# taz.de -- Babelsberg 03: Nicht schon immer Antifa | |
> Der Viertligist hat seine NS-Vergangenheit aufgearbeitet und mit einer | |
> Broschüre öffentlich gemacht. Möglich gemacht hat das seine linke | |
> Fanszene. | |
Bild: Karl Liebknecht – mehr als Namenspate fürs Stadion | |
Potsdam taz | Im Fanshop des [1][Fußball-Viertligisten SV Babelsberg 03] | |
gibt es T-Shirts und Hoodies zu kaufen, auf denen „Nazis raus!“ und „Kick | |
Fascism!“ steht. Neuerdings liegt da auch die Broschüre „Nulldrei im | |
Nationalsozialismus“ im Regal. Der Klub aus Potsdam stellt sich seiner | |
Vergangenheit. | |
Schon der Vereinsname ist ein Produkt des NS-Regimes: Bis 1938 war es der | |
SV Nowawes 03, dann aber wurde der Ort in Babelsberg umbenannt. Aus dem | |
Fußballclub wurde der SV Babelsberg. 17 Monate später wurde er der SV | |
Potsdam 03, und im Januar 1945 bestritt er ein letztes Punktspiel. | |
Es gibt also einige Gründe, warum Anhänger stutzig werden könnten über die | |
Vergangenheit ihres Vereins. „Die Idee zum Rechercheprojekt kam aus dem | |
Fanprojekt nach einer Gedenkstättenfahrt“, berichtet die Historikerin | |
Carolin von der Heiden. Dass die Aufarbeitung vergleichsweise spät begann, | |
erklärt Katharina Dahme, Vorstandsvorsitzende von 03, mit den begrenzten | |
Kapazitäten eines Viertligisten. „Wir waren auf die Unterstützung aus | |
unserer engagierten Fangemeinde angewiesen.“ | |
Von der Heiden gehört zur „Gruppe Recherche 03“, in der sich 2020 | |
überwiegend Studierende und auch zwei Abiturienten zusammengefunden haben. | |
Ihre Erkenntnisse: Der SV Nowawes 03 war ab 1931 sportlich auf dem Weg nach | |
oben, doch bei der 1933 erfolgten Neuordnung der Spielklassen wurde der SV | |
03 nicht in die zweite, sondern die dritte Spielklasse gesetzt. „Dies | |
könnte möglicherweise mit einer fehlenden ‚nationalsozialistischen | |
Ausrichtung‘ der Nowaweser Bevölkerung (‚Rotes Nowawes‘) im Zusammenhang | |
stehen“, formuliert die Gruppe vorsichtig. | |
Nowawes galt als KPD-Hochburg, aber nicht der SV 03. „Babelsberg 03 war ja | |
ein bürgerlicher Verein, der sich den Bedingungen der Nationalsozialisten | |
gleich nach der Machtübernahme anpasste und sich widerstandslos | |
gleichschalten ließ“, sagt Carolin von der Heideb. Im Ort Nowawes gab es | |
ein Gegenstück, den Arbeitersportverein Concordia, gegründet 1906, der, wie | |
der gesamte Arbeitersport, 1933 verboten wurde. Übrigens, seit 2006 gibt es | |
Concordia Nowawes wieder. | |
## Vom Vereinspräsidenten zum -führer | |
03 jedoch stieg 1935 in die Gauliga auf, die höchste Spielklasse. Es gibt | |
Mannschaftsfotos mit Spielern in Wehrmachtsuniform, und auch der Hitlergruß | |
ist vereinzelt zu sehen. Im Mai 1933 wurde aus dem bisherigen | |
Vereinspräsidenten der Vereinsführer, der sich prompt „zur nationalen | |
Regierung und zum Volkskanzler Adolf Hitler“ bekannte. Diese Chronik der | |
Anpassung lässt sich noch ein bisschen weiter erzählen: Vereinsführer Bruno | |
Arnold wurde 1936 von Walther Sehring abgelöst, einem SA-Funktionär. Dem | |
wiederum folgte Erich Schenke, ebenfalls ein SA- und NSDAP-Mann, der schon | |
1923/24 im rechtsextremen „Stahlhelm“ aktiv war. | |
Doch Hinweise auf einen Arierparagrafen fand die Gruppe nicht. Von der | |
Heiden: „Die Aufnahme von neuen Mitgliedern wurde zwar verschärft, | |
rausgeworfen wurde aber niemand, oder es wurde nicht dokumentiert.“ Ganz | |
überraschend ist das nicht, sagt der Sporthistoriker Julian Rieck. „In | |
