| # taz.de -- Gentechnik: „Wir müssen viel mehr Menschen an den Tisch holen“ | |
| > Die Gentechnik macht neue Therapien möglich, aber auch Eingriffe ins | |
| > menschliche Erbgut. Welche Fragen müssen diskutiert werden? | |
| Bild: KJ Muddon wurde als erster Mensch mit einer personalisierten Gentherapie … | |
| taz: Nachdem 2012 die [1][Genschere Crispr]/Cas9 die Welt der Gentechnik | |
| aufgewirbelt hatte, schien das Feld der Möglichkeiten riesig. Krankheiten | |
| könnten von nun an auf DNA-Ebene bekämpft werden, indem einfach die | |
| kaputten Gene repariert werden. Aber auch [2][Designerbabys] waren | |
| plötzlich greifbar wie nie. Vor zehn Jahren gab es den ersten Global Summit | |
| zu Gentechnik, bei dem sich Wissenschaftler*innen auch zu ethischen | |
| Fragen austauschen. Wo steht unsere Ethik in Bezug auf Gen-Editing heute? | |
| Ben Hurlbut: Wir sind mehr als ein Jahrzehnt in dieser Diskussion und | |
| trotzdem sind wir noch nicht an dem Punkt angekommen die wirklich | |
| grundlegenden Fragen zu stellen. | |
| taz: Was für Fragen meinen Sie? | |
| Hurlbut: Auf einem unserer Panels hier saß zum Beispiel Vijay Chandru aus | |
| Indien, er forscht zur Heilung von Sichelzellanämie. Dabei versucht er | |
| einen Weg zu finden, eine Gentherapie-Behandlung möglich zu machen, die | |
| 20.000 Dollar statt 2,5 Millionen Dollar kostet. | |
| taz: Gentherapien sind extrem teuer. | |
| Hurlbut: Vijay Chandru sagt, es ist keine Innovation, wenn du zwar die | |
| Krankheit behandeln kannst, du sie aber nicht an die Menschen bringen | |
| kannst. Eine Innovation muss einer Bevölkerung zur Verfügung stehen können. | |
| Das war eine extrem wichtige Perspektive. | |
| taz: Die internationalen Konferenzen zu [3][Gentechnik] gibt es seit 2015. | |
| Vorher hat man das nicht geschafft so grundlegende Fragen zu stellen? | |
| Hurlbut: Wenn man sich die Entwicklung dieser Gipfeltreffen von 2015 bis | |
| 2023 anschaut, hieß es anfangs, dass die Bearbeitung etwa des vererbbaren | |
| Genoms nicht ohne breiten gesellschaftlichen Konsens erfolgen sollte. 2018 | |
| hat He Jiankui die Crispr-Babys geschaffen. Die Reaktion war, dass dies ein | |
| unverantwortliches Experiment sei. Deshalb müssten wir einen | |
| verantwortbaren Weg entwickeln für Genom-Editierung, also festlegen, wie | |
| man dies tun sollte, um es auf die richtige Weise zu tun. Wie falsch die | |
| Diskussion bisher lief, zeigte auch die Konferenz 2023. | |
| taz: Inwiefern? | |
| Hurlbut: Auf der dritten Konferenz in London gab es eine Riesensitzung, die | |
| im Wesentlichen eine Reihe wissenschaftlicher Präsentationen über die | |
| Entwicklung von Eiern und Spermien aus Stammzellen in vitro gewidmet war. | |
| Es war wie jede andere wissenschaftliche Konferenz, nur in einem Bruchteil | |
| der Zeit ging es um die Themen, die die Gesellschaft am meisten zu | |
| beschäftigen scheinen. Also etwa die Frage, wie sich gentechnische | |
| Veränderungen an Menschen vererben und was das bedeutet. Nach 2023 wollten | |
| die Organisatoren die Konferenzreihe schon beenden. Als wäre alles Wichtige | |
| bereits besprochen worden. | |
| taz: Wie ging es dann weiter? | |
| Hurlbut: Wir vom Global Oberservatory for Genome Editing haben beschlossen | |
| weiterzumachen, aber wir wollten es anders machen. Das nächste Treffen | |
| sollte inklusiver sein, und wir wollten die Perspektiven in den Vordergrund | |
| rücken, die seit Beginn des Gesprächs immer wieder zu Wort kommen wollten, | |
| aber ausgeschlossen blieben. Wir müssen viel mehr Menschen an den Tisch zu | |
| holen. | |
| taz: Mehr Ethiker*innen, Patient*innen? | |
| Hurlbut: Ja, die Zivilgesellschaft. Und Perspektiven des Globalen Südens, | |
| von Religionen und der Blick von Menschen mit Behinderung und Krankheit. | |
| Unter diesen Gruppen braucht es Gespräche. Bei den vorherigen | |
| internationalen Zusammenkünften hat sich ein Team meist überlegt, welche | |
| Fragen geklärt werden müssten. Es ging darum, Probleme zu lösen, damit | |
| man Regeln aufschreiben und dann nach vorn schreiten kann mit der | |
| Forschung. Aber so einfach ist das nicht. | |
| taz: Wieso? | |
| Hurlbut: Wir sprechen von Technologien, die in alle Aspekte menschlichen | |
