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# taz.de -- St. Pauli des Ostens: SV Babelsberg 03 und seine Fans: Stammplatz l…
> Potsdamer Hausbesetzer waren in den 90er Jahren auf der Suche nach einem
> Verein zum Zuschauen. Sie fanden ihn im SV Babelsberg 03, dessen
> linksalternatives Image sie bis heute prägen.
Bild: Die Babelsberger Fans sind zwar "ultra" - aber Szenen wie diese bei einem…
Putzig sehen die schmalen Häuschen rund um das Stadion vom SV Babelsberg 03
aus. Die Dächer sitzen bei vielen bereits auf dem ersten Stockwerk. In dem
früheren Arbeiterviertel hat sich heute die etwas zahlungskräftigere
Mittelschicht einquartiert und die charmanten Wohnstätten akkurat
aufgehübscht. Auch das kleine Stadion des Drittligisten wird derzeit
modernisiert. Sollte in Deutschland einmal der Fußballprofistandort mit dem
niedlichsten Ambiente gesucht werden, Babelsberg hätte beste Chancen, ganz
vorne zu landen. Auch der im Karl-Liebknecht-Stadion beheimatete Profiklub
wird von auswärtigen Fußballanhängern als Miniaturgröße wahrgenommen:
"Babelszwerg 03" wird er häufig genannt.
Entsprechend lässt sich auch die organisierte Fanszene des Klubs
überblicken. Auf etwa 80 Anhänger wird der harte Kern der Ultras geschätzt.
"Wir werden aufgrund unserer geringen Anzahl oft belächelt", sagt Jacob
Roth, der dazugehört. Allerdings hat sich die Anhängerschaft einen
einzigartigen Ruf in den neuen Bundesländern erworben, der so gar nicht zur
beschaulichen Umgebung in Babelsberg zu passen scheint. "Wir werden auch
oft das St. Pauli des Ostens genannt", sagt Roth. Gemünzt ist dieses
Etikett auf das Bekenntnis der Fanszene zu ihren linksalternativen
Anschauungen. "Es ist schon etwas Besonderes, wenn Zecken Fußball schauen",
meint Roth. Der Schmähbegriff, mit dem die Babelsberger Sonderlinge häufig
von den gegnerischen Fans bedacht werden, ist zum Identifikationsbegriff
für die Babelsberger Anhänger geworden.
Eine vergleichbare Fanszene gibt es bei höherklassigen Fußballvereinen in
Ostdeutschland nicht. Nur in den Niederungen des Amateurfußballs erhalten
etwa Chemie und Roter Stern Leipzig Zuspruch aus der linksalternativen
Szene. Wenn Wissenschaftler politische Einstellungen von deutschen
Fußballfans unter die Lupe nehmen, geht es meist um Rassismus,
Ausländerfeindlichkeit und Homophobie im Stadion. Rechte Denkmuster treten
hier offener in Erscheinung. "In Babelsberg ist das von Anfang an anders
gewesen", sagt Roth. Bei Chemie Leipzig hätten sich alternative
Gruppierungen dagegen erst gegen traditionell unpolitische Fans durchsetzen
müssen.
Jacob Roth und Andreas Wolf gehören der Gruppierung der Ultras Babelsberg
an. Fotografiert werden wollen sie nicht. Als Solisten tauchen Ultras
grundsätzlich ungern in der Öffentlichkeit auf. Wichtig ist die Gruppe.
Jeder Einzelne stellt sich in den Dienst des Kollektivs. Mit fanatischer
Leidenschaft und möglichst kreativem Einsatz.
Mitte der 90er Jahre, als der SV in einer bedeutungslosen Amateurliga ohne
nennenswertes Stammpublikum spielte, seien "fußballinteressierte Zecken"
auf die Idee gekommen, sich einen Verein zum Zuschauen zu suchen, erinnert
sich Roth. Sie stammten allesamt aus der damaligen Häuserbesetzerszene in
Potsdam. Beim SV Babelsberg trafen sie auf ein Vakuum, Fanstrukturen gab es
bei dem niederklassigen Klub nicht. Die Gestaltungsspielräume waren
entsprechend groß. Schon bald wurde die erste Ultra-Gruppierung namens
Filmstadt Inferno 99 gegründet. Der gemeinsame Nenner in der Babelsberger
Ultraszene war schnell gefunden: für den SV und gegen Faschismus,
Rassismus, Antisemitismus und Sexismus.
Vermutlich gibt es keine Fanszene im deutschen Profifußball, die das Image
ihres Vereins so maßgeblich mitbestimmt wie die Anhänger in Babelsberg: Sie
stellen den Stadionsprecher, organisieren die Kinderbetreuung, schreiben
das Stadionheft und kümmern sich alleinverantwortlich um das Merchandising
des Klubs. Einige Fans sitzen auch im Aufsichtsrat und Vorstand des
Vereins, wobei Roth klarstellt, dort deutlich in der Minderheit und ohne
Bedeutung für die Vereinspolitik zu sein. Indirekt, glaubt sein Mitstreiter
Andreas Wolf, haben die Ultras jedoch schon einen Einfluss: "Die
Vereinsoberen spielen gern mit dem weltoffenen, linksliberalen Image, das
wir dem Klub gegeben haben."