Fußballvereinen fanden sich in der Anfangszeit kaum Arierparagrafen“, sagt | |
er. „Das sagt aber nichts über die antisemitische Praxis aus.“ | |
Zu den Auffälligkeiten der Babelberg-03-Geschichte gehört, dass 1936 die | |
Wahl Walter Sehrings zum „Vereinsführer“ mit einer erstaunlich geringen | |
Zustimmung erfolgte: Nur 27 von 45 Stimmen gingen an den SA-Mann. Und | |
dessen Nachfolger Erich Schenke erhielt im Jahr 1939 noch 18 Gegenstimmen – | |
bei 60 Ja-Stimmen. | |
Die Ambivalenz wird auch deutlich am Beispiel von Paul Englisch. Der war | |
von 1922 bis 1939 Geschäftsführer des Vereins, später blieb er Kassenwart. | |
1939 hatte er die NSDAP-Mitgliedschaft beantragt, 1940 wurde er | |
aufgenommen. Mitunter heißt es, Englisch habe einmal am Vereinssportplatz | |
ein Schild mit der Aufschrift „Juden ist der Zutritt verboten“ abgehängt. | |
Das könnte man als Lob verstehen, doch es fand sich kein Hinweis, dass es | |
wirklich so war. „Er hat das 1946 in seiner Entnazifierungsakte erklärt“, | |
sagt von der Heiden. Da gab er an, nach einem Gestapo-Verhör eingetreten zu | |
sein, um nicht ins KZ zu müssen. Das kann beides sein: wahr oder erfunden. | |
## Zwangsarbeiter als Spieler | |
Zu den Erkenntnissen der Gruppe gehört, dass zwei niederländische | |
Zwangsarbeiter, Gerrie Stroker und Jaap Hordijk, in den 1940er-Jahren für | |
03 spielten. Doch wie an sie erinnert wird, gerade von älteren | |
Babelsbergern, lässt die Rechercheure mitunter an „Schuldabwehr“ denken. | |
Oft hätten sie die Geschichte gehört, die zwei seien ja freiwillig zum | |
Arbeiten nach Deutschland gekommen, berichten sie. Julian Rieck gibt zu | |
bedenken, dass Zwangsarbeiter oft im deutschen Fußball der NS-Zeit | |
eingesetzt wurden: „Für sie war der Fußball die Möglichkeit, dem Alltag als | |
Zwangsarbeiter für kurze Zeit zu entfliehen.“ Nach 1945 wurden Stroker und | |
Hordijk in den Niederlanden oft als Kollaborateure beschimpft. Gleichwohl | |
kam Stroker bei Ajax Amsterdam unter und spielte sogar dreimal in der | |
Elftal, der niederländischen Nationalmannschaft. | |
Recherchiert hat die Gruppe nicht nur etwa im Bundesarchiv oder dem | |
Brandenburgischen Landesarchiv, sondern sehr viel auch in privaten | |
Sammlungen. Gerade zu Beginn der Arbeit habe es öfter den Vorwurf gegeben, | |
die Forschenden wollten doch nur im Dreck wühlen. Vom Verein kam dieser | |
Verdacht jedoch nie. „Die Ergebnisse der Recherche bestätigen uns als SV | |
Babelsberg 03 darin, dass Antifaschismus eine unserer Grundfesten ist und | |
sein muss“, sagt Katharina Dahme. Das Ziel des Vereins und der | |
Recherchegruppe sei stets dies gewesen: „Wissen über die Vergangenheit | |
unseres Vereins, seiner damals Aktiven und Verantwortlichen sowie unseres | |
namensgebenden Stadtteils zu erlangen und so weiße Flecken in unserer | |
Geschichte und unserem Bewusstsein zu überwinden.“ | |
Im Berliner Fußball steckt die Aufarbeitung noch in den Anfängen: Hertha | |
BSC hat eine Studie vorgelegt, die in der Fachwelt nicht nur auf Zustimmung | |
stieß; der 1. FC Union hat seine Geschichte noch gar nicht erforschen | |
lassen, und der Berliner Fußballverband will einen Bericht im November | |
dieses Jahres veröffentlichen. Da steht der Babelsberger Viertligist nicht | |
schlecht da. | |
12 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /St-Pauli-des-Ostens-SV-Babelsberg-03-und-seine-Fans/!5120929 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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