| Lebens eingewoben sind und es grundlegend verändert. Natürlich kann man | |
| über die Zeit Schlüsse ziehen, welche Einschränkungen sinnvoll sein | |
| könnten, was nützt, was schadet. Aber das Gespräch muss immer weitergehen, | |
| auch weil sich die Technik immer weiter verändert. Als wir anfingen mit den | |
| Summits 2015, hat niemand im Feld über KI gesprochen, jetzt beherrscht sie | |
| alles. Und sie berührt ja auch ganz ähnliche Fragen wie die Biotechnologie, | |
| weil auch sie verschiedenste Bereiche des menschlichen Seins einnimmt, die | |
| vielleicht bewahrt werden müssten. | |
| taz: Es geht also eigentlich um die Frage, was bedeutet es, Mensch zu sein? | |
| Hurlbut: Genau, um Technologien zu steuern, muss man immer mit dem Menschen | |
| beginnen. Ganz wie in Deutschland im Grundgesetz: Die Würde des Menschen | |
| ist unantastbar. Und alles, was du danach machst, folgt dann diesem | |
| Grundsatz. Nur so können wir unsere Menschlichkeit bewahren und | |
| sicherstellen, dass die Technologie im Dienste der Menschheit steht und | |
| nicht umgekehrt. Das ist selbst zu guten Zeiten eine ziemliche | |
| Herausforderung und fordert einen gewissen Internationalismus, einen freien | |
| Fluss von Ideen und Begegnungen zwischen Menschen auf der ganzen Welt. Aber | |
| allein, Menschen von der ganzen Welt zum Gespräch zusammenzubringen, wurde | |
| in den vergangenen Monaten während unserer Planung zunehmend schwerer. Und | |
| wir haben es selbst auf unserer Konferenz gemerkt. | |
| taz: Inwieweit? | |
| Hurlbut: Wenige Minuten vor unserem Panel zu kosmopolitischer Ethik, die | |
| auf dem Engagement zwischen Menschen und Völkern der Erde beruht, kündigt | |
| die Trump-Regierung an, der Harvard-Universität die Möglichkeit zu | |
| entziehen, internationale Studierende aufzunehmen. Das widerspricht völlig | |
| dem Geist von Wissenschaft als einem international ausgerichteten | |
| menschlichen Unterfangen. | |
| taz: Die Trump-Regierung tut viel, um Forschung als internationales | |
| Vorhaben einzustampfen. | |
| Hurlbut: Im Moment erleben wir eine Art fundamentalistischen Glauben an | |
| Innovation als Quelle des Fortschritte, der ist falsch gesetzt. Es bräuchte | |
| ein reflektierenden Glauben. Innovation wird heute so verstanden, dass | |
| verschiedene Nationen darum in einem Wettbewerb konkurrieren. Dann heißt | |
| es, wir als Land müssen bei der künstlichen Intelligenz an der Spitze | |
| stehen, damit China es nicht tut, wir müssten dominieren, Technologien | |
| kontrollieren. Da ist kein Gedanken darüber überhaupt möglich, ob wir mit | |
| der KI vorpreschen sollten oder was es zur Regulierung bräuchte, weil dann | |
| könnten wir ja verlieren. Das ist weit weg von dem Gedanken von | |
| Technologien als gemeinsames Gut der Menschheit, und es ist das Ende des | |
| Internationalismus. | |
| taz: Welche Wege gibt es aus diesem Dilemma? | |
| Hurlbut: Ein Plan könnte sein, das gesamte Thema größer zu denken. Hin zu | |
| Menschlichkeit als Leitprinzip. Wir wollen eine Charta für neue | |
| Technologien und Menschenwürde schaffen. Die Allgemeine Erklärung der | |
| Menschenrechte wurden zu einem Zeitpunkt errungen, als die Technologien | |
| noch nicht in den grundlegendsten Dimensionen unseres Lebens eingebettet | |
| waren. Wir müssen also die Menschenrechte weiterdenken im Sinne von | |
| Rechten, Beziehungen und Würde in Bezug auf die technologische Struktur der | |
| Welt. Den Prozess wollen wir international in Gang setzen und auch | |
| institutionalisieren. | |
| taz: Das klingt sehr abstrakt. Wie sollte so eine Institution denn | |
| aussehen? | |
| Hurlbut: Diejenigen, die unseren Ansatz am euphorischsten unterstützen, | |
| sind Kollegen aus zwischenstaatlichen Organisationen wie der WHO, die OECD | |
| und der Europarat. Mit ihnen stehen wir im Austausch. | |
| taz: Also sollte man eine Art Welttechnikorganisation gründen? | |
| Hurlbut: Wir sind noch nicht so weit, dass wir da einen klaren Weg | |
| vorgeben, wie wir das international angehen. Aber wir starten ein Gespräch. | |
| 30 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Adefunmi Olanigan | |
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