Allerdings ist das Verhältnis zwischen den organisierten Fans und der
Vereinsspitze angespannt. Viele Ultras forderten zuletzt lautstark einen
personellen Wechsel in der Führungsriege - auch wegen der
Stasi-Vergangenheit zweier Mitglieder.
Umgekehrt wiederum stört man sich immer mehr am großen Gestaltungsspielraum
der Ultras im Verein. Rainer Speer, der Vereinsvorsitzende und ehemalige
Innenminister des Landes Brandenburg, sagte kürzlich in einem
Stadionmagazin-Interview: "Man kann natürlich diskutieren, ob man an der
Präsentation etwas ändern sollte. Man kann fragen, haben wir den richtigen
Stadionsprecher, die richtige Musik, ist das nur für eine bestimmte Szene
zugeschnitten und verschreckt man dadurch andere?" Ginge es nach Speer,
würde das kommunistische italienische Partisanenlied "Bella Ciao" gewiss
nicht mehr in der Halbzeitpause aufgelegt werden.
Die Ultras dagegen warnen davor, dass sich der kleine Verein seine
Lebensadern abzuschnüren droht, wenn er sich wie die Großklubs nach dem
Massengeschmack richtet. Trotzdem wird derzeit auch innerhalb der Fanszene
über das Thema Ausgrenzung gestritten. Es geht darum, wie duldsam und offen
man gegenüber interessierten Neulingen sein sollte, deren Verhalten nicht
gleich den Erwartungen der Gruppe entspricht. Roth hält diese spaltenden
Diskussionen für ein klassisch linkes Problem.
Für ihn ist der Zusammenhalt der Fanszene eine wichtige Voraussetzung,
seine Liebe zum Fußball und zur politischen Arbeit weiter miteinander
verbinden zu können. Aus dieser Synthese entstehen in Babelsberg Machwerke,
die kaum einer mit Fußballfans in Verbindung bringen würde. Roth etwa
gehört der Arbeitsgemeinschaft der Ultras "Gedenken - Erinnern - Mahnen"
an, die vergangenen Herbst nach monatelanger Recherchearbeit ein
24-seitiges Sonderheft herausgegeben hat, in dem die Ermordung von Herbert
Ritter, dem ersten Opfer faschistischer Gewalt in Babelsberg, im Jahr 1931
detailliert und liebevoll aufgearbeitet wird.
Die politische Ausrichtung der Fanszene mag für Außenstehende zuweilen
etwas sektiererisch wirken. Breite Anerkennung erhielten die Babelsberger
in der bundesweiten Ultra-Szene für ihre Initiative "Fußballfans beobachten
Polizei". Im Jahr 2006 wurde sie wegen der als unverhältnismäßig und
überaus aggressiv empfundenen Polizeieinsätze ins Leben gerufen. Anwälte,
die von den Fans finanziert wurden, begleiteten die Babelsberger auf
Auswärtsfahrten und protokollierten das Verhalten der Polizei. "Ein
innovative Protestform", nennt das Roth, die auch in München, Hamburg und
Bremen ihre Nachahmer fand, da allerorten immer wieder über das Verhalten
der Ordnungshüter geklagt wird.
In dieser Saison setzten die Babelsberger erneut einen Impuls und wandelten
ihr Konzept ab. Die Polizeieinsätze bei den Auswärtsfahrten wurden anhand
eines Kriterienkatalogs miteinander verglichen und die Stadt mit den
häufigsten Polizeiübergriffen mit einer angemeldeten Fandemonstration an
Heiligabend beehrt. Eigenen Angaben zufolge reisten etwa 80 Babelsberger am
24. Dezember nach Brandenburg, wo sich die Polizei bei einem Pokalspiel
durch ihre überharte Gangart hervorgetan hatte.
Brandenburgs Verfassungsschutzbehörde sind solche Aktionen nicht geheuer.
Sie hat die Babelsberger Anhängerschaft seit der Gründung von "Fußballfans
beobachten Polizei" ihrerseits ins Visier genommen. In ihrem vor wenigen
Wochen veröffentlichten Jahresbericht 2010 ist von "dem autonomen
Linksextremismus zuzuordnenden Fußballfans" die Rede.
Diese Einordnung ist kurios, da das Babelsberger Fanprojekt, das als
Aktionsteilnehmer von der Initiative "Fußballfans beobachten Polizei"
aufgeführt wird, sein Budget vom Deutschen Fußball-Bund, dem Land
Brandenburg und der Stadt Potsdam erhält. Zudem ist die Diakonie Potsdam
Träger des Fanprojekts, das in diesem Monat sein zehntes Jubiläum feiert.
"Es ist doch absurd, dass der Verfassungsschutz die Diakonie dadurch mit
unter Beobachtung stellt. Aber so wird die Arbeit der Babelsberger Fans
noch bekannter. Das ist Publicity für uns", sagt Roth. Eben auch mit
fremder Hilfe hat sich die kleine Anhängerschaft aus Brandenburg einen
Namen in Deutschland gemacht. Sie sorgt für Irritationen - vor allem bei
den Ordnungshütern. Zum Gastspiel bei Union Berlin begrüßten Polizisten die
Babelsberger in Köpenick einmal mit der Frage: "Wo ist euer Anwalt?"
11 May 2011
## AUTOREN
Johannes Kopp
Johannes Kopp
## TAGS
SV Babelsberg
Fußball
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