro-Konsum. Ich suche
nach meiner Freundin K., die aus einer anderen Richtung angeschlurft kommt.
Wir schließen uns in die Arme, eine Studentin scannt unsere Tickets. „Viel
Spaß“, sagt sie milde lächelnd, denn sie steht hier, um Geld zu verdienen,
während K. und ich pro Nase mehr als 20 Euro hingeblättert haben, um gleich
selbst zu singen – obwohl eine es nicht kann: ich.
Im Foyer haben sich bereits jede Menge anderer Eventopfer versammelt.
Einige haben richtig Bock, andere sehen so aus, als ob sie ihren Abend
lieber auf dem heimischen Sofa verbracht hätten, aber man will ja was
erleben, und deshalb ist man hier.
Seufzend bestelle ich ein alkoholfreies Bier und hasse alles an meiner
Wahl, wenn ich nur den Kater nicht noch mehr hassen würde. „Gleich geht’s
in den Saal“, freut sich K. Denkste. Denn kaum haben wir angestoßen,
schallt uns auch schon das Intro des ersten Songs entgegen wie eine dicke,
fette Ohrfeige. Die Stimmung im Foyer schießt von null auf hundert.
## Die Lippen bewegen sich automatisch
„Ein Hoch auf das, was vor uns liegt […]“, singt der Vorsänger, singt die
Menge, die Augen starr auf die Monitore gerichtet. Wie von Geisterhand
bewegen sich nun auch meine Lippen. Selbst bei Songs, die ich nicht mag. Es
ist ein Automatismus, gegen den ich ankämpfen muss. „Eigentlich hatte ich
gar keine Lust herzukommen“, platzt es aus K. heraus, während wir im
grellen Licht des Eingangsbereichs unser Bestes geben. „Mensch, ich auch
nicht!“, rufe ich zurück, dann schwenkt die Kamera gefährlich nah in unsere
Richtung. „Ich will auf keinen Fall ins Fernsehen!“, schreie ich und
flüchte mich hinter ein großes Werbebanner.
Was bin ich nur für eine Spaßbremse? Immerhin bin ich mit Schlager
aufgewachsen und fand Karaoke das letzte Mal lustig. Aber hier? Wo eine
Reihe Leute oben auf der Galerie steht und auf uns singendes Fußvolk
herabblickt, macht es mir keine Freude. „Wieso dürfen die da oben sein?“,
nöle ich in K.s Richtung, da entdecke ich Jen Kebsen oder wie die rechte
Horror-Barbie heißt. „Guck mal, wer hier ist“, flüstere ich schockiert.
„Quatsch! Der sieht doch ganz anders aus“, sagt K. Wir googeln. Sie liegt
richtig. Ein Glück. Die Mischung aus gesanglicher Gleichschaltung und
Gegröle scheint meine Synapsen kurzgeschlossen zu haben.
„Willst du lieber gehen?“, fragt K. „Wir bleiben“, sage ich heldenmutig…
nehme einen großen Schluck von meinem Bittergesöff ohne die erlösende
Promillezahl. Langsam verliert auch K. die Nerven.
## Die Puste geht aus
Ausgerechnet bei „Spaghetti Carbonara e una Coca Cola“ schimpft sie: „Kann
die Olle mal ihr Handy runternehmen?“ – und verhunzt der Frau vor uns damit
ihr Erinnerungsvideo. Vermutlich wegen unseres Sommergrippeviren
durchseuchten Spuckenebels bleiben die Türen offen. Es zieht und zieht
sich. Spätestens beim Berlin-Medley hängen die Studijobber wie schlappe
Luftballons über dem Tresen.
Und auch uns X-Y-Singstars geht langsam die Puste aus. Einen letzten
Euphorie-Pik gibt es bei Peter Fox’ Familiensaga: Meine Frau, 20 Kinder,
ja, ja! Dann suchen zumindest diese zwei Partypooper hier neues Land, äh,
ihr Sofa.
2 Aug 2025
## AUTOREN
Anna Fastabend
## TAGS
Kolumne Midlife Monologe
Party
Chorgesang
Freizeit
Musik
Kolumne Midlife Monologe
Kolumne Midlife Monologe
Kolumne Midlife Monologe
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fixierung auf das große Geld: Milchgesichter, die von Millionen träumen
Wann ist aus dem Segelschuhträger der neue Superheld geworden, fragt sich
unsere Autorin. Vielleicht als allen klar war, dass nur erben hilft?
Belästigung ist kein Flirten: Wir haben heute leider keine Nummer für dich
Eigentlich ist es nicht so schwer, den Unterschied zwischen Flirt und
Belästigung zu bemerken. Aber einigen Männern scheint das nicht zu
gelingen.
Gewollt kinderlos: Es ist gut, wie es ist
Muss da noch was kommen oder darf ich weiter entspannt im Café sitzen und
mit mir alleine sein? Unsere Autorin hat für sich eine Antwort gefunden